Kategorie: Strafrecht

Strafrecht 2022 #07

Pflichtverteidiger: Abberufung Die Äußerung eines beigeordneten Rechtsanwalts, wonach die Hauptverhandlung „eine Farce“ sei und weder er noch der Angeklagte sich daher an ihr aktiv beteiligen würden, stellt keine ernsthafte und endgültige Verteidigungsverweigerung dar und rechtfertigt eine Entpflichtung des Pflichtverteidigers nach § 145 Abs. 1 S. 1 StPO auch dann nicht, wenn die Verteidigung bei Zeugenvernehmungen tatsächlich auf […]
I. Einführung Ausweisungen als mittelbare Folgen von strafrechtlichen Verurteilungen haben in den letzten Jahren für die Strafverteidigung stark an Bedeutung gewonnen. Das liegt insbesondere daran, dass das als Ordnungsrecht konzipierte Ausländerrecht (vgl. § 1 Abs. 1 AufenthG) die Bewertung von Straftaten und damit auch von – ausländischen – Straftätern zuletzt grundsätzlich verändert hat. Dies hat zu einer […]
Bei der Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines sog. Auslandszeugen ist das Tatgericht von dem Verbot der Beweisantizipation befreit und darf seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. In dem insoweit erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 S. 1 StPO) müssen […]
Eine Revisionsbegründungsschrift muss nicht handschriftlich unterzeichnet sein, wenn sie gemäß § 32d S. 2 StPO elektronisch übersandt wird und die Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) erfolgt. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 89/22 I. Sachverhalt Verwerfung der Revision als unzulässig, weil nicht handschriftlich unterzeichnet Das OLG Frankfurt am Main hatte […]
Zur Hinweispflicht nach § 265 Abs. 2 Nr. 3 StPO wegen veränderter Sachlage. (Leitsatz des Verfassers) OLG Hamm, Beschl. v. 13.1.2022 – 5 RVs 4/22 I. Sachverhalt Verurteilung wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz Das AG hat den Angeklagten wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz verurteilt. Soweit es den Angeklagten verurteilt hat, hat es folgende Feststellungen getroffen: „Im Herbst 2019 […]
1. Bei einem nicht der deutschen Sprache mächtigen Beschuldigten bedarf es zwingend der Übersendung einer Übersetzung des Strafbefehls, um die Einspruchsfrist in Gang zu setzen (LG Göttingen und AG Bremen). 2. Zur Bestellung eines Pflichtverteidigers bei einem ausländischen Angeklagten (AG Bremen). (Leitsätze des Verfassers) LG Göttingen, Beschl. v. 25.10.2021 – 2 Qs 70/21 AG Bremen, […]
Wenn sowohl die Eingangsumsätze (Warenbezug) als auch die Ausgangsumsätze (Warenveräußerung) zu niedrig vom Steuerpflichtigen angegeben werden – Fall der sogenannten Doppelverkürzung –, scheidet eine Warenverkehrsrechnung zur Ermittlung der verkürzten Steuer aus, weil sowohl der Warenanfangs- wie Warenendbestand nicht feststehen. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 10.2.2022 – 1 StR 484/21 I. Sachverhalt Schätzung bei Verurteilung […]
1. Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 EUR. 2. Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen, […]
1. Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis kann im Einzelfall auch sechzehn Monate nach Tatbegehung verhältnismäßig sein. 2. Resultiert die Verfahrensverzögerung aus der Sphäre der Verteidigung bzw. des Angeklagten, ist dies bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer erst später vorgenommenen Maßnahme nach § 111a StPO zu berücksichtigen. 3. Zum Grundsatz „einfach abwarten und bestreiten“ als „effektive Verteidigung“ […]
Voraussetzung für den Schluss aus Fehlverhaltensweisen betreffend die Fahrweise eines Kraftfahrzeugführers auf eine alkoholbedingte Fahrunsicherheit ist die sichere Feststellung, dass sie Folgen des Alkoholgenusses sind. Dabei sind die Anforderungen an die für das Vorliegen einer relativen Fahruntüchtigkeit festzustellenden alkoholbedingten Ausfallerscheinungen umso höher, je weiter eine festgestellte Blutalkoholkonzentration von der Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 ‰) entfernt […]
Zum rechtzeitigen Eingang eines per beA gestellten Entbindungsantrags. (Leitsatz des Verfassers) OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.5.2022 – IV – 2 RBs 78/22 I. Sachverhalt Einspruchsverwerfung Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er vor allem […]
1. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Frage zu ermöglichen, ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 S. 3 StVG eingreift oder nicht, ist der Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben. 2. Der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis lässt die Anwendung der […]
Nach §§ 67, 100c OWiG in Verbindung mit § 32d StPO ist ein Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid ausschließlich als signiertes elektronisches Dokument über das BeA – das besondere Anwaltspostfach – und das BeBPo – das besondere elektronische Behördenpostfach – zu übermitteln. Eine Übermittlung in Papierform oder als Telefax ist unzulässig. (Leitsatz des Gerichts) AG Tiergarten, Beschl. v. […]
1. Der Gegenstandswert von illegal produzierten und unversteuerten Zigaretten ist mit 0 EUR festzusetzen. 2. Das Verschlechterungsverbot findet im Wertfestsetzungsverfahren keine Anwendung. (Leitsätze des Gerichts) OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 9.2.2022 – 2 Ws 33/21 I. Sachverhalt Freispruch vom Vorwurf der Tabaksteuerhinterziehung In einem gegen den ehemaligen Angeklagten geführten Strafverfahren wegen Tabaksteuerhinterziehung wurde in der […]
Zur Wertfestsetzung bei einem Vermögensarrest gemäß §§ 111e, 111f. (Leitsatz des Verfassers) OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.12.2021 – Ws 1149/21 I. Sachverhalt Vermögensarrest über rund 3,2 Mio. EUR, Sicherung im Wert von rund 470.000 EUR Das AG hat mit Beschluss vom 19.4.2018 den Vermögensarrest in Höhe von 3.231.444,00 EUR in das Vermögen der Nebenbeteiligten angeordnet. Aufgrund dessen wurden Vermögenswerte […]

