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Halbzeit der Regierungskoalition – Stand der arbeitsrechtlichen Projekte

Vor rund zwei Jahren einigten sich die Parteien der sogenannten Ampel-Koalition auf den Abschluss einer Vereinbarung, auf deren Basis die kommenden vier Jahre regiert werden sollte und aktuell regiert wird. Unter dem Titel „Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“ haben die Koalitionsparteien seinerzeit einen bunten Strauß an arbeitsrechtlichen Vorhaben und Projekten festgehalten.

In Fortsetzung des Überblicks über die Vorhaben der damals neuen Regierungskoalition im Infobrief Arbeitsrecht 10-2021 ziehen wir nachstehend eine Halbzeitbilanz und blicken auf vollendete und unvollendete Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag.

I.

Mindestlohn und geringfügige Beschäftigung

Bereits im Koalitionsvertrag wurde eine gesetzliche Erhöhung des Mindestlohns auf 12,00 EUR festgehalten. Dabei sollte es sich nach der Formulierung des Vertrages um eine einmalige Erhöhung durch den Gesetzgeber handeln. In der Folgezeit soll die unabhängige Mindestlohnkommission wieder über etwaige weitere Änderungen entscheiden.

Durch das Gesetz zur Erhöhung des Schutzes durch den gesetzlichen Mindestlohn und zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung vom 28.6.2022 (BGBl I 2022, 969 ff.) wurde der gesetzliche Mindestlohn mit Wirkung zum 1.10.2022 um den vorgesehenen Betrag erhöht. Wenn auch mit offensichtlichen Bauchschmerzen, wurde ebenfalls der zweite Teil der Vereinbarung des Koalitionsvertrages in diesem Jahr umgesetzt. Trotz lauter Proteste auch aus dem Lager der Regierungsparteien erfolgte die Überprüfung und Änderung des Mindestlohns wieder auf der Basis der Entscheidung der Mindestlohnkommission.

Nicht zuletzt aufgrund der doch erheblichen Erhöhung des Mindestlohns durch den gesetzgeberischen Eingriff sah der Koalitionsvertrag vor, dass auch die Einkommensgrenzen für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse angepasst werden sollten. Ebenso sieht die Vereinbarung der Parteien vor, dass die Einkommensgrenzen für Beschäftigte im sogenannten Übergangsbereich des § 20 SGB IV angepasst werden.

Ebenfalls mit dem vorgenannten Gesetz vom 28.6.2022 erfolgte die neue Bestimmung der Geringfügigkeitsgrenze. Erstmals wurde nicht mehr ein fixer Betrag als Einkommensgrenze benannt. Vielmehr ergibt sich die Einkommensgrenze nunmehr rechnerisch aus dem jeweils aktuell geltenden Mindestlohn und einem Beschäftigungsverhältnis mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 10 Stunden.

Die Vereinbarung zum Mindestlohn und zu geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen sind somit mit den gesetzlichen Neuregelungen im Sommer 2022 vollständig umgesetzt worden.

II.

Arbeitszeit und Arbeitsort

Unter dieser Überschrift hält der Koalitionsvertrag fest, dass sich aus den Veränderungen in der Arbeitswelt und den geänderten Lebensgewohnheiten die Notwendigkeit sowohl zu gesetzlichen Anpassungen bezüglich der Arbeitszeit als auch des Arbeitsortes ergeben.

1. Arbeitszeit

Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass die Gestaltung der betrieblichen Arbeitszeit flexibilisiert werden soll. Auf der Grundlage eines 8-stündigen Arbeitstages sollen nach der Vereinbarung Möglichkeiten geschaffen werden, auf der Basis von Tarifverträgen oder hierauf beruhenden Betriebsvereinbarungen von den starren Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes abzuweichen. Ausdrücklich wird davon gesprochen, sogenannte Experimentierformen zu schaffen, die es den Arbeitsvertragsparteien ermöglichen, neuartige Regelungen zu erproben.

Eine Umsetzung dieses Vorhabens ist bisher nicht erfolgt. Soweit ersichtlich liegen hierzu auch keinerlei konkrete Planungen vor. Es verbleibt also eine Aufgabe für die zweite Halbzeit.

Kein Projekt des Koalitionsvertrages, gleichwohl aber ein – jedenfalls seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes – offenes Thema, ist der nunmehr vorgelegte Entwurf zur Arbeitszeiterfassung. In § 16 Arbeitszeitgesetz-E wird die grundsätzliche Verpflichtung zur digitalen Erfassung der Arbeitszeit festgehalten. Hiervon werden diverse Ausnahmen und Übergangsfristen zugelassen. Darüber hinaus sieht der Gesetzesentwurf eine Bußgeldbewährung für den Fall des Verstoßes gegen die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung vor.

