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Fristbeginn für Verteidigerwechsel

1. Die Dreiwochenfrist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO wird erst mit Bekannt-machung der Beiordnungsentscheidung in Lauf gesetzt. Die bloße Kenntnis des Beschuldigten von der Entscheidung genügt nicht.

2. Der Fristbeginn setzt überdies voraus, dass der Beschuldigte auf die Möglichkeit zur Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wird.

(Leitsätze des Verfassers)

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 9.3.202213 Qs 16/22

I. Sachverhalt

Nicht vom Beschuldigten benannter Verteidiger beigeordnet

Der Beschuldigte wurde vorläufig festgenommen und erhielt sodann Gelegenheit, einen Pflichtverteidiger zu bezeichnen. Die von ihm daraufhin benannte Rechtsanwältin war jedoch wegen anderweitiger Termine nicht verfügbar. Das AG ordnete deshalb einen anderen, nicht vom Beschuldigten benannten Verteidiger bei. Von dieser Entscheidung wurde der Beschuldigte formlos in Kenntnis gesetzt, eine Verkündung, etwa im Rahmen der Haftrichtervorführung, bzw. eine Zustellung der Entscheidung erfolgte nicht.

Antrag auf Verteidigerwechsel abgelehnt

Mehrere Wochen später beantragte der Beschuldigte, gegen den inzwischen eine in anderer Sache verhängte Freiheitsstrafe von sechs Monaten vollstreckt wurde, die Auswechslung des Pflichtverteidigers gegen einen anderen Rechtsanwalt. Die StA erklärte sich hiermit einverstanden. Das AG jedoch wies den Antrag zurück, da weder vorgetragen sei, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Beschwerdeführer und dem ihm beigeordneten Verteidiger gestört sei, noch ein Wechsel mit dem Beschleunigungsgrundsatz vereinbar wäre. Der Verteidigerwechsel hätte das Verfahren um drei Wochen verzögert. Mit dem Umstand, dass zwischenzeitlich Überhaft notiert worden war und der Beschuldigte in anderer Sache Strafhaft verbüßte, setzte sich das AG in seiner Entscheidung nicht auseinander.

Sofortige Beschwerde erfolgreich

Die sofortige Beschwerde des Beschuldigten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Keine wichtigen Gründe gegen den Verteidigerwechsel

Nach Auffassung der Strafkammer sind die Voraussetzungen des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO erfüllt. Einem Antrag auf Auswechslung eines nicht vom Beschuldigten benannten Pflichtverteidigers sei zu folgen, wenn keine wichtigen Gründe entgegenstehen wie etwa die mangelnde Verfügbarkeit des gewünschten Verteidigers oder das Vorliegen eines Interessenkonflikts. Solche wichtigen Gründe lägen nicht vor. Dies gelte auch für die mit dem Verteidigerwechsel einhergehende Verfahrensverzögerung. Zwar sei ein solcher Zeitraum grundsätzlich nicht zu vernachlässigen; angesichts dessen, dass sich der Beschuldigte noch für mehrere Monate in anderer Sache in Strafhaft befindet, sei die Verzögerung jedoch nicht derart gewichtig, dass sie dem Verteidigerwechsel entgegenstünde.

Antrag nicht verfristet

Der Verteidigerwechsel sei auch fristgerecht beantragt worden. Maßgeblich für den Fristbeginn sei nicht die tatsächliche Kenntnis von der Beiordnung, sondern die Bekanntmachung der Bestellungsentscheidung. Da es vorliegend an einer Verkündung fehle, wäre eine Zustellung der Beiordnungsentscheidung erforderlich gewesen.

Hinweis auf möglichen Verteidigerwechsel erfor­derlich

Überdies sei die Antragsfrist auch deshalb nicht in Lauf gesetzt worden, weil der Beschuldigte nicht auf die Möglichkeit der Auswechslung des Pflichtverteidigers und die dabei einzuhaltende Frist hingewiesen wurde. Dies ergebe sich, so die Kammer, aus einer entsprechenden Anwendung des § 35a Abs. 1 StPO. Hiernach muss über die Möglichkeit eines befristeten Rechtsmittels belehrt werden, was dann auch für den ein Rechtsmittel ausschließenden (s. § 142 Abs. 7 S. 2 StPO) Antrag nach § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO gelten müsse. Denn nur dann, wenn der Beschuldigte die Möglichkeit zur Stellung des entsprechenden Antrags und dessen Frist kennt, könne es gerechtfertigt sein, ihm die Möglichkeit eines Rechtsmittels zu verwehren.

Andernfalls drohen Rechtsnachteile

Insoweit stellt sich die Kammer gegen einen Beschluss des Ermittlungsrichters beim BGH vom 14.9.2020 (2 BGs 619/20), in dem ausgeführt worden war, einem Beschuldigten entstehe durch den Ablauf der Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO kein Rechtsnachteil, da er weiterhin über die Nr. 3 dieser Vorschrift die Auswechslung des Pflichtverteidigers beantragen könne. Diese Sichtweise sei unzutreffend, da Nr. 3 strengere Voraussetzungen an einen Verteidigerwechsel stelle als die lediglich an den zeitlichen Ablauf bzw. die Benennung eines nicht benannten Verteidigers anknüpfende Nr. 1.

III. Bedeutung für die Praxis

Richtige Entscheidung

Die Entscheidung ist zutreffend, auch soweit sich die Strafkammer gegen den Ermittlungsrichter beim BGH stellt. Die Frist des § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO bzw. deren Ablauf sind für den Beschuldigten nicht bedeutungslos. Insbesondere wird zu Recht darauf hingewiesen, dass sich nach Ablauf der Dreiwochenfrist ein Verteidigerwechsel deutlich schwerer erreichen lässt als zuvor, muss dort doch ein in § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 StPO vom Gesetzgeber gerade nicht verlangter Vertrauensverlust substantiiert dargelegt werden. Die Hürden sind also deutlich höher, was dann auch die zahlreichen Entscheidungen, in denen ein zerrüttetes Vertrauensverhältnis verneint wurde, belegen. Aufgrund dieser im Falle einer Fristversäumnis drohenden Nachteile ist es nur konsequent, eine Belehrung des Beschuldigten über sein Antragsrecht und die einzuhaltende Frist zu verlangen.

Fristbeginn sorgfältig prüfen

Darüber hinaus zeigt die Entscheidung einmal mehr, dass es sich durchaus lohnen kann, den wirksamen Beginn einer Frist sorgfältig zu prüfen. So hätte vorliegend die Vorgehensweise des AG, dem Beschuldigten die Beiordnungsentscheidung lediglich formlos mitzuteilen, ohne sie im Termin nochmals zu verkünden (was ausgereicht hätte, um die Frist in Lauf zu setzen) auch bei ansonsten wirksamer Belehrung des Beschuldigten einen wirksamen Fristbeginn verhindert. Die bloße Kenntnis des Beschuldigten von der Beiordnungsentscheidung genügt insoweit, worauf die Strafkammer zu Recht hinweist, nicht.

RiLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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