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Künstliche Intelligenz: Was kann die neue Tech- Generation im Rechtswesen leisten?

Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen als digitale Vorreiter? Ein Blick auf die nackten Zahlen zeigt: Während deutsche Unternehmen auch heute noch gerne und viel über die digitale Transformation diskutieren, hat die Anwaltschaft schon Fakten geschaffen. So besagt beispielsweise eine Studie des Branchenmagazins JUVE, dass bereits drei Viertel aller deutschen Anwaltskanzleien Legal-Tech-Tools in ihrem Arbeitsalltag nutzen.

Die Rechtsbranche ist in einer vergleichsweise guten Ausgangsposition: Durch die grundsätzliche Offenheit gegenüber technischen Neuerungen aber auch aufgrund des erheblichen Wettbewerbdrucks steht sie bereits auf einem soliden digitalen Fundament. Diese Adaptionsfähigkeit ist mit Blick auf die sich im Eiltempo fortentwickelnde Technologie auch notwendig. Denn aktuell steht bereits die nächste Software-Generation ins Haus: Legal-Tech-Anwendungen auf Basis Künstlicher Intelligenz. Sie lösen die klassische Automatisierungssoftware ab, die in den vergangenen Jahren maßgeblich implementiert wurde.

Diese KI-Anwendungen bahnen sich bereits ihren Weg in viele Anwaltskanzleien und Rechtsabteilungen. Doch damit werden viele Juristinnen und Juristen mit neuen Fragen konfrontiert:

  • Welche Aufgaben darf eine KI im Kanzleialltag übernehmen?
  • Welche Daten und Informationen darf ich mit der Software (und damit auch dem Software-Anbieter) teilen?
  • Was kann KI bereits verlässlich, und damit für mich und meine Arbeit zuverlässig, übernehmen?
  • Oder: Wie kann ich Legal-Tech-Tools auf Basis Künstlicher Intelligenz gesetzeskonform, effektiv und sicher in meinen Arbeitsalltag integrieren?

 

Bei Taylor Wessing haben wir in einigen Arbeitsschritten und -Bereichen bereits KI-Tools integriert, etwa bei Übersetzungsdienstleistungen. Auf Basis dieser Erfahrungen möchte ich im Folgenden Tipps und Hinweise geben, worauf man bei der Auswahl und Einführung dieser Anwendungen achten sollte – und welche Fragen und Bedingungen man vor der Zusammenarbeit mit einem KI-Anbieter stellen kann, um die Sicherheit des Tools und der Daten im Arbeitsalltag zu ermöglichen.

 

Wunschdenken und Wirklichkeit: Was kann KI?

Die bislang weit verbreiteten Automatisierungs-Tools arbeiteten (und arbeiten) nach einem festen prädeterminierten Muster Aufgaben im „Wenn-Dann”-Prinzip ab. Und diese „standardisierbaren Wenn-Dann-Aufgaben“ gibt es in der täglichen anwaltlichen Praxis durchaus nicht selten: Etwa Rechercheaufgaben oder die automatisierte Erstellung von Vertragswerken, in welcher Software lediglich Textblöcke in vorgefertigte Templates einfügen muss. Die Anwaltschaft wird sich mit dem Gedanken vertraut machen müssen, dass diese vergleichsweise weniger komplexen Aufgaben zukünftig von der KI im Wesentlichen übernommen werden, mit lediglichen Steuerungs- und Überwachungsaufgaben für die Berufsträger.

Künstliche Intelligenz kann jedoch auch über diese logischen Kausalketten hinaus denken. Sie verfügt über die Fähigkeit, zumindest in einem gewissen Rahmen, starre „Wenn-Dann-Denkmuster“ zu verlassen. Damit kann sie auch auf Ausnahmefälle oder Interpretationsspielräume reagieren.

Allerdings: Wenngleich KI in den letzten Jahren enorme Sprünge gemacht hat, ist sie nicht fehlerfrei. Vielmehr dürfen wir unsere Erwartungen an die Technologie nicht überfrachten und sollten kritischer hinterfragen, was sie leisten kann (und was nicht).

KI eignet sich hervorragend für das Verarbeiten, Verstehen und Interpretieren von Sprache – dem Grundstoff unseres Berufszweiges. Dabei vermag die KI große Datenmengen zu verarbeiten und zu strukturieren. Folgerichtig hat die KI-Technologie in den vergangenen Jahren die größten Sprünge im Natural Language Processing (NLP), also dem Sprachverständnis, gemacht.

Konkret bedeutet dies: KI kann besonders gut textgebundene Aufgaben erledigen, die zwar einem bestimmten Muster folgen, aber dennoch Interpretationsspielraum zulassen. Denkbar etwa die Auswertung eines Standardvertrags oder als Unterstützung bei der (Sachverhalts-)Recherche in einem Fall. Die KI ist in der Lage, eine Vielzahl von Verträgen, beispielsweise Mietverträge bei einer Immoblientransaktion, auf bestimmte Eckdaten hin zu überprüfen oder auch bestimmte Klauseln herauszuarbeiten. Oder sie untersucht historische Datenbanken und prognostiziert auf dieser Grundlage die Gewinnwahrscheinlichkeit von aktuellen (Schadens-)Fällen; gerade letzteres praktizieren bereits diverse Versicherungsunternehmen.

