Kategorie: Strafrecht

Strafrecht 2023 #03

Polizeiliche Befugnisse nach SOG MV: verdeckte Ermittler, Online-Durchsuchung, Quellen-TKÜ Der Einsatz von Vertrauenspersonen und verdeckt Ermittelnden kann den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen. Das gilt, wenn sie hierdurch kernbereichsrelevante Informationen erlangen. Darüber hinaus kann ihre Interaktion mit einer Zielperson unter besonderen Voraussetzungen bereits als solche den Kernbereich privater Lebensgestaltung berühren, ohne dass es noch auf den […]
I. Hintergrund „Die Corona-Pandemie ist vorbei.“ Nicht nur Deutschlands bekanntester Virologe Christian Drosten hat die Pandemie für überwunden erklärt. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist von seiner einst strengen Vorsicht abgerückt. Zum 1.2.2023 ist die Maskenpflicht im öffentlichen Personennah- und -fernverkehr entfallen. Weitere Lockerungen sind am 1.3.2023 erfolgt. Hiernach könnte diese Rechtsprechungsübersicht die letzte ihrer Art […]
Zur Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines sog. Auslandszeugen. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – 4 StR 263/22 I. SachverhaltAntrag auf Vernehmung von „Auslandszeugen“ Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und seine Ehefrau wegen Beihilfe verurteilt. Nach den Feststellungen des LG hatte sie ein Erbbaurecht an […]
Zur Unerreichbarkeit eines Zeugen im Falle mehrmonatiger ergebnisloser Fahndung aufgrund eines (internationalen) Haftbefehls. (Leitsatz des Gerichts) BGH, Beschl. v. 1.11. 2022 – 6 StR 219/22 I. Sachverhalt„Beweisantrag“: Zeuge mit unbekanntem Aufenthalt Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Bei den Geschäften soll er unter Einsatz eines EncroChat-Accounts Betäubungsmittel […]
Liegen die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung vor und wird der Beiordnungsantrag noch vor rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens gestellt, ist es ausnahmsweise möglich und geboten, rückwirkend auf den Zeitpunkt der Antragstellung einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn der Antrag vor Verfahrensabschluss aus justizinternen Gründen nicht verbeschieden wurde. (Leitsatz des Gerichts) OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.12.2022 – 4 […]
1. Ist neben einem Minderjährigen eines seiner Elternteile angeklagt, mit diesem gemeinschaftlich eine Straftat begangen zu haben, so kann sich der Jugendliche in aller Regel nicht selbst verteidigen, weshalb auch dann ein Fall der notwendigen Verteidigung gegeben ist, wenn dem mitangeklagten Elternteil nicht die elterlichen Verfahrensrechte nach § 67 Abs. 4 JGG ganz oder teilweise zu entziehen […]
Zum gegen den erkennbaren Willen des Sexualpartners heimlich ohne Kondom ausgeführten Geschlechtsverkehr (sogenanntes „Stealthing“). (Leitsatz des Gerichts) BGH, Beschl. v. 13.12. 2022 – 3 StR 372/22 I. SachverhaltGeschlechtsverkehr heimlich ohne Kondom ausgeübt Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Übergriffs verurteilt. Der Angeklagte und eine Besucherin wollten geschlechtlich verkehren. Nach einvernehmlichem Oralverkehr ging der […]
Kein strafbarer Versuch des Erwerbs von Betäubungsmitteln, sondern eine bloße Vorbereitungshandlung liegt vor, wenn bei einer Bestellung im Darknet nicht feststellbar ist, dass der Verkäufer die bestellte Ware bei der Post aufgegeben hat. (Leitsatz des Verfassers) BayObLG, Beschl. v. 5.12.2022 – 207 StRR 335/22 I. SachverhaltBetäubungsmittel im Darknet bestellt Das AG hat den Angeklagten u.a. […]
1. Auch wenn die Patientin oder der Patient mit den sexuellen Handlungen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses ausdrücklich einverstanden ist, versteht es sich in den meisten Fällen von selbst, dass ein Arzt, der sexuelle Handlungen an einer Patientin oder einem Patienten im Rahmen eines Beratungs-, Behandlungs- und Betreuungsverhältnisses vornimmt, dieses besondere Verhältnis i.S.v. § 174c StGB missbraucht. […]
