Beitrag

StRR-Kompakt 2022_09

Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“

Im Jahr 2020 ist der damals vom Bundesland Hessen vorgelegte Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ (BR-Drucks 107/20), der damals allgemein abgelehnt worden ist, nicht weiterverfolgt worden. Nun hat aber der Bundesrat erneut einen Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ eingebracht (BT-Drucks 20/1545), der im Wesentlichen der früheren Gesetzesinitiative entspricht. Der Entwurf propagiert eine grundlegende Änderung des Bußgeldverfahrens: Man will weg von der Hauptverhandlung und will mehr Beschlussverfahren. Zudem sollen die Anforderungen an die Beschlussbegründung reduziert und die Rechtsmittelmöglichkeiten eingeschränkt werden. Außerdem soll die Möglichkeit geschaffen werden, einen Teilerlass der Geldbuße bei einem Rechtsmittelverzicht und sofortiger Zahlung zu erreichen.

Diese Beispiele zeigen: Die „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ soll mal wieder auf dem Rücken der Betroffenen durch eine Reduzierung ihrer Rechte erreicht werden. Man kann nur hoffen, dass die Bundesregierung auch diesem Entwurf gegenüber bei ihrer ablehnenden Haltung bleibt (vgl. BT-Drucks 20/1545, S. 32).

Vermögensarrest: zeitliche Dauer

In zeitlicher Hinsicht ist der Vermögensarrest allein an dem allgemeinen Übermaßverbot zu messen. Eine gesetzliche Bestimmung zu zeitlichen Grenzen des Vollzugs eines Arrestes gibt es demgegenüber seit der ersatzlosen Streichung des § 111b Abs. 3 StPO a.F. nicht mehr.

OLG Hamm, Beschl. v. 23.6.2022 – 5 Ws 94/22

Pflichtverteidiger: Straferwartung; schwierige Beweisführung

Die Bestellung eines Verteidigers ist bei einer Straferwartung von etwa einem Jahr Freiheitsstrafe naheliegend. Das gilt vor allem dann, wenn das Verfahren einen gesteigerten Schwierigkeitsgrad aufweist, weil maßgebliche Bedeutung für die Überführung des bestreitenden Angeklagten ein Vergleich der vom Täter getragenen Kleidung, wovon Bildaufnahmen einer Überwachungskamera vorhanden sind, mit bei dem Angeklagten sichergestellten Kleidungsstücken hat.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.7.2022 – 2 Ws 183/22

Pflichtverteidiger: Kipo-Verfahren

In Verfahren mit dem Verfahrensgegenstand „Verbreitung von Kinderpornografie“ ergibt sich die Schwierigkeit der Sachlage i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO aus dem Umstand, dass der Beschuldigte sein sich aus § 147 Abs. 4 StPO ergebendes Akteneinsichtsrecht nicht ohne Verteidiger in vollem Umfang wahrnehmen kann.

LG Hanau, Beschl. v. 25.7.2022 – 4 Qs 4/22

Einziehungsverfahren: Durchführung der Hauptverhandlung

Über einen Einziehungsantrag der Staatsanwaltschaft ist im selbstständigen Einziehungsverfahren auf Antrag eines Einziehungsbeteiligten nicht durch Beschluss, sondern zwingend durch Urteil zu entscheiden.

LG Amberg, Beschl. v. 19.1.2022 – 11 Qs 3/22

Elektronische Übermittlung eines Dokuments: Bedienfehler beim beA

Eine vorübergehende Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung eines Schriftsatzes aus technischen Gründen liegt nicht vor, wenn die fristgemäße Übermittlung aufgrund eines Anwendungs- bzw. Bedienungsfehlers scheiterte. In diesem Fall liegt ein menschlicher und kein technischer Grund für das Scheitern der fristgemäßen elektronischen Übermittlung vor (§ 33d Abs. 4 StPO).

BayVGH, Beschl. v. 1.7.2022 – 15 ZB 22.286

Berufung: Entziehung der Fahrerlaubnis

Das Berufungsgericht kann die Fahrerlaubnis gemäß § 111a StPO (erneut) entziehen, wenn das Amtsgericht trotz Vorliegens eines Regelfalls des § 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB keine Ausführungen zur unterbliebenen Anordnung der Entziehung der Fahrerlaubnis macht.

