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StRR-Kompakt 2022-08

Referentenentwurf „Gesetz zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“

Das BMJ hat am 19.7.2022 den Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Überarbeitung des Sanktionenrechts – Ersatzfreiheitsstrafe, Strafzumessung, Auflagen und Weisungen sowie Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“ vorgelegt. Der vorgelegte Gesetzentwurf sieht verschiedene Änderungen vor, und zwar:

  • Es sollen im Maßregelrecht die Anordnungsvoraussetzungen für die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in mehrfacher Hinsicht enger gefasst werden. Damit soll erreicht werden, die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wieder stärker auf die verurteilten Personen zu konzentrieren, die aufgrund ihres übermäßigen Rauschmittelkonsums und der daraus resultierenden Gefahr, erhebliche rechtswidrige Taten zu begehen, tatsächlich der Behandlung in einer solchen Einrichtung bedürfen.

  • Der Umrechnungsmaßstab von einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitstrafe in § 43 StGB soll so geändert werden, dass zukünftig zwei Tagessätze Geldstrafe einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen.

  • Außerdem soll die Strafzumessungsnorm des § 46 StGB erweitert werden. In den Katalog der in § 46 Abs. 2 StGB genannten menschenverachtenden Beweggründe und Ziele sollen ausdrücklich auch „geschlechtsspezifische“ sowie „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive aufgenommen werden.

  • Bei den Auflagen und Weisungen soll die Möglichkeit einer Therapieweisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56c StGB), der Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59a StGB) und des Absehens von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen (§ 153a StPO) ausdrücklich normiert werden.

Die Bundesländer und Verbände habe eine Stellungnahmefrist bis zum 24.8.2022.

Besetzungseinwand: Anforderungen

Gemäß § 222b Abs. 1 S. 2 StPO sind die Tatsachen, aus denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben. Die an diesen Vortrag zu stellenden Anforderungen entsprechen im Wesentlichen den Rügeanforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Daran hat sich durch die Neueinführung des § 222b Abs. 3 StPO durch das Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10.12.2019 nichts geändert. Ob einem Schöffen die Dienstleistung i.S.v. § 54 Abs. 1 S. 1 GVG zugemutet werden kann, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist – zur Wahrung des Rechts auf den gesetzlichen Richter – ein strenger Maßstab anzulegen. (Bereits gebuchter) Erholungsurlaub eines Schöffen stellt in der Regel einen Umstand dar, der zur Unzumutbarkeit der Dienstleistung führt. Im Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO überprüft das Rechtsmittelgericht die Ermessensentscheidungen des Vorsitzenden lediglich am Maßstab der Willkür.

OLG Hamm, Beschl. v. 12.5.2022 – 5 Ws 114/22

Längerfristige Observation: Fahren ohne Fahrerlaubnis

Wird bei einer längerfristigen Observation festgestellt, dass der Beschuldigte ein Kraftfahrzeug ohne die erforderliche Fahrerlaubnis führt, dürfen die erlangten personenbezogenen Daten nicht in dem Strafverfahren wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verwendet werden. Denn zur Aufklärung einer Straftat nach § 21 Abs. 1 StVG, die schon allgemein betrachtet keine Straftat von erheblicher Bedeutung darstellt, hätte eine längerfristige Observation nicht angeordnet werden dürfen (Gedanke des „hypothetischen Ersatzeingriffs“).

OLG Düsseldorf, Urt. v. 24.5.2022 – III-2 RVs 15/22

Unfallflucht: Belehrung des Halters

Der Halter eines Kraftfahrzeugs ist vor einer polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft im Rahmen von Unfallfluchtermittlungen grundsätzlich als Beschuldigter zu belehren, soweit seine Fahrereigenschaft nicht aufgrund anderer Erkenntnisse ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Durchführung einer sogenannten „informatorischen Befragung“ regelmäßig ermessensfehlerhaft. Erkenntnisse aus einer polizeilichen Befragung des Halters ohne vorherige Beschuldigtenvernehmung sind in diesem Fall unverwertbar.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 28.6.2022 – 5 Qs 40/22

Revisionsbegründung: Signatur eines anderen Rechtsanwalts

Auch eine mittels elektronischen Dokuments übermittelte Revisionsbegründung des Pflichtverteidigers muss von dem beigeordneten Verteidiger signiert sein und darf mithin nicht „in Vertretung für Rechtsanwalt … “ durch einen anderen Rechtsanwalt signiert worden sein.