Strafrecht 2022 #06

Beschleunigungsgrundsatz: Sachverständigengutachten Bei der Einholung eines Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens unerlässlich, auf zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstellen ist, und gegebenenfalls zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist. OLG […]
1. Ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 StPO gebietet für sich genommen nicht eine Pflichtverteidigerbestellung nach § 141 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO. 2. Für die Frage, ob die sofortige Bestellung eines Verteidigers erforderlich ist, weil ersichtlich ist, dass der Beschuldigte sich selbst verteidigen kann, […]
Ein Pflichtverteidigerwechsel kommt nur in Betracht, wenn entweder das Vertrauensverhältnis zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Angeklagten endgültig zerstört oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Angeklagten gewährleistet ist (§ 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO). (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 22.2.2022 – StB 2/22 u. StB 3/22 I. Sachverhalt Das […]
1. Ein Verteidiger kann gemäß § 297 StPO Rechtsmittel für einen Beschuldigten im eigenen Namen einlegen; für ein solches Verständnis eines vom Verteidiger eingelegten Rechtsmittels streitet eine Regelvermutung. 2. Zu den Voraussetzungen für die Bestellungen eines zweiten Verteidigers gem. § 144 StPO. (Leitsätze des Verfassers) BGH, Beschl. v. 24.3.2022 – StB 5/22 I. Sachverhalt Beim […]
Zum Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung nach Entgegennahme einer Zahlung eines Familienangehörigen des Mandanten gegen dessen ausdrücklichen Wunsch. (Leitsatz des Verfassers) LG Köln, Beschl. v. 16.11.2021 – 111 Ks 6/21 I. Sachverhalt Gegen den Angeklagten ist ein Verfahren u.a. wegen versuchten Totschlags anhängig. Ihm war zunächst Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bestellt. Auf Antrag des Angeklagten hat das […]
Die rückwirkende Beiordnung eines Pflichtverteidigers ist dann zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine Beiordnung gemäß § 140 StPO vorlagen und die Entscheidung über den Beiordnungsantrag wesentlich verzögert wurde. (Leitsatz des Verfassers) LG Magdeburg, Beschl. v. 10.2.2022 – 25 Qs 8/22 I. Sachverhalt Gegen den Beschuldigten ist ein Verfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen anhängig. […]
Um den vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr i.S.d. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB (Herbeiführen eines Unglücksfalls) zu qualifizieren, muss die Absicht des Täters darauf gerichtet sein, dass sich gerade eine von ihm herbeigeführte verkehrsspezifische Gefahr verwirklicht. (Leitsatz des Gerichts) BGH, Urt. v. 9.12.2021 – 4 StR 167/21 I. Sachverhalt Das LG hat […]
Begehen mehrere Personen zusammen eine Steuerhehlerei, so erfordert die Einziehung des Wertes der gesamten gelieferten Ware nach §§ 73 Abs. 1, 73c S. 1 Variante 2 StGB nicht, dass der Mittäter bei Lieferung der unversteuerten Ware zugegen war. Vielmehr reicht es aus, dass er bei vorliegender Vereinbarung über die Beuteteilung die Beschaffung koordiniert bzw. der […]
Extrahiert ein Zahnarzt seinem Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne, begeht er die Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB. (Leitsatz des Gerichts) OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22 I. Sachverhalt Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 Abs. […]
Zur Unzulässigkeit einer Divergenzvorlage zum BGH. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 30.3.2022 – 4 StR 181/21 I. Sachverhalt Das AG hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 35 km/h zu einer Geldbuße von 120 EUR verurteilt. Die Messung wurde mit dem Messgerät ES 3.0 der Firma ESO vorgenommen. Der […]
Die verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons durch ein Halten i.S.v. § 23 Abs. 1a S. 1 StVO liegt nicht nur dann vor, wenn dieses mit der Hand ergriffen wird, sondern auch dann, wenn es auf dem Oberschenkel abgelegt wird. (Leitsatz des Gerichts) BayObLG, Beschl. v. 10.1.2022 – 201 ObOWi 1507/21 I. Sachverhalt Das AG hat die […]
Zum erforderlichen Umfang der Mitwirkung des Verteidigers an der Einstellung des Verfahrens. (Leitsatz des Verfassers) AG Dresden, Beschl. v. 9.3.2022 – 217 OWi 635 Js 16243/21 I. Sachverhalt Am 11.7.2020 kam es in Dresden zu einem Verkehrsunfall, an dem der vom Betroffenen geführte Pkw und ein Radfahrer beteiligt waren. Gegen den Betroffenen wurde deswegen ein […]
Auch die Mitteilung des Rechtsanwalts, dass sich sein Mandant „derzeit“ auf seinen ausdrücklichen Rat hin nicht zu der Sache äußern wird, genügt als Mitwirkung i.S.d. Nr. 5115 VV RVG. (Leitsatz des Verfassers) AG Augsburg, Urt. v. 20.12.2021 – 21 C 2535/21 I. Sachverhalt Gegen den Kläger, der seine Rechtsschutzversicherung nach Deckungszusage auf Zahlung von Gebühren […]

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…