Kategorie: Strafrecht

Strafrecht 2022 #09

Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ Im Jahr 2020 ist der damals vom Bundesland Hessen vorgelegte Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ (BR-Drucks 107/20), der damals allgemein abgelehnt worden ist, nicht weiterverfolgt worden. Nun hat aber der Bundesrat erneut einen Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ eingebracht (BT-Drucks 20/1545), der im Wesentlichen der früheren Gesetzesinitiative entspricht. Der Entwurf […]
Wir haben in den vergangenen Monaten schon über einige Änderungen bzw. Neuregelungen in der StPO durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ vom 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) berichtet. Die Reihe schließen wir nun mit der Vorstellung weiterer Änderungen ab. I. Auskunftsverlangen (§ 99 Abs. 2 StPO) Früher war in § 99 StPO a.F. (nur) die sog. Postbeschlagnahme geregelt. […]
Keine wirksame Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail. (Leitsatz des Gerichts) BGH, Beschl. v. 12.5.2022 – 5 StR 398/21 I. Sachverhalt Strafantrag per E-Mail Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verurteilt. Die Sachbearbeiterin der Führungsaufsichtsstelle schickte im September 2020 von ihrem Arbeitsplatz aus der zuständigen Staatsanwältin an deren […]
Das Tatgericht darf von einer Begutachtung nach § 246a StPO auch dann absehen, wenn es eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung zieht, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen auf der Hand liegt. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 23.3.2022 – 6 StR 63/22 I. Sachverhalt Absehen […]
Soll im Zusammenhang mit der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO (erneut) in Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung (§ 257c StPO) eingetreten werden, sei der Vorsitzende nicht verpflichtet, den Angeklagten zunächst über sein Schweigerecht zu belehren. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 15.6.2022 – 6 StR 206/22 I. Sachverhalt Verstoß gegen § 243 Abs. 5 S. 1 StPO […]
1. Genügt eine erhobene Verfahrensrüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO und wird die Sachrüge nicht erhoben, so ist die Rechtsbeschwerde insgesamt unzulässig. 2. Lassen die Ausführungen in der Rechtsmittelbegründung erkennen, dass der Beschwerdeführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung beanstandet, sondern ausschließlich die Beweiswürdigung und die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen, so handelt […]
Der Wortlaut des § 408b StPO enthält keine Beschränkung auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren. (Leitsatz des Verfassers) LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2022 – 16 Qs 59/22 I. Sachverhalt Pflichtverteidiger im Strafbefehlsverfahren Das AG hat gegen den Angeklagten am 26.4.2022 einen Strafbefehl wegen Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung […]
1. Der Halter eines Kraftfahrzeugs ist vor einer polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft im Rahmen von Unfallfluchtermittlungen grundsätzlich als Beschuldigter zu belehren, soweit seine Fahrereigenschaft nicht aufgrund anderer Erkenntnisse ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Durchführung einer sogenannten „informatorischen Befragung“ regelmäßig ermessensfehlerhaft. 2. Erkenntnisse aus einer polizeilichen Befragung des Halters ohne vorherige Beschuldigtenvernehmung sind in […]
Zwar kann auch die Befreiung von einer Verbindlichkeit ein der Einziehung unterliegender Vermögensvorteil i.S.v. § 73 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB sein. Dies gilt aber nicht, wenn das der Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft nichtig ist. Ein solch nichtiges Rechtsgeschäft liegt beim Erwerb oder der Veräußerung unversteuerter und unverzollter Zigaretten vor, weil es sich bei § 374 AO um […]
1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß. 2. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen […]
1. Das durch § 177 Abs. 1 StGB geschützte Selbstbestimmungsrecht beinhaltet das Recht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Rechtsgutsinhaber mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist. 2. Das Einverständnis mit dem vaginalen Geschlechtsverkehr kann unter die Bedingung gestellt werden, dass dieser vor dem Samenerguss zu beenden ist. Setzt sich der Sexualpartner bewusst absprachewidrig über diese vom Opfer […]
1. Einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 S. 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu. 2. Für eine Behinderung von Hilfsleistenden i.S.v. § 115 Abs. 3 StGB genügt bei schweren Verletzungen (hier: stark blutende Kopfverletzung) bereits eine nur kurze Verzögerung der Hilfeleistung (hier: eine Minute). 3. Der Warnungs- und Besinnungsfunktion des § 44 StGB […]
Eine gerichtliche Auslagenentscheidung verstößt gegen das Willkürverbot, wenn mit ihr ohne Begründung von dem Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen wird und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt. (Leitsatz des Gerichts) VerfGH Berlin, Beschl. v. 27.4.2022 – VerfGH 130/20 I. Sachverhalt […]
Die Verwertung eines Messergebnisses, dessen der Messung zugrunde liegende Rohmessdaten nicht zum Zweck der nachträglichen Überprüfbarkeit gespeichert worden sind, verstößt nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren. (Leitsatz des Verfassers) VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21 I. Sachverhalt „Rohmessdaten-Antrag“ erfolglos Das AG hat den Betroffenen am 1.7.2020 wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit […]
1. Allein eine hohe Straferwartung vermag die Fluchtgefahr i.S.v. § 112 Abs. 2 StPO nicht zu begründen. 2. § 112 Abs. 3 StPO findet aufgrund des vom Gesetzgeber gewählten Enumerationsprinzips keine Anwendung, wenn die Norm nicht ausdrücklich im Katalog der Taten des Abs. 3 enthalten ist. (Leitsätze des Verfassers) LG Stuttgart, Beschl. v. 5.8.2022 – 14 Qs 21/22 I. Sachverhalt […]
1. Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden, nicht zu berücksichtigen. 2. Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an […]