BGH, Beschl. v. 8.6.2022 – 5 StR 177/22

Strafbefehlsrücknahme: Versand per beA

Mit Eingang der per beA versandten Einspruchsrücknahme auf dem Server des Gerichts tritt Rechtskraft des Strafbefehls und damit ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis ein, durch das sich das gerichtliche Verfahren von selbst erledigt hat. Darauf, dass dem eine Hauptverhandlung durchführenden Richter die Rücknahme des Einspruchs unbekannt geblieben ist, kommt es insoweit nicht.

OLG Celle, Beschl. v. 22.4.2022 – 1 Ss 5/22

beA: Wiedereinsetzung

Die bloße Erklärung des Verteidigers, dass eine Übermittlung der Berufung als elektronisches Dokument vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich ist, rechtfertigt keine Ersatzeinreichung. Ein Verteidiger muss vortragen, dass er über eine einsatzbereite technische Infrastruktur verfügt und ob eine Störung im Bereich der Hardware oder der Software oder in anderen Umständen begründet ist. Es ist ferner darzulegen, seit welchem Zeitpunkt die Störung besteht und ob bzw. wann sich der Verteidiger mit der gebotenen Sorgfalt um die (Wieder-) Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen bemüht hat.

LG Arnsberg, Beschl. v. 6.7.2022 – 3 Ns-360 Js 24/21-73/22

Zurückstellung der Strafvollstreckung: Entscheidungsvoraussetzungen

Die Entscheidung nach § 35 Abs. 1 BtMG über die Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung für den Fall des Vorliegens der in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen steht im Ermessen des Gerichts, welches bei dieser Entscheidung die gleichen Kriterien anzulegen hat wie die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über den Zurückstellungsantrag. Das Gericht darf sich nicht auf die in der Hauptverhandlung gewonnenen Erkenntnisse beschränken, sondern hat der Entscheidung auch die nach Urteilserlass von der Vollstreckungsbehörde ermittelten oder sonst bekannt gewordenen Umstände zugrunde zu legen.

OLG Jena, Beschl. v. 18.4.2022 – 1 Ws 88/22

Briefkontrolle: Verbot der Öffnung von Verteidigerpost

§ 29 Abs. 1 S. 1 StVollzG verbietet jede Kontrolle des gedanklichen Inhalts einer an den Gefangenen gerichteten Sendung. Verboten ist deshalb jedes (teilweises) Öffnen der Verteidigersendung; selbst die (teilweise) Öffnung der Verteidigerpost zur bloßen Feststellung der Absenderidentität oder die Kontrolle des Inhalts in Form einer groben Sichtung und eines Durchblätterns der Schriftunterlagen ist von dem Kontrollverbot umfasst.

LG Oldenburg, Beschl. v. 13.6.2022 – 50 StVK 51/22

Vollstreckung einer Geldstrafe: aktive Nutzungspflicht für die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft trifft bei der Vollstreckung von Geldstrafen eine Nutzungspflicht hinsichtlich der elektronischen Übermittlungswege für Vollstreckungsaufträge gegenüber dem jeweiligen Vollstreckungsorgan aus § 130d ZPO.

LG Osnabrück, Beschl. v. 7.6.2022 – 2 T 142/22;

Impfpassfälschung: keine Strafbarkeit nach altem Recht

Es handelt sich bei § 277 StGB a.F. gegenüber § 267 StGB um einen Fall privilegierender Spezialität.

