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Mut zur Spezialisierung

Die Ausbildung von Juristen ist grundsätzlich breit angelegt. Dies befähigt Anwältinnen und Anwälte, einem generalistischen Ansatz folgend, die gesamte Palette der Rechtsgebiete zu beraten. In der Tendenz ist jedoch verstärkt ein Trend zur Spezialisierung zu beobachten. Macht das Sinn, zahlt sich das aus? Nachfolgend beleuchten wir unterschiedliche Aspekte zu diesen Überlegungen.

 

Generalist versus Spezialist

Juristen können bekanntlich alles. Dies führt in der Regel dazu, dass der einzelne Anwalt zunächst ein breites Spektrum an Rechtsgebieten bedient. Über die Zeit erwirbt er vielleicht einen Fachanwaltstitel und bietet damit einen Schwerpunkt in seiner Kanzlei an. In der Folge kommt es dann häufig zu der Überlegung, ob ein weiterhin stärker generalistischer Ansatz oder eine klarere Spezialisierung zielführend ist. Damit verbunden ist häufig die Frage, was aus wirtschaftlicher Sicht erfolgversprechender ist. Eine allgemeine Antwort darauf kann es nicht geben. Wie immer im Leben: Es kommt darauf an.

Die Abwägung Generalist versus Spezialist betrifft sowohl den Anwalt in Einzelexistenz als auch eine Einheit mit mehreren Partnern im Kanzleiverbund. Der Anwalt in Einzelexistenz ist gut beraten, nicht den ganzen Bauchladen ins Schaufenster zu stellen. Das ist zwar auf der einen Seite verlockend, weil man dann „alles mitnehmen“ kann. Auf der anderen Seite ist es wenig glaubhaft, dass eine einzelne Person die gesamte Palette von Arbeitsrecht bis Zollrecht auf gleich hohem Niveau beraten kann. Gehen Sie von sich selbst aus: Wenn Sie Probleme mit dem Knie haben, gehen Sie ja auch lieber zu einem Spezialisten, der schon tausende Knie erfolgreich behandelt hat.

Je größer die Kanzlei, desto eher lassen sich Schwerpunkte Einzelner herausarbeiten und in Summe hätten wir es dann mit einer Ansammlung von Spezialisten zu tun. In solchen Kanzleien ist dann häufig eine Mischung aus Spezialisten und Generalisten anzutreffen. Wenn der Vergleich mit der Medizin noch einmal erlaubt ist: Das medizinische Versorgungszentrum, bei dem sowohl Allgemeinmediziner als auch unterschiedliche Fachrichtungen unter einem Dach ihre Leistungen anbieten.

 

Stärken – Präferenzen – Potenziale

Stellt sich die Frage nach einer stärkeren Spezialisierung, ist im ersten Schritt eine ehrliche Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken wichtig. Diese Analyse sollte sich sowohl auf den einzelnen Juristen als auch auf die Kanzlei in Summe beziehen. Die Frage lautet: Was kann ich/können wir richtig gut? Neben der fachlichen Expertise sollten sich die Überlegungen auch auf die Zielgruppe beziehen: Gibt es eine Branche oder eine Struktur von Unternehmen, bei der viel Erfahrung und Expertise vorliegt? Wie ist unsere track record, wo waren wir in der Vergangenheit besonders erfolgreich? Andersherum gefragt: Was liegt uns so gar nicht, wo sind wir nicht richtig gut?

Neben der Überprüfung der fachlichen Eignung sollte auch die persönliche Neigung eine Rolle spielen. Diese beiden Aspekte hängen eng zusammen. Wenn ich etwas gerne mache, mache ich es in der Regel auch richtig gut. Wenn ich mit einer bestimmten Klientel so gar nicht kann oder mir ein Rechtsgebiet nicht liegt, sollte ich es eher lassen. Klar ist, dass man es sich nicht immer aussuchen kann. Aber in der Analysephase sind diese Gedanken wichtig. Die Überlegung, welche Schlüsse daraus gezogen werden und was dies für die künftige Positionierung bedeutet, folgt im zweiten Schritt.

Eine wichtige Rolle bei der Analyse sollte die Einschätzung zum vorhandenen Geschäftspotenzial spielen. Dies betrifft u.a. folgende Punkte: die vorhandene Mandatsstruktur bzw. der Zugang zu bestehenden Mandanten, die Wettbewerbssituation und die Markt-, sprich Nachfrageseite sowie das persönliche Netzwerk.

  • Bei welchen Mandanten bestehen welche Potenziale für weiteres Geschäft?
  • Welche potenziellen Mandanten ließen sich über eine Spezialisierung leichter erschließen?
  • Wie sind meine direkten Wettbewerber aufgestellt?
  • Welche Themenschwerpunkte werden in meiner Region noch nicht ausreichend abgedeckt?
  • Welchen Zugang habe ich über mein Netzwerk?
  • Gibt es bezogen auf Branchen besondere Erfahrungen? Wo sehe ich den Markt dafür (regional/überregional)?

 

Spezialisierung braucht Mut und ein starkes Netzwerk

Die Entscheidung für Tiefe statt Breite braucht Mut. Eine Krux bei der Spezialisierung auf eine Zielgruppe oder eine fachliche Richtung ist immer der Gedanke, dass ich dann auf Mandanten/Umsatz verzichte, wenn jemand außerhalb meiner Spezialisierung um Rat bittet. Der Vorteil auf der anderen Seite ist, dass ich mich mit einer Spezialisierung und besonderen Expertise viel klarer vom Wettbewerb abheben und meine Zielgruppe viel direkter ansprechen und erreichen kann. Spezialisierung bedeutet auch, dass ich für mich viel schneller einen Expertenstatus erarbeiten kann und damit an Mandate komme, die dann auch lukrativer sein können, als wenn ich in der Breite berate und mich der Beliebigkeit preisgebe.