Ob ein bedeutender Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegt, ist nach den objektiven wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen, um den das Vermögen des Geschädigten als unmittelbare Folge des Unfalls gemindert wird. Angemessen erscheint als Untergrenze für das Vorliegen eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ein Betrag von 1.750 EUR. (Leitsatz des Verfassers) LG Bochum, […]
Eine Rettungsgasse ist zu bilden „sobald Fahrzeuge … mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden“. Damit wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Überlegungsfrist nicht besteht, die Pflicht zur Bildung einer Rettungsgasse vielmehr sofort eingreift, nachdem die in § 11 Abs. 2 StVO beschriebene Verkehrssituation eingetreten ist. (Leitsatz des Verfassers) OLG Oldenburg, Beschl. […]
1. Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der anstelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin, einen Haftprüfungstermin oder den Termin zur Haftbefehlseröffnung als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten bestellt worden ist, beschränkt sich nicht nur auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teils 4 Abschnitt 1 VV RVG. 2. Der Haftzuschlag […]
Der einem Beschuldigten für die Haftprüfung beigeordnete Rechtsanwalt verdient nur eine Gebühr für eine Einzeltätigkeit. (Leitsatz des Verfassers) OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.1.2023 – 4 Ws 137/23 I. SachverhaltBestellung für Anhörung Der vormals Beschuldigte wurde am 29.6.2022 festgenommen und zur Eröffnung des Haftbefehls dem Ermittlungsrichter beim AG Stuttgart vorgeführt. Zu diesem Zeitpunkt wurde er bereits […]
Auch der notwendige Verteidiger, der nur für einen Tag bzw. Termin bestellt ist, ist für diesen begrenzten Zeitraum umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut. Daher kommt auch angesichts einer zeitlichen Begrenzung der Beiordnung eine gebührenrechtliche Einstufung der Tätigkeit als Einzeltätigkeit nicht in Betracht. (Leitsatz des Verfassers) LG Tübingen, Beschl. v. 6.2.2023 – […]

Strafrecht 2023 #02

Zuständigkeit des Gerichts: Strafmaßprognose Die Strafmaßprognose zur Bestimmung der Gerichtszuständigkeit ist zunächst von der Staatsanwaltschaft bei Anklageerhebung und sodann vom Gericht bei der Eröffnungsentscheidung einzelfallbezogen vorzunehmen. Dabei obliegt dem Gericht nicht nur eine Nachprüfung der Zuständigkeitsauswahl der Staatsanwaltschaft, sondern mit der Prüfung auch eine gerichtliche Entscheidung über den vorbestimmten gesetzlichen Richter. Für die zu treffende […]
I. Ausgangspunkt Die Begehung von sog. Propagandadelikten nimmt stetig zu. Hierzu zählen vorrangig § 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), § 130 StGB (Volksverhetzung) und § 140 StGB (Billigung von Straftaten). Hinweis Zukünftig wird man auch die zum 22.9.2021 eingeführte verhetzende Beleidigung nach § 192a StGB hinzunehmen müssen (Übersicht hierzu bei Hoven/Witting, NStZ 2022, 589). Der Schwerpunkt lag […]
1. Zum Grundsatz der Subsidiarität im Verfassungsbeschwerdeverfahren. 2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt, dass die Durchsicht von Papieren zügig durchgeführt wird, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, was als potenziell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was […]
Die bloße Möglichkeit, dass ein Untersuchungsgefangener Freiheiten missbraucht, reicht nicht aus, um Beschränkungen anzuordnen. Gerade bei Maßnahmen, die auch den Schutz der Familie betreffen, ist eine eingehende Prüfung der Notwendigkeit erforderlich. (Leitsatz des Verfassers) BVerfG, Beschl. v. 15.11.2022 – 2 BvR 1139/22 I. SachverhaltTelefonate mit den Eltern nur überwacht Das AG hat im Juni 2019 […]
