Beitrag

Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht als Gesundheitszeugnis

1. Ein ärztliches Attest über die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes enthält die konkludente Erklärung des Arztes, dass eine körperliche Untersuchung der genannten Person stattgefunden hat.

2. Wird in einem ärztlichen Attest der darin genannten Person bescheinigt, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei, handelt es sich um ein Gesundheitszeugnis i.S.v. § 278 Abs. 1 a.F. StGB.

3. Hat ein Täter das von einem Arzt vorunterzeichnete, in den sozialen Medien zum Download bereitgestellte Blanko-Formular, in dem der noch einzutragenden Person die medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes attestiert wird, mit seinen Personalien ergänzt und das vervollständigte Formular gegenüber der Polizei zur Vortäuschung einer bei ihm gegebenen Kontraindikation vorgezeigt, um die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes zu umgehen, ist eine Strafbarkeit wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278 Abs. 1 a.F., 279 a.F. StGB gegeben.

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Celle, Beschl. v. 27.6.20222 Ss 58/22

I. Sachverhalt

Formularattest aus dem Internet

Das LG hat den Angeklagten in der Berufung wegen Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach § 279 a.F. StGB verurteilt. Der Angeklagte nahm an einem Autokorso zur Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen teil. Einem Polizeibeamten zeigte er unaufgefordert eine Bescheinigung vor, mit der er eine medizinisch bedingte Befreiung von der Maskenpflicht vortäuschen wollte. Die Bescheinigung hatte er zuvor als Formular aus dem Internet heruntergeladen und seinen Namen eingetragen. Es handelte sich um das von dem Arzt Dr. B in den sozialen Medien mit der Bezeichnung „attest-pdf um der Mundschutzpflicht zu entkommen“ zum Download bereitgestellte Formular. In dem Formulartext wurde dem Verwender bestätigt, dass das Tragen eines Mundschutzes aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei. Dem Angeklagten war bewusst, dass dies unrichtig war. Seine Revision war erfolgreich.

II. Entscheidung

Keine Vorunterzeichnung durch Arzt festgestellt

Die getroffenen Feststellungen böten keine ausreichende Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses nach §§ 278, 279 a.F. StGB. Das Gesundheitszeugnis i.S.v. § 278 a.F. StGB müsse von einem Arzt oder einer anderen approbierten Medizinalperson ausgestellt worden sein. Das LG hat zwar festgestellt, dass der Angeklagte die in Rede stehende Bescheinigung auf der Grundlage eines von dem Arzt Dr. B in den sozialen Medien als Pdf-Datei zum Download bereitgestellten Formulars ausgefüllt hat. Jedoch fehlten Feststellungen dazu, ob das Formular von dem Arzt Dr. B bereits vorunterzeichnet worden war.

Bei Vorunterzeichnung liegt ein Gesundheitszeugnis vor

Bei Vorunterzeichnung liege hier ein unrichtiges Gesundheitszeugnis i.S.v. § 278 a.F. StGB vor. Gegenstand eines Gesundheitszeugnisses könnten eine frühere Erkrankung oder Verletzung sowie deren mögliche Folgewirkungen sein, ebenso eine Prognose seiner künftigen gesundheitlichen Entwicklung. Hierunter fielen sowohl die Darstellung relevanter Tatsachen und Symptome als auch deren sachverständige Bewertung. Nach der Rechtsprechung sei es nicht erforderlich, dass die Bescheinigung eine Diagnose enthält (OLG Stuttgart NJW 2014, 482). So würden insbesondere auch ärztliche Bestätigungen, ausweislich derer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes für eine bestimmte Person „aus medizinischen Gründen nicht ratsam sei“, vom Begriff des Gesundheitszeugnisses erfasst (LG Frankfurt NStZ-RR 2021, 282). Dem stehe im vorliegenden Fall des Angeklagten der im oberen Bereich seines „ärztlichen Attests“ enthaltene Passus „To whom it may concern“ („An den, der ein berechtigtes Interesse daran hat“) nicht entgegen. Es handele sich bei diesem Passus um eine im internationalen Sprachgebrauch bei Bescheinigungen übliche und auch bei Behörden verwendete Formulierung. Ihr lasse sich bei der gebotenen Gesamtbetrachtung des weiteren Inhalts der Bescheinigung kein einschränkender Sinngehalt dahin entnehmen, dass die Bescheinigung nicht zur Vorlage bei Behörden bestimmt war und keine individuell auf den Angeklagten bezogene Aussage über seinen Gesundheitszustand enthielt. Ein außenstehender Dritter habe diese Bescheinigung nur so verstehen können, dass bei dem Angeklagten individuelle medizinische Gründe vorlagen, aufgrund derer das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei ihm kontraindiziert war. Gerade hierauf ziele die Bereitstellung des Formulars zum Download durch Dr. B ab: Es sollte dem Verwender die Möglichkeit eröffnen, durch Einsetzung der eigenen Personalien in das Formular ein vermeintliches ärztliches Attest über die angeblich bei dem konkreten Verwender gegebene medizinische Kontraindikation des Tragens eines Mund-Nasen-Schutzes herzustellen, um dieses „Attest“ bei Dritten, einschließlich bei Behörden vorlegen und auf diese Weise die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes umgehen zu können. Ergänzend merkt der Senat an, dass es sicherlich richtig sei, dass ohne eine Pandemie, die auf einem Virus beruht, das überwiegend über Aerosole verbreitet wird, das generelle Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes „medizinisch nicht ratsam ist“, dass aber ebenso überhaupt nicht zweifelhaft sein könne, dass bei einer auf einem solchen Virus beruhenden Pandemielage das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes – entsprechend den allgemeinen Empfehlungen – medizinisch sinnvoll ist (Nds. Staatsgerichthof NVwZ 2021, 1608).

Unrichtig

Unrichtig i.S.v. § 278 a.F. StGB sei ein Gesundheitszeugnis u.a. dann, wenn die miterklärten Grundlagen der Beurteilung in einem wesentlichen Punkt nicht der Wahrheit entsprechen. Dies sei i.d.R. gegeben, wenn die für die Beurteilung des Gesundheitszustands erforderliche Untersuchung nicht durchgeführt wurde (BGH NStZ-RR 2007, 343). Bei Ausstellung eines ärztlichen Attests zur Befreiung von der Maskenpflicht werde stets konkludent erklärt, dass eine körperliche Untersuchung des Betroffenen stattgefunden hat. Ist eine körperliche Untersuchung im Einzelfall unterblieben, soll das Attest aber gleichwohl „richtig“ sein, müsse sich das Unterbleiben der Vornahme einer körperlichen Untersuchung aus dem Attest selbst ergeben. Das sei hier nicht der Fall gewesen.

Gescannte Unterschrift genügt

Sollte die Formularbescheinigung mit einer eingescannten Unterschrift von Dr. B versehen worden sein, wäre dies ausreichend, um die Urkundenqualität der Bescheinigung zu begründen. Zwar diene der Straftatbestand des Ausstellens eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses in § 278 Abs. 1 a.F. StGB dem Wahrheitsschutz im Beweisverkehr mit Urkunden, so dass unter den Tatbestand nur solche Gesundheitsbescheinigungen fielen, die Urkundenqualität i.S.v. § 267 Abs. 1 StGB haben. Dies wäre hier indes gegeben. Denn die Bescheinigung des Angeklagten wäre nicht mit einer für Außenstehende als bloße Reproduktion erscheinenden Fotokopie gleichzusetzen, welche nach der Rechtsprechung keine Urkunde darstellt (Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 267 Rn 19 ff. m.w.N.). Schriftstücke, die mit einer zuvor eingescannten Unterschrift versehen werden, erschienen nämlich nach Außen stets als Originale und besitzen daher Urkundenqualität (vgl. Fischer, § 267 Rn 22).

III. Bedeutung für die Praxis

Konkretisierungen

1. Das OLG Celle begnügt sich hier nicht mit einem Zehnzeiler, um den Erfolg der Revision zu begründen, sondern führt eingehend aus, dass der rechtliche Ansatz der Vorinstanz im Grundsatz richtig und das tatrichterliche Urteil nur wegen der fehlenden Feststellungen zur Vorunterzeichnung aufgehoben worden ist („Pyrrhussieg“). Neu ist dabei der Hinweis, dass diese Vorunterzeichnung auch bei einer gescannten Unterschrift zur Strafbarkeit führt (zur aktuellen Rechtsprechung zur Corona-Pandemie einschließlich der Urkundsdelikte Deutscher, StRR 5/2022, 5).

2. Kleine Anekdote: Die Revision hat eine Rechtfertigung der Tat durch Notwehr (§ 32 StGB) angenommen (!). Der Verteidiger ist nicht Vertreter des Angeklagten, sondern Organ der Rechtspflege und sollte es schon zur Wahrung der eigenen Seriosität und seines fachlichen Ansehens tunlichst vermeiden, einen solch – freundlich formuliert – offensichtlich neben der Sache liegenden Vortrag zu bringen.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…