Strafrecht 2022 #08

Referentenentwurf „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ Das BMJ hat am 19.7.2022 den Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ vorgelegt. Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht verschiedene Änderungen vor, und zwar: Es sollen im Maßregelrecht […]
Wir setzen mit diesem Beitrag unsere Berichterstattung zum (neuen) Recht der Pflichtverteidigung fort. Er schließt an die Übersicht in StRR 8/2021, 5 ff. an. I. Allgemeines Der Schwerpunkt der Diskussion im Recht der Pflichtverteidigung liegt derzeit nach wie vor bei der Frage der nachträglichen/rückwirkenden Bestellung eines Pflichtverteidigers. Die Rechtsprechung ist – wie auch zum alten Recht […]
Eine Hauptverhandlung gilt dann i.S.d. § 229 Abs. 1 StPO als fortgesetzt, wenn zur Sache verhandelt und das Verfahren gefördert wird. (Leitsatz des Gerichts) BGH, Beschl. v. 15.2.2022 – 4 StR 503/21 I. Sachverhalt Verfahrensrüge hat Erfolg Das LG hat den Angeklagten wegen leichtfertiger Geldwäsche in vier Fällen sowie wegen Beihilfe zum Betrug verurteilt. Hiergegen wendet sich […]
Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe löst keine Verpflichtung des (Revisions-)Gerichts aus, die – aktuellen – wirtschaftlichen Verhältnisse zu ermitteln. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 4.5.2022 – 3 StR 55/22 I. Sachverhalt PKH für die Revisionsinstanz beantragt Die Tochter der durch die Tat Getöteten und in erster Instanz als solche zugelassene Nebenklägerin hat in […]
1. Im Regelfall bedarf die Bestellung eines Verteidigers einer ausdrücklichen Verfügung des zuständigen Richters. Es kann die Bestellung eines Verteidigers in Ausnahmefällen aber auch durch das betreffende Gericht aufgrund schlüssigen Verhaltens erfolgen. Voraussetzung für eine konkludente Verteidigerbestellung ist ein Verhalten des zuständigen Richters, das unter Beachtung aller hierfür maßgebenden Umstände zweifelsfrei einen solchen Schluss rechtfertigt. […]
1. Die Dreiwochenfrist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO wird erst mit Bekannt-machung der Beiordnungsentscheidung in Lauf gesetzt. Die bloße Kenntnis des Beschuldigten von der Entscheidung genügt nicht. 2. Der Fristbeginn setzt überdies voraus, dass der Beschuldigte auf die Möglichkeit zur Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wird. […]
Voraussetzung für das Vorliegen eines Verschiebungsfalles gemäß § 73b Abs. 1 S. 1 Nr. 2a a StGB ist, dass nachgewiesen ist, dass der Dritte aus einer Straftat etwas erlangt hat. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 19.5.2022 – 1 StR 405/21 I. Sachverhalt Hinterziehung von Vergnügungs- und Umsatzsteuer Der Angeklagte S und W hinterzogen Vergnügungs- und Umsatzsteuer. Dabei war […]
1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat. 2. Wird in einem ärztlichen Attest der darin genannten Person bescheinigt, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis […]
Es kann der Anfangsverdacht einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB bestehen, wenn der Beschuldigte einen Judenstern mit der Inschrift „nicht geimpft“ als Profilbild seines Accounts bei Telegram verwendet. (Leitsatz des Verfassers) LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.2022 – 1 Qs 80/22 I. Sachverhalt Judenstern als Nichtgeimpfter als Profilbild Der Beschuldigte engagiert sich seit geraumer Zeit in […]
Die Regelung des § 23 Abs. 4 S. 1 StVO, wonach ein Kraftfahrzeugführer sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist, dient präventiv der Sicherheit des Straßenverkehrs und dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer. Das Verhüllungsverbot ist mit dem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 u. 2 GG vereinbar und auch […]
Der Haftgrund der Flucht ist nicht schon dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte von seinem bisherigen Lebensmittelpunkt absetzt. Vielmehr muss in subjektiver Hinsicht hinzukommen, dass der Wechsel des Wohn- oder Aufenthaltsorts erfolgt, um zumindest auch in einem Strafverfahren unerreichbar zu sein und sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen. (Leitsatz des Verfassers) OLG Stuttgart, Beschl. v. […]
1. Für die Einziehung des Führerscheindokuments fällt nicht die Gebühr Nr. 4142 VV RVG an, da die Nr. 4142 VV RVG den Entzug der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB nicht umfasst. 2. Die Kosten für die Wiedererlangung des Führerscheindokuments, das eingezogen wurde, sind mit 300 EUR anzusetzen. Eine Festsetzung des Gegenstandswerts nach dem Auffangstreitwert der Verwaltungsgerichtsbarkeit kommt nicht in […]
Für das Entstehen der Gebühr Nr. 4102 Ziff. 3 VV RVG ist es unerheblich, zu welchen Haftfragen die Verhandlung stattgefunden hat und in welchem Umfang verhandelt worden ist. Ob der Beschuldigte auf Anraten seines Verteidigers schweigt oder Angaben zur Sache macht, ist ebenfalls nicht maßgeblich. (Leitsatz des Verfassers) AG Neuss, Beschl. v. 18.5.2022 – 6 Ds-110 Js […]

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