2. Arbeitsort

Der Koalitionsvertrag hält verschiedene Festlegungen zur Arbeit im Home-Office fest. Einerseits wird die Arbeit im Home-Office abgegrenzt zur Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung. Andererseits sollen Regelungen erarbeitet werden, die dem notwendigen Gesundheitsschutz auch bei mobilem Arbeiten gerecht werden. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass Arbeitgeber dem Wunsch von Beschäftigten, im Homeoffice zu arbeiten, nur dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen.

Auch zur Umsetzung dieser Pläne fehlt es bislang an gesetzgeberischen Ansätzen. Soweit ersichtlich, liegen solche zurzeit auch nicht im Entwurfsstadium vor.

III.

Befristungsrecht

Nach der Koalitionsvereinbarung soll „der öffentliche Dienst als Arbeitgeber mit gutem Beispiel“ vorangehen, indem der Sachgrund der sogenannten Haushaltsbefristung abgeschafft wird. Darüber hinaus sollen Kettenbefristungen auf längstens sechs Jahre bei einem Arbeitgeber begrenzt werden. Ausnahmen hiervon sollen nur in besonderen Fällen möglich sein.

Auch die Umsetzung dieses Vorhabens bleibt offenkundig der zweiten Halbzeit der Legislaturperiode vorbehalten. Bislang sind keinerlei Maßnahmen zur Umsetzung feststellbar.

IV.

Weiterentwicklung der Mitbestimmung

Nach den überwiegend guten Erfahrungen, die mit der Digitalisierung der Betriebsratsarbeit während der Corona-Pandemie gemacht wurden, sieht der Koalitionsvertrag vor, dass Regelungen geschaffen werden sollen, die es den Betriebsräten ermöglichen, selbst zu entscheiden, welche Arbeiten analog, welche digital oder welche Arbeiten in einer Mischform durchgeführt werden sollen.

Ebenfalls digitalisiert werden soll die Möglichkeit der Gewerkschaften, Zugang zu einem Betrieb zu erhalten. Spiegelbildlich zu der derzeitigen Möglichkeit von Gewerkschaften, in Betrieben Zugang zu erhalten und tätig zu werden, soll dies auch in der digitalen Welt ermöglicht werden.

Die genannten Vorhaben zur Mitbestimmung warten ebenfalls noch auf eine Umsetzung in der zweiten Halbzeit der Legislaturperiode. Insbesondere bezüglich des digitalen Betriebszugangs wurden bereits sehr früh die Fragen laut, wie eine solche Umsetzung auch unter Beachtung des Datenschutzes erfolgen soll.

V.

Renteneintritt

In seinem sozialpolitischen Teil sieht der Koalitionsvertrag eine Vereinfachung der Regelung zum Renteneintritt, bezogen auf einen flexibleren Rentenbeginn und die Möglichkeiten zum Hinzuverdienst, vor.

Wie in der Koalitionsvereinbarung vorgesehen, ist die Umsetzung zur Vereinfachung und Erweiterung der sogenannten „Flexirente“ zwischenzeitlich durch das Achte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (8. SGB IV-Änderungsgesetz – 8. SGB IV-ÄndG) vom 20.12.2022 (BGBl I 2022, 2759 ff.) erfolgt. Auch wenn es sich dabei nicht direkt um ein arbeitsrechtliches Vorhaben der Koalition handelt, führen die geänderten Regelungen zu den Hinzuverdienstgrenzen zu praktischen vielfältigen Möglichkeiten, ältere Mitarbeiter weiterhin in den Betrieben einzusetzen.

VI.

Halbzeitbilanz

Wenn sich die Koalition an den von ihr selbst formulierten Zielen messen lassen will, bedarf es noch einiger Umsetzungsschritte zur Erfüllung der arbeitsrechtlichen Vorhaben. Dabei wird bei der angekündigten Änderung des Befristungsrechtes sicherlich sehr viel einfacher eine gemeinsame gesetzliche Umsetzung gefunden werden können als beispielsweise bei der Einführung des Rechtes auf Arbeit im Homeoffice. Auch die weitere Digitalisierung der Betriebsratsarbeit sollte einer selbst ernannten Fortschrittskoalition am Herzen liegen und möglichst zu Beginn der zweiten Halbzeit in Angriff genommen werden.

Markus Pillok, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, pillok@michelspmks.de

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