Durch die NLP-Fortschritte öffnet sich zudem ein weiteres, spannendes Aufgabenfeld: Übersetzungen. Schließlich agieren viele Kanzleien und Rechtsabteilungen nicht nur im deutschsprachigem Raum. In hoher Regelmäßigkeit müssen sie Vertragsentwürfe oder Gesetzestexte in verschiedene Sprachen übersetzen. Die früheren digitalen Übersetzer genügten zunächst noch nicht den hohen sprachlichen Anforderungen, die an rechtliche Texte gestellt werden. Sie konnten Sprache nicht zutreffend kontextualisieren, sondern übersetzten lediglich wortgetreu. Gerade bei Übersetzungen von Common Law geprägten Texten (USA, UK), die einer anderen Rechtstradition folgen als die Kontinentaleuropäischen Civil Law Jurisdiktionen, kam es zu – rein technisch vielleicht richtigen – aber dennoch nicht wirklich verständlichen Übersetzungen. In der Folge mussten die übersetzten Texte mit viel Aufwand „aufbereitet” werden.

Und hier setzt die neue KI-Generation der Übersetzungstools an. Wir arbeiten bei Taylor Wessing beispielsweise mit einem auf Übersetzungen spezialisierten KI-Tool. Dieses ist in der Lage, Worte nicht nur isoliert, sondern im Kontext zu betrachten und zu übersetzen. Damit versteht das Tool auch die lokalen Feinheiten von Sprache, Sprichwörter oder Umgangssprache. Dies ist in unserem Rechtsbereich, in welchem es gerade auf die Feinheiten im Verständnis eines jeden Wortes ankommt, von großer Bedeutung. Durch die Nutzung des Tools sparen wir erheblich an Zeit im Vergleich zu den früheren manuellen internen oder externen Übersetzungen. Je nach textlicher Anforderung sind im Nachgang lediglich Kontrollen oder leichte Nachbesserungen erforderlich.

 

Rechts(un-)sicherheit: Worauf Juristen bei der Nutzung von KI-Tools achten müssen

Doch Vorteile hin oder her: obschon eine hohe Zugewandtheit zur Nutzung von KI-Tools in Anwaltskanzleien erkennbar wird, verbleiben viele Juristen hinsichtlich der Nutzung noch etwas verunsichert zurück. Es handelt sich schließlich um eine hochsensible Branche, in welcher Juristen mit den Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen ihrer Mandanten und jede Menge personenbezogener Daten arbeiten. Obendrein unterliegen sie der Schweigepflicht. Gerade bei KI-Tools wird befürchtet, dass sie nicht konsequent den Anforderungen des Daten- und Geheimnisschutzes gerecht werden. Insbesondere hinsichtlich der Frage, wie und welche Daten der Mandanten die KI verarbeitet, besteht häufig Ungewissheit. Denn klar ist, KI-Entwickler brauchen Daten, um den Algorithmus (Intelligenz) zu trainieren und weiterzuentwickeln. Dafür nutzen sie unter Umständen auch ihre Customer Cases. Deshalb stellen sich viele Kollegen die Frage: Können wir es uns überhaupt erlauben, dass Entwickler und ihre KIs unsere Datensätze zur Verarbeitung erhalten?

Die vorgeschaltete Grundsatzfrage der Auslagerung von Daten lässt sich inzwischen mit einem „Ja” beantworten. Vor einigen Jahren erst wurden die maßgeblich einschlägigen Vorschriften in § 203 Strafgesetzbuchs und § 43e Bundesrechtsanwaltsordnung angepasst. Diese ermöglichen es grundsätzlich, externe Personen oder Dienstleister für die Erledigung von Aufgaben zu Rate zu ziehen – oder entsprechende Prozesse an diese auszulagern.

Hinsichtlich der nachgelagerten Frage, inwieweit denn die ausgelagerten Daten mit Hilfe von KI verarbeitet werden dürfen oder nicht, herrscht jedoch Unsicherheit.

Zur Absicherung sind folgende Maßnahmen empfehlenswert:

  1. Anwaltskanzlei und KI-Anbieter vereinbaren ein Non-Disclosure-Agreement (NDA).
  2. Zudem sollten die KI-Unternehmen über eine eigene Server-Infrastruktur verfügen, ohne intransparentes Geflecht an Sub-Unternehmen, so dass der Nutzer nachvollziehen kann, wer die offenbarten Daten wo verarbeitet.
  3. Anwälte sollten nur mit KI-Anbietern zusammenarbeiten, die Kundendaten unmittelbar nach Wegfall des Verarbeitungszwecks wieder löschen.
  4. Nutzer sollten sich über die End-to-End-Verschlüsselung bei der Datenübertragung informieren und gerade für hochsensible Bereiche Zertifizierungen einholen.
  5. Und bei Nicht-EU-Partnern ist es ratsam, sich bei dem KI-Anbieter nach der Einhaltung der DSGVO zu erkunden; insbesondere auch vor dem Hintergrund der erhöhten Komplexität bei dem Datentransfer in Drittstaaten in der Folge des EuGH Urteils Schrems II.

 

Weniger administrative Fleißarbeit, mehr reine Rechtswissenschaften

Über Kurz oder Lang führt an der Implementierung von KI-Tools im Rechtswesen kein Weg vorbei. Und das ist auch gut so: Denn Aufgaben wie die Erstellung von Vertragswerken, Analysen oder Recherchen binden wertvolle Ressourcen. Die KI nimmt diese ab. Für uns Juristinnen und Juristen bedeutet das: Weniger Zeit für administrative Fleißarbeit – und mehr Kapazitäten für anspruchsvolle Mandatsarbeit.

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