Wenn ich mich für Spezialisierung entscheide und damit nicht alles abdecken kann, ist ein funktionierendes Netzwerk wichtig, auf das ich bei Themen außerhalb meiner Spezialisierung verweisen oder zurückgreifen kann. Solche Allianzen oder Kooperationen sind für das Geschäftsmodell der Spezialisierung extrem wichtig und wertvoll. Durch den Verweis auf verlässliche Kollegen kann ich meinen bestehenden Mandanten eine Hilfestellung geben und andersherum profitiere ich von den Empfehlungen dieser Kollegen, wenn es um mein Spezialgebiet geht.

 

Klare Positionierung am Markt

Durch einen klaren Fokus bin viel näher an der Zielgruppe und deren Herausforderungen und kann mich somit viel schneller und einfacher profilieren und vom Wettbewerb abheben. Und ich kann meine Zielgruppe klarer benennen und weiß viel eher, wie, wo und womit ich sie erreichen kann.

Nach der Analyse und einer Entscheidung für eine Spezialisierung geht es im nächsten Schritt darum, dies nach außen zu tragen. Die gezielte und systematische Eigenvermarktung für viele Juristen eher ungewohnt. Aber klar ist auch: ohne eine professionelle Vermarktungsstrategie ist man dem Zufall ausgeliefert. Spezialisierung ist somit in doppelter Hinsicht eine Chance: Je klarer ich in meiner Aufstellung und Ausrichtung bin, umso klarer kann ich meine Positionierung am Markt zielgerichtet vorantreiben. Auch dieser Punkt trifft wieder genauso auf Anwälte in Einzelexistenz wie auch auf die Kanzlei insgesamt zu.

Je klarer ich meine Spezialisierung zuspitze, um so zielgerichteter kann ich sie am Markt platzieren. Neben dem „Gefunden werden“ gibt es zwei weitere vielversprechende Vermarktungsansätze: Zum einen bietet sich die Nutzung von Multiplikatoren, z.B. Verbänden, Instituten etc. an, zum anderen ein persönliches Netzwerk, das auf die Spezialisierungsstrategie einzahlt.

Für den Ausbau und die Nutzung eines persönlichen Netzwerks sind soziale Medien prädestiniert. So lässt sich z.B. bei XING oder LinkedIn gezielt nach Menschen recherchieren, die das suchen, was Sie in Ihrer Spezialisierung bieten. Vernetzen Sie sich hier gezielt mit „passenden“ Kontakten. Eine systematische Kommunikation über dieses Medium steigert die Bekanntheit rund um Ihr Spezialgebiet und vergrößert fast automatisch Ihr Netzwerk, wenn Menschen auf Sie aufmerksam werden und sich für Sie interessieren.

 

Langer Atem nötig

Eine starke Positionierung und hohe Sichtbarkeit am Markt lassen sich nicht über Nacht erreichen. Neben einer klaren Strategie und einer zielgerichteten Umsetzung braucht es Geduld und Konsequenz. Es sollte auch darum gehen, Dinge auszuprobieren, zu bewerten und ggfs. wieder zu verwerfen. Es wird zwei bis drei Jahre dauern, bis sich eine Spezialisierung „herumgesprochen“ hat und sich beginnt auszuzahlen. Das muss man aushalten wollen und können.

Die Entscheidung für eine Spezialisierung darf man sich nicht so vorstellen, dass man den berühmten Hebel umlegt und über Nacht vom Gemischtwarenladen zum prominenten Spezialanbieter wird. Als junger Anwalt ist man auch gut beraten, sich zunächst breiter zu orientieren und aufzustellen.  Ein breites Erfahrungsspektrum ist wichtig, um die persönlichen Stärken und Präferenzen für sich zu klären. Aber zu lange sollte es auch nicht dauern, bis sukzessive die Entscheidung für eine Spezialisierung reift und im nächsten Schritt eine bewusste Umsetzung erfolgt. Eine Weile kann man auch zweigleisig fahren – als Generalist und Spezialist.

Der Erfolg durch Spezialisierung wird über die Zeit einsetzen und es wird erkennbar werden, dass dieses zugespitzte Geschäftsmodell Früchte trägt. Dann gilt es, dranzubleiben und sich nicht von Gelegenheiten außerhalb der Spezialdisziplin locken zu lassen. Wer sich klar für ein Thema oder eine Branche positioniert und dafür sichtbar ist, hierzu veröffentlicht, sich dort tummelt, wo die Zielgruppe unterwegs ist und die Zielmandanten hegt und pflegt, wird nach und nach feststellen, dass es funktioniert: Man wird im Zielmarkt wahrgenommen, erhält die passenden Mandatsanfragen und wird in seinem Netzwerk als anerkannter Spezialist weiterempfohlen.

 

Fazit

Für eine Spezialisierungsstrategie ist ein langer Atem und Stringenz in der Umsetzung notwendig. Und gerade am Anfang braucht es den Mut, Dinge bewusst nicht zu tun, Opportunitäten vorbeiziehen zu lassen. Spezialisierung ist nur eine mögliche Ausprägung eines Geschäftsmodells. Diese Strategie ist, konsequent umgesetzt, deutlich erfolgversprechender, als sein Schild an die Tür zu schrauben und alles anzunehmen, was kommt.

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