LG Arnsberg, Beschl. v. 18.8.2022 – 3 Ns-180 Js 715/21-98/22

Aussetzung der Maßregel: Begründungsanforderung

Kommt die Vollzugseinrichtung zu dem Ergebnis, dass die Legalprognose für eine Strafaussetzung negativ ist, muss ihre Stellungnahme Ausführungen dazu enthalten, welcher Art die rechtswidrigen Taten sind, die von dem Untergebrachten drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit und Rückfallfrequenz), wie hoch die Wahrscheinlichkeit zukünftiger rechtswidriger Taten ist und inwieweit im Falle einer Aussetzung der Maßregel zur Bewährung im Rahmen der Führungsaufsicht Anordnungen nach §§ 68a, 68b StGB als weniger belastende Maßnahmen ausreichen können, um den Zweck der Maßregel zu erreichen.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 25.7.2022 – 4 Ws 247/22

U-Haft: Fluchtgefahr

Der Haftgrund der Flucht ist nicht schon dann gegeben, wenn sich der Beschuldigte von seinem bisherigen Lebensmittelpunkt absetzt. Vielmehr muss in subjektiver Hinsicht hinzukommen, dass der Wechsel des Wohn- oder Aufenthaltsortes erfolgt, um zumindest auch in einem Strafverfahren unerreichbar zu sein und sich dem behördlichen Zugriff zu entziehen. Es muss sich aus den Gesamtumständen der Wille des Angeklagten ergeben, sich dem Verfahren nicht stellen zu wollen. Bloße Nachlässigkeit, und sei sie auch noch so unverständlich, begründet den Haftgrund der Flucht dagegen nicht.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.7.2022 – 4 Ws 302/22

Telefonerlaubnis: Ehefrau im Ausland

Ist nicht erkennbar, weshalb ein Telefonat mit der im Ausland lebenden Ehefrau, die in keinerlei Verbindung zur verfahrensgegenständlichen Tat steht, dem Zweck der Untersuchungshaft widersprechen soll bzw. wie durch das Telefonat das Verfahren beeinträchtigt werden könnte, ist dem Untersuchungshaftgefangenen eine Telefonerlaubnis zu erteilen.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 4.8.2022 – 16 Qs 27/22

Übersendung/Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild-/Videodateien: Tateinheit

Bei der Übersendung und dem Empfang mehrerer kinderpornografischer Bild- oder Videodateien über das Internet liegt nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinn vor, wenn der Täter mehrere Dateien während eines einheitlichen Kommunikationsvorganges herunterlädt oder versendet.

BGH, Beschl. v. 19.7.2022 – 4 StR 167/22

Tagessatzhöhe: Bezieher von ALG II

Der Ansatz des Nettoeinkommens als Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Tagessatzhöhe stößt bei einem Angeklagten, der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Arbeitslosengeld II.) bezieht und finanziell am Existenzminimum lebt, an rechtsstaatliche Grenzen. Es bedarf daher einer nicht formelhaften und individuellen Ausgestaltung der Bestimmung der Tagessatzhöhe.

LG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 27.7.2022 – 24 Qs 45/22

Begriff der Waffe: Teleskopschlagstock

Bei einem Teleskopschlagstock handelt es sich zwar um eine Waffe i.S.v. § 1 Abs. 2 Nr. 2a WaffG i.V.m. Anlage 1 Unterabschnitt 2 Ziffer 1.1. Er unterfällt aber nicht der Strafnorm des § 52 Abs. 3 Nr. 1 WaffG. Die dort in Bezug genommene Nr. 1.3.2 der Anlage 2 Abschnitt 1 nennt lediglich Stahlruten, Totschläger und Schlagringe.

BGH, Beschl. v. 21.4.2022 – 3 StR 81/22

Abgeordnetenbestechung: Mandatstätigkeit

Das in § 108e Abs. 1 und 2 StGB normierte Tatbestandsmerkmal „bei der Wahrnehmung seines Mandates“ ist dahin zu verstehen, dass die Mandatstätigkeit als solche, nämlich das Wirken des Abgeordneten im Parlament, mithin im Plenum, in den Ausschüssen oder sonstigen parlamentarischen Gremien einschließlich der Fraktionen oder in mit Parlamentsmitgliedern besetzten Kommissionen, erfasst ist. Allein die zwischen den Beteiligten vereinbarte Berufung des Abgeordneten auf seinen Status zur Beeinflussung von Behördenentscheidungen bei außerparlamentarischen Betätigungen im Interesse eines Privatunternehmers und ohne Vorgabe, im Auftrag des Parlaments zu handeln, vermag eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit oder Bestechung von Mandatsträgern nicht zu begründen. Ebenso wenig genügt es, wenn der Abgeordnete dazu die in dieser Funktion geknüpften Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Exekutive ausnutzen oder sich seiner Amtsausstattung bedienen soll.

