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Rechtzeitiger Eingang eines Entbindungsantrags

Zum rechtzeitigen Eingang eines per beA gestellten Entbindungsantrags.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.5.2022IV – 2 RBs 78/22

I. Sachverhalt

Einspruchsverwerfung

Das AG hat den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid auf der Grundlage von § 74 Abs. 2 OWiG verworfen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde, die er vor allem darauf stützt, das Gericht habe einen knapp 35 min vor Terminbeginn bei Gericht eingegangenen Entbindungsantrag nicht beachtet. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

OLG bezieht sich auf die Stellungnahme der GStA

Zur Begründung seiner Entscheidung bezieht sich das OLG auf die von der GStA im Verfahren abgegebene Stellungnahme. Die GStA hatte unter Hinweis auf die Rechtsprechung des OLG Rostock (VRR 9/2015, 16 = StRR 2015, 314) die Auffassung vertreten, dass der Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 1 nicht rechtzeitig gestellt worden sei. Dem hat sich das OLG angeschlossen.

Keine schematische Lösung

Bei Beantwortung der Frage, wann ein Entbindungsantrag noch als „rechtzeitig“ gestellt anzusehen sei, verbiete sich jede schematische Lösung. Es sei zu prüfen, ob in dem jeweiligen Einzelfall angelehnt an den Zugang von Willenserklärungen im Zivilrecht – unter gewöhnlichen Umständen bei üblichem Geschäftsgang und zumutbarer Sorgfalt – das Gericht von ihm Kenntnis hätte nehmen können und ihn deshalb einer Bearbeitung hätte zuführen müssen. Die reine Zeitspanne zwischen Antragseingang bis zum Hauptverhandlungstermin ist dabei nur ein Teilaspekt (OLG Rostock a.a.O.), wobei in diesem Zusammenhang die gewöhnlichen Geschäftszeiten des jeweiligen Gerichts nicht außer Acht zu lassen seien (vgl. OLG Bamberg NZV 2008, 259). Außerdem sei zu berücksichtigen, ob – falls der Kommunikationsweg via Fax gewählt wurde – die Telekopie an den Anschluss der zuständigen Geschäftsstelle oder an einen allgemeinen Anschluss des Gerichts versandt wurde. Im letzteren Fall bedürfe es eines Hinweises auf die Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter (OLG Bamberg StraFo 2017, 510).

Ordnungsgemäße gerichtsinterne Organisation

Hier sei es dem Gericht trotz ordnungsgemäßer gerichtsinterner Organisation nicht mehr möglich gewesen, den Antrag der zuständigen Richterin am AG vor dem Hauptverhandlungstermin zur Bearbeitung vorzulegen. Die Übersendung per beA sei an das EGVP, bei welchem es sich um ein zentrales Postfach des jeweiligen Amtsgerichts handelt, erfolgt. Die Eingangspoststelle ist für die Annahme, den Druck und die Verteilung der gesamten elektronischen Post des AG zuständig. Der Antrag sei jedoch am Hauptverhandlungstermin erst um 11:46 Uhr dem EGVP zugeleitet worden und die Verhandlung war auf 12:20 Uhr anberaumt. Damit hätten lediglich knapp 35 Minuten für die gerichtsinterne Weiterleitung des Schreibens zur Verfügung gestanden. Dass die notwendigen Arbeitsschritte ohne Weiteres in weniger als einer Stunde Arbeitszeit hätten vorgenommen werden können, sei gänzlich lebensfremd. Zumindest hätte es, wie bei der kurzfristigen Übersendung per Fax an einen allgemeinen Gerichtsanschluss, eines – ohne Weiteres zumutbaren – Hinweises auf die besondere Eilbedürftigkeit der Vorlage an den zuständigen Richter bedurft. Daran habe es gefehlt.

EGVP

Zudem: Bereits aus der Bezeichnung der Empfangsstelle „Elektronisches Gerichts- und Verwaltungspostfach“ (EGVP) ergebe sich – so das OLG – zwanglos, dass es sich um eine zentrale Poststelle des Gerichts und nicht um das Postfach der Geschäftsstelle handelt – vergleichbar mit der zentralen Fax-Stelle des Gerichts. Hieraus ergebe sich auch, dass die eingehende elektronische Post für alle Abteilungen des AG von Mitarbeitern des Gerichts gesichtet und ggfs. – soweit wie hier die elektronische Akte noch nicht eingeführt worden ist – ausgedruckt und an die Geschäftsstelle der zuständigen Abteilung weitergeleitet werden muss. Angesichts dessen hätte der Verteidiger des Betroffenen in den zur Verfügung stehenden Textfeldern zu Bezeichnung der übersandten Datei etwa unter „Betreff‘ nicht nur „Bußgeldsache“ mit dem Namen seines Mandanten eingeben können, sondern auch den Gegenstand der Eingabe sowie den Zusatz „eilt“, was sich angesichts der Umstände des Falles eigentlich von selbst erklärt. Unabhängig davon gebe die Justizverwaltung auf ihrer Internetseite https://www.justiz.nrw/Gerichte_Behoerden/anschriften/elektronischer_rechtsverkehr/ERV_Hinweise/index.php Hinweise dazu, wie insbesondere auch eilige Eingaben gekennzeichnet werden können. Dort heiße es etwa: „Bei der Übermittlung soll, sofern bekannt, das gerichtliche Aktenzeichen angegeben werden. Dies ist in das dafür vorgesehene Feld ‚Aktenzeichen‘ einzutragen. Wenn dieses Feld nicht zur Verfügung steht (wie z.B. bei der Versendung von DE-Mails), ist das Aktenzeichen im Feld ‚Betreff‘ einzutragen. Dabei ist vor und nach dem Registerzeichen jeweils ein Leerzeichen zu setzen. In Fällen, in denen das gerichtliche Aktenzeichen noch nicht bekannt ist, soll der Begriff ‚Neueingang‘ verwendet werden. Handelt es sich um einen ‚echten Eilantrag‘ (z.B. Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, Antrag auf Anordnung des Arrestes etc.), sollen zusätzlich der Begriff ‚EILT!‘ sowie der spezifizierte Antrag verwendet werden.“ Zudem seien dort Beispiele eingestellt, wie gekennzeichnet werden solle.

III. Bedeutung für die Praxis

Hauch von verstecktem Entbindungsantrag

1. Ein Hauch von „verstecktