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Auswirkungen von Pausen auf den Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger

1. Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden, nicht zu berücksichtigen.

2. Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und wird die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenden Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, ist nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung.

(Leitsätze des Gerichts)

LG Mannheim, Beschl. v. 11.5.20224 KLs 300 Js 40140/20

I. Sachverhalt

Längenzuschläge im Streit

Nach Abschluss des Verfahrens, in dem der Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger tätig war, hat der Rechtsanwalt die Festsetzung seiner gesetzlichen Gebühren beantragt. Diesem Antrag ist nur teilweise entsprochen worden. Drei vom Pflichtverteidiger gemäß Nr. 4116 VV RVG beantragte Längenzuschläge für Hauptverhandlungstermine vom 5.11., 19.11. und 30.11.2021 in Höhe von jeweils 141,00 EUR sind von der Rechtspflegerin nicht festgesetzt worden. Das dagegen eingelegte Rechtsmittel des Pflichtverteidigers hatte auch bei der Strafkammer keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Mittagspausen?

Der Pflichtverteidiger hatte geltend gemacht, die „Mittagspausen“ seien bei der Berechnung der Gesamtdauer der Hauptverhandlung für die drei Hauptverhandlungstermine am 5.11., 19.11. und 30.11.2021 nicht abzuziehen. Das sieht das LG anders.

(Neuer) Umgang mit Pausen

Nach Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG seien zwar auch Wartezeiten und Unterbrechungen an einem Hauptverhandlungstag als Teilnahme zu berücksichtigen, wenn es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung ankomme. Dies gelte jedoch nicht für Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden. Werde die Hauptverhandlung durch den Vorsitzenden für unbestimmte Zeit unterbrochen, sei die Dauer der Unterbrechung als Teilnahme an der Hauptverhandlung zu rechnen (z.B. Toussaint, Kostengesetze, 51. Aufl. 2021, RVG VV Vorbemerkung 4.1: Rn 35; BR-Drucks 565/20, S. 98). Ordne der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an und werde die Hauptverhandlung aus von dem Rechtsanwalt nicht zu vertretenden Gründen erst nach dem genannten Zeitraum fortgesetzt, sei nur der durch den Vorsitzenden angeordnete Zeitraum zu berücksichtigen und nicht die Dauer der tatsächlichen Unterbrechung (Toussaint, a.a.O.).

Konkrete Hauptverhandlungstermine

Nach Auffassung des LG war nach diesen gesetzlichen Vorgaben der Längenzuschlag gemäß Nr. 4116 VV RVG, der entstehe, wenn der gerichtlich bestellte oder beigeordnete Rechtsanwalt mehr als fünf und bis acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnehme, an keinem der drei Hauptverhandlungstermine am 5.11., 19.11. und 30.11.2021 entstanden.

5.11.2021

Am 5.11.2021 habe die auf 9:00 Uhr terminierte Sitzung um 9:13 Uhr begonnen und um 14:54 Uhr geendet. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung zur Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr unterbrochen und um 13:36 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 14:54 Uhr – fünf Stunden und 54 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 12:04 Uhr bis 13:30 Uhr – eine Stunde und 36 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von vier Stunden und 28 Minuten ergebe.

19.11.2021

Am 19.11.2021 habe die auf 09:00 Uhr anberaumte Sitzung um 09:18 Uhr begonnen und um 14:15 Uhr geendet. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr zur Mittagspause unterbrochen und um 13:30 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 9:00 Uhr bis 14:15 Uhr – fünf Stunden und 15 Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:36 Uhr bis 13:30 Uhr – eine Stunde 54 Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von drei Stunden und 21 Minuten ergebe.

30.11.2021

Am 30.11.2021 habe schließlich die auf 9:00 Uhr anberaumte Sitzung um 9:15 Uhr begonnen und sei um 15:05 Uhr beendet gewesen. Mit Verfügung der Vorsitzenden sei die Sitzung zur Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr unterbrochen und um 14:05 Uhr fortgesetzt worden. Mithin sei von dem Zeitraum von 09:00 Uhr bis 15:05 Uhr – sechs Stunden und fünf Minuten – die anberaumte Mittagspause von 11:57 Uhr bis 14:00 Uhr – zwei Stunden und drei Minuten – abzuziehen, was eine zu berücksichtigende Verhandlungsdauer von vier Stunden und zwei Minuten ergebe.

