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Judenstern mit der Inschrift „nicht geimpft“ als Volksverhetzung

Es kann der Anfangsverdacht einer Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB bestehen, wenn der Beschuldigte einen Judenstern mit der Inschrift „nicht geimpft“ als Profilbild seines Accounts bei Telegram verwendet.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Würzburg, Beschl. v. 18.5.20221 Qs 80/22

I. Sachverhalt

Judenstern als Nichtgeimpfter als Profilbild

Der Beschuldigte engagiert sich seit geraumer Zeit in der sogenannten „Querdenkerszene“ und nimmt regelmäßig als Demonstrant an entsprechenden Kundgebungen teil. Er ist zudem Mitglied in zahlreichen Gruppen des weltweit tätigen Messenger-Dienstes „Telegram“. Dort unterhält er unter seinem Klarnamen einen eigenen Account, dessen Inhalte – wie dem Beschuldigten bekannt ist – für die Nutzer von „Telegram“ frei einsehbar sind. Der Beschuldigte stellte als Profilbild in den vorgenannten Telegram-Account das Bild eines gelben Sterns, der in dieser Art in der Zeit des Nationalsozialismus zur Kennzeichnung von Juden verwendet wurde, mit der Inschrift „nicht geimpft“ ein. Er setzte hierdurch das Schicksal von Menschen jüdischen Glaubens unter der NS-Herrschaft mit der Impfsituation in Deutschland aufgrund der gegenwärtigen Corona-Pandemie gleich. Wegen des Verdachts der Volksverhetzung gem. 130 Abs. 3 StGB hat die StA beim AG einen Durchsuchungsbeschluss beantragt. Gegen die Ablehnung des Erlasses des Beschlusses hat die StA Beschwerde eingelegt. Das LG hat den Beschluss des AG aufgehoben und den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erlassen.

II. Entscheidung

Verharmlosung des Holocausts

Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Durchsuchung nach den §§ 102, 105 StPO und einer Beschlagnahme nach den §§ 94, 98 StPO lägen vor. In rechtlicher Hinsicht bestehe der Anfangsverdacht einer Strafbarkeit wegen Volksverhetzung gemäß § 130 Abs. 3 StGB. Durch die Verwendung des „gelben Judensterns“ mit der Inschrift „nicht geimpft“ ziehe der Beschuldigte einen Vergleich zwischen der aktuellen öffentlichen Wahrnehmung und Behandlung ungeimpfter Personen und jüdischer Bürger unter der Herrschaft des Nationalsozialismus. Das Tragen des Judensterns habe jüdischstämmige Mitbürger nach außen hin für jedermann erkennbar machen sollen und war eine von den Nationalsozialisten im Jahr 1941 gesetzlich eingeführte Zwangskennzeichnung. Dies habe letztlich die staatlich betriebene Enteignung, Massendeportation und -vernichtung vorbereitet und sei damit eine öffentlich sichtbare Maßnahme zur Durchführung des Holocausts gewesen. Durch die Verwendung des Judensterns mit der Inschrift „nicht geimpft“ bringe der Verwender unmissverständlich zum Ausdruck, dass er sich in vergleichbarer Weise öffentlich gebrandmarkt, ausgegrenzt, rechtlos gestellt, verfolgt und existentiell bedroht fühlt. Ein derartiger Vergleich entbehre jedoch offenkundig jeglicher Tatsachengrundlage. Die Situation ungeimpfter Personen sei nicht einmal ansatzweise mit der jüdischer Bürger unter der Herrschaft der Nationalsozialisten vergleichbar und bagatellisiere die Qualität der damals begangenen Gräueltaten. Andere nicht strafbare Deutungsmöglichkeiten kämen nach dem derzeitigen Ermittlungsstand nicht in Betracht. (BayObLG, Beschl. v. 25.6.2020 – 205 StRR 240/20). Diese Verharmlosung erfolgte öffentlich i.S.d. § 130 Abs. 3 StGB.

Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens

Die Äußerung sei darüber hinaus geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören. Eingriffe in die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit dürften nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Dementsprechend sei dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingrenzendes Verständnis zugrunde zu legen. Der öffentliche Friede umfasse dabei den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Nicht tragfähig sei dagegen ein Verständnis, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung durch Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Ziel sei vielmehr der Schutz vor Äußerungen, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens beziehe sich demnach auf die Außenwirkung von Meinungsäußerungen. Zwar sei die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt und erfordere demnach keine konkrete Gefährdung oder gar tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens. Im Lichte der Rechtsprechung des BVerfG müsse jedoch die Tat bei einer objektiven Ex-ante-Betrachtung nach Inhalt, Ort oder anderen Umständen konkret geeignet gewesen sein, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen. Dies sei aufgrund einer Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation zu bestimmen, wobei bereits die Verhetzung eines aufnahme-/gewaltbereiten Publikums genügt (BVerfG NJW 2018, 2861). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabes bestehe nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen zumindest ein Anfangsverdacht für eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Nach den bislang vorliegenden Ermittlungserkenntnissen sei der Beschuldigte seit über zwei Jahren in der Querdenkerszene aktiv. Er sei Mitglied in 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, deren Namen und Inhalte auf eine extreme rechte politische Gesinnung schließen lassen. Den freiheitsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern werde in diesen Gruppen bisweilen nicht bloß kritisch, sondern offen feindselig entgegengetreten. Man stilisiere sich zum Opfer einer staatlichen Willkürherrschaft. Aus der kürzlich veröffentlichten Statistik des BKA für das Jahr 2021 ergebe sich, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 23 % angestiegen ist. Dies gelte nicht nur für die Propagandadelikte. Auch bei den Gewalttaten sei die Zahl um 15,5 % angestiegen. Einen Anstieg hätten insbesondere antisemitische Delikte zu verzeichnen. Der stärkste Zuwachs (147 %) habe bei Straftaten vorgelegen, die in weiten Teilen mit Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zusammenhingen. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen und in dem derzeitigen Diskussionsklima erscheine die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „nicht geimpft“ dazu geeignet, den empfundenen Opferstatuts und das Gefühl vermeintlicher Unterdrückung zu bestärken, die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln. Die Tatsache, dass der Beschuldigte den gelben Judenstern ausschließlich als Profilbild seines Telegram-Accounts benutzt hat, stehe dieser Annahme nicht entgegen. Die forensische Erfahrung der letzten Jahre habe zunehmend gezeigt, dass die Anzahl derer, die sich über das Internet radikalisieren und Gewaltbereitschaft zeigen, stetig zunimmt. Dementsprechend sei die in der Verwendung dieses speziellen Profilbildes zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung über die bloße Meinungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt und kann unmittelbar rechtsgutgefährdende Folgen auslösen. Dem Beschuldigten müsse sich die eklatante Diskrepanz seines Vergleichs und damit dessen verharmlosende Wirkung aufgedrängt haben.

III. Bedeutung für die Praxis

Überzeugend

Die Meinungsfreiheit des Art. 5 GG umfasst auch und gerade das Recht, kontroverse, unpopuläre und der Mehrheitsmeinung widersprechende Ansichten zu äußern, die sich dem ohnehin flüchtigen Zeitgeist und den hieraus resultierenden gerade aktuellen Anforderungen der political correctness entgegenstellen. Die Grenze zu strafbarer Volksverhetzung (hier: Verharmlosung des Holocausts) ist dünn und fließend und bedarf einer eingehenden Abwägung der objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalls im Rahmen des Merkmals „Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens“ (BVerfG a.a.O.; Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 130 Rn 13 ff., 32), zumal die Tathandlung des Verharmlosens anders als das Billigen oder Leugnen des Holocausts nicht stets die Eignung zur Friedensstörung indiziert (BVerfG a.a.O.). Das hat das LG Würzburg hier eingehend und in überzeugend Weise getan. Da hier aber jeder Einzelfall eine genaue Abwägung erfordert, ergeben sich Verteidigungsansätze anhand der jeweiligen konkreten Umstände des Falls.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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