BayObLG, Beschl. v. 3.6.2022 – 207 StRR 155/22

Trunkenheitsfahrt: E-Scooter

Der für Führer von Kraftfahrzeugen anerkannte sogenannte Beweisgrenzwert, ab dem die alkoholbedingte Fahrunsicherheit unwiderleglich („absolut“) besteht, gilt auch für Fahrer von Elektrokleinstfahrzeugen, namentlich für Nutzer von E-Scootern. Bei einem Regelfall kann die sonst erforderliche Gesamtabwägung der für oder gegen die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen sprechenden Umstände unterbleiben und die tatrichterliche Prüfung kann sich darauf beschränken, ob ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die der Katalogtat die Indizwirkung nehmen könnten. Auch gegen einen alkoholbedingt fahrunsicheren Fahrer eines E-Scooters können die Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet werden.

KG, Beschl. v. 31.5.2022 – 3 Ss 13/22

Geldwäsche: Vereitelung der Einziehung

Die vollständige Vernichtung eines aus einer rechtswidrigen Tat herrührenden Beziehungsgegenstandes mit der Folge der Vereitelung seiner Einziehung erfüllt den Tatbestand der Geldwäsche gem. § 261 StGB in der seit dem 18.3.2021 gültigen Fassung vom 9.3.2021 nicht, da die Vorschrift der Pönalisierung von Verhaltensweisen dient, welche darauf abzielen, inkriminierte Gegenstände unter Verdeckung ihrer Herkunft in den Finanz- und Wirtschaftskreislauf einzuschleusen, nicht darauf, ihm diese zu entziehen.

OLG Oldenburg, Urt. v. 20.6.2022 – 1 Ss 30/22

Sachbeschädigung: Anzünden eines Corona-Testzelts

Das Anzünden eines Corona-Testzelts ist eine gemeinschädliche Sachbeschädigung.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 9.6.2022 – 4 RV 26 Ss 173/22

Versammlungsrechtliches Vermummungsverbot: Reichweite

Wer an einer öffentlichen Versammlung unter freiem Himmel in einer Aufmachung teilnimmt, die geeignet und darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, verstößt auch dann gegen das Vermummungsverbot des § 17a Abs. 2 Nr. 1 VersammlG, wenn nicht die Identifizierung durch Behörden, sondern durch Gegendemonstranten verhindert werden soll.

OLG Karlsruhe, Urt. v. 30.6.2022 – 2 Rv 34 Ss 789/21

Verfassungsbeschwerde: gerichtliche Auslagenentscheidung

Eine gerichtliche Auslagenentscheidung verstößt gegen das Willlkürverbot, wenn mit ihr ohne Begründung von dem Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen wird und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt.

VerfGH Berlin, Beschl. v. 27.4.2022 – VerfGH 130/20

Aktive Nutzungspflicht: Bevollmächtigter des Betroffenen

Die Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 32d S. 2 StPO, § 111c OWiG gilt (nur) für Verteidiger und Rechtsanwälte. Einem Bevollmächtigten des Betroffenen ist es hingegen möglich, Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG, § 341 Abs. 1 StPO formgerecht per Telefax einzureichen.

KG, Beschl. v. 25.3.2022 – 3 Ws (B) 71/22

Geschäftsablauf beim AG: Eingang eines Schriftsatzes

Die Geschäftsabläufe eines AG müssen gewährleisten, dass ein Schriftsatz, der per Fax gut drei Stunden vor einer Hauptverhandlung über den allgemeinen Anschluss des Gerichts eingeht und den Hinweis „Eilt! Termin heute!“ enthält, bis zum Beginn der Hauptverhandlung die Geschäftsstelle erreicht.

OLG Zweibrücken, Beschl. v. 30.6.2022 – 1 OWi 2 SsRs 85/21

Zusätzliche Verfahrensgebühr: endgültige Einstellung

Die Einstellung nach § 154 Abs. 1 oder 2 StPO ist einer endgültigen Einstellung gleichzusetzen.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 6.7.2022 – 12 KLs 503 Js 1439/14

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