III. Bedeutung für die Praxis

Erste Entscheidung zum neuen Recht

1. Soweit ersichtlich handelt es sich bei dieser Entscheidung um die erste Äußerung eines Gerichts zu der durch das KostRÄG 2021 eingeführten Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG. Bis zu dessen Inkrafttreten war die Frage, wie mit Wartezeiten und/oder Pausen bei der Ermittlung der für einen Längenzuschlag des Pflichtverteidigers maßgeblichen Hauptverhandlungszeit umzugehen sei, höchst umstritten (vgl. zum alten Recht Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl. 2021, Nr. 4110 VV Rn 15 ff. m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, VV 4110 Rn 25 ff. m.w.N.). Diesen Streit hat der Gesetzgeber durch die neue Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG erledigen wollen (vgl. dazu Burhoff, AGS 2021, 49 ff.; ders., RVGreport 2020, 402, 406 f.; ders., StraFo 2021, 5, 13 f.; ders. StRR 1/2021, 5, 9 f.; Volpert, AGS 2020, 445, 454 f.). Und das ist m.E. auch (weitgehend) gelungen, was sich u.a. auch daran zeigt, dass die Entscheidung des LG Mannheim die erste ist, die sich mehr als 16 Monate nach Inkrafttreten der Neuregelung mit der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG auseinandersetzen muss.

Zutreffend entschieden

2. Und m.E. ist die Entscheidung zutreffend. Denn sie entspricht der (neuen) vereinfachten Systematik der Vorbem. 4.1 Abs. 3 VV RVG (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 Rn 48 ff.).

a) Danach werden Wartezeiten und Unterbrechungen während eines Verhandlungstags als Teilnahme an der Hauptverhandlung berücksichtigt. Dies gilt nur dann nicht, wenn der Pflichtverteidiger die Wartezeit oder die Unterbrechung zu vertreten hat oder die Unterbrechung länger als eine Stunde dauert.

b) Hinsichtlich der Unterbrechungen/Pausen am Hauptverhandlungstag sind Unterbrechungen und Pausen bis zu einer Stunde immer als Hauptverhandlungszeit zu berücksichtigen. Auf den Grund der Unterbrechung, also z.B. für eine Mittagspause, kommt es nicht (mehr) an (vgl. BT-Drucks 19/23484, S. 85). Längere Pausen werden nicht berücksichtigt, wenn der Rechtsanwalt bei der Anordnung der Unterbrechung deren Zeitraum kennt. Dabei ist es ebenfalls unerheblich, aus welchem Grund die Pause gemacht wird, ob als Mittagspause oder aus einem sonstigen Grund.

Das bedeutet hier, dass die angeordneten Pausen von mehr als einer Stunde bei der Berechnung der Hauptverhandlungszeit nicht zu berücksichtigen waren und zutreffend nicht berücksichtigt worden sind. Soweit die Pausen am 5.11. und am 30.11.2021 länger gedauert haben, als sie angeordnet worden waren, ist das auf jeden Fall ohne Belang für die zu berücksichtigende Hauptverhandlungsdauer. Der Beschluss teilt nicht mit, worauf hier der verzögerte Beginn am 5.11. und am 30.11.2021 zurückzuführen ist, obwohl der Leitsatz 2) dafür sprechen könnte, dass der Verteidiger die Verzögerung zu vertreten hat. Ist das Fall, ist also die längere Dauer auf vom Pflichtverteidiger zu vertretende Umstände zurückzuführen, greift Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG. Anderenfalls wären die Verzögerungszeiten zwar zu berücksichtigen (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Vorbem. 4.1 VV Rn 64 m. Hinw. auf BT-Drucks 19723484, S. 84 f.), was aber hier nichts an der Entscheidung geändert hätte. Denn selbst wenn die Verzögerungen auch als Hauptverhandlungsdauer anzusehen gewesen wären, hätte das immer noch nicht gereicht, um die „Fünf-Stunden-Marke“ zu überschreiten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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