BGH, Beschl. v. 5.7.2022 – StB 7–9/22

Beleidigung eines Richters: Vorwurf der Untreue

Bezichtigt ein Angeklagter einen Richter, der mit einem Kostenerinnerungsverfahren befasst war, der strafbaren Untreue, weil er nach Auffassung des Angeklagten eine fehlerhafte Entscheidung zu dessen Lasten getroffen habe, stellt dies auch dann keine Behauptung falscher Tatsachen i.S.d. § 186 StGB dar, wenn zusätzlich vorgetragen wird, es gehe um die „Entnahme von Geld aus seinem Guthaben“. Eine Schmähkritik ist bei einer Beanstandung eines konkreten dienstlichen Verhaltens im Rahmen einer Dienstaufsichtsbeschwerde auch dann noch nicht anzunehmen, wenn die Entscheidung des Richters als „schikanöse Schandtat“ eines „eklig parteiischen Amtsrichters“ bezeichnet wird.

BayObLG, Beschl. v. 4.7.2022 – 202 StRR 61/22

Beleidigung: Nazi

Eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Schmähung oder Formalbeleidigung ist mit der Äußerung: „Wer braucht den Nazi in …??“ nicht verbunden, denn der Begriff „Nazi“ lässt schon wegen der Weite seines Bedeutungsgehalts verschiedenste Verwendungsweisen zu, die von einer streng historischen Terminologie bis zum substanzlosen Schimpfwort reichen können.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 19.7.2022 – 4 Rv 26 Ss 366/22

Impfunfähigkeitsbescheinigung: Gesundheitszeugnis

Eine ärztlich ausgestellte Impfunfähigkeitsbescheinigung ist ein Gesundheitszeugnis i.S.d. § 278 StGB. Ein Gesundheitszeugnis ist in der Regel schon dann unrichtig, wenn ihm keine ordnungsgemäße Untersuchung durch den ausstellenden Arzt zugrunde liegt.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.7.2022 – 12 Qs 34/22

Verfolgungsverjährung: Unterbrechung

Der Erlass eines neuen (inhaltlich abweichenden) Bußgeldbescheids ohne vorherige Aufhebung eines zuvor ergangenen Bußgeldbescheids in derselben Sache unter dem Datum des früheren Bußgeldbescheids ist nichtig und daher nicht geeignet, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen. Die Verfolgungsverjährungsfrist wird durch die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung im Hinblick auf den Betroffenen nicht unterbrochen, wenn zuvor keine vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 205 StPO erfolgt ist.

AG Landstuhl, Beschl. v. 26.7.2022 – 2 OWi 4211 Js 8465/22

Auslieferungsverfahren: Terminsgebühr

Im Auslieferungsverfahren löst ein Termin vor dem Richter beim Amtsgericht – sei es zur Entscheidung über eine Festhalteanordnung, sei es zur Verkündung eines Haftbefehls – eine Terminsgebühr nicht aus.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.5.2022 – 1 AR 52/21 A

Ersatz von Auslagen: Kopien aus der Gerichtsakte

Der Ersatz von Auslagen für Kopien und Ausdrucke aus Gerichtsakten kann verlangt werden, soweit diese zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten oder zur notwendigen Unterrichtung des Auftraggebers zu fertigen waren. Die Darlegungs- und Beweisleist im Auslagenerstattungsverfahren obliegt dem Rechtsanwalt als Antragsteller. Es bedarf für die erforderliche Substantiierung eines konkreten Tatsachenvortrags. Dieser hat namentlich erkennen zu lassen, dass sich der Rechtsanwalt der ihm hierbei eingeräumten Einschätzungsprärogative ebenso bewusst gewesen ist wie seiner Pflicht zur kostenschonenden Prozessführung.

BGH, Beschl. v. 12.9.2019 – 3 BGs 293/19

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…