1. Beschwerden gegen die Anberaumung von Hauptverhandlungsterminen oder gegen die Ablehnung eines Antrags auf Terminsverlegung sind ausnahmsweise zulässig, wenn der angefochtenen (Termins-)Entscheidung gewichtige und offensichtliche Ermessensfehler zugrunde liegen. 2. Eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung setzt voraus, dass der Vorsitzende des Gerichts bei der Terminierung neben der Belastung des Gerichts auch berechtigte Wünsche der Prozessbeteiligten, insbesondere des Verteidigers, […]
Verwendet ein Rechtsanwalt vom Prozessgegner an ihn zur Erfüllung der Forderung überwiesene Beträge für sich selbst, handelt es sich nicht um anvertrautes Fremdgeld und damit nicht um strafbare Untreue gem. § 266 StGB, wenn der Anwalt von seinem Mandanten keine Geldempfangsvollmacht erhalten hat oder die Einziehung der Forderung nicht genehmigt wird. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. […]
Wird ein gutgläubiger Steuerberater beauftragt, unrichtige Lohnsteueranmeldungen, unrichtige Meldungen zur gesetzlichen Sozialversicherung und zu den Sozialkassen der Bauwirtschaft (SOKA-Bau) bzw. der Berufsgenossenschaft abzugeben, so richtet sich die Beurteilung der Konkurrenzen für den mittelbaren Täter nach dessen Tatbeitrag, unabhängig von der Anzahl der Handlungen des Tatmittlers, die ihm zuzurechnen sind. Wird solchermaßen vom mittelbaren Täter der […]
Zur Strafbarkeit der Verweigerung eines Soldaten, einen Befehl zu befolgen, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen. (Leitsatz des Gerichts) OLG Celle, Beschl. v. 29.9.2022 – 1 Ss 14/22 I. SachverhaltBefehl zur Impfung verweigert Das AG hat den Angeklagten wegen Gehorsamsverweigerung verurteilt. Er ist Soldat der Bundeswehr. Er erhielt im Dezember 2021 von seinem Vorgesetzten telefonisch […]
1. Die Einziehung gemäß §§ 184b Abs. 6 bzw. 184c Abs. 6 StGB a.F (entspricht Abs. 7 n.F.) betrifft (nur) die Beziehungsgegenstände, etwa die Festplatte, auf der sich die inkriminierten Dateien befinden, nicht jedoch den gesamten Computer nebst Zubehör. 2. Als weniger einschneidendes Mittel kann die endgültige Löschung der Dateien in Betracht kommen. In diesem Fall wäre der Vorbehalt […]
1. Ein tatbestandliches Verhalten (hier: Sachbeschädigung), durch das der Täter bezweckt, auf die Gefahren des Klimawandels aufmerksam zu machen und die Politik zu Maßnahmen zu deren Abwehr zu veranlassen, ist weder vor dem Hintergrund des allgemeinen rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB noch als „ziviler Ungehorsam“ gerechtfertigt. 2. Eine strafrechtliche Rechtfertigung der Begehung einer Tat, die […]
Geht es um eine im absoluten Maß vergleichsweise niedrige Geschwindigkeitsüberschreitung – hier von 22 km/h –, ist nicht ohne weiteres und stets anzunehmen, der Fahrer habe die Übertretung anhand der äußeren Kriterien (Motorengeräusche, sonstige Fahrgeräusche, Fahrzeugvibration und Schnelligkeit der Änderung in der Umgebung) zwanglos erkannt. (Leitsatz des Gerichts) OLG Zweibrücken, Beschl. v. 11.7.2022 – 1 […]
1. Der Erlass eines neuen (inhaltlich abweichenden) Bußgeldbescheids ohne vorherige Aufhebung eines zuvor ergangenen Bußgeldbescheids in derselben Sache unter dem Datum des früheren Bußgeldbescheids ist nichtig und daher nicht geeignet, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen. 2. Die Verfolgungsverjährungsfrist wird durch die bloße Veranlassung einer Aufenthaltsermittlung im Hinblick auf den Betroffenen nicht unterbrochen, wenn zuvor keine vorläufige […]
1. Die Terminsgebühr für einen geplatzten Termin nach Vorbem. 4 Abs. 3 S. 2 VV RVG setzt nicht voraus, dass der Rechtsanwalt nur dann zu einem anberaumten Termin erschienen ist, wenn er im Gerichtsgebäude körperlich anwesend ist. Vielmehr steht auch dem nicht erschienenen Rechtsanwalt eine Terminsgebühr zu, wenn die Terminsabsage nicht so rechtzeitig erfolgt ist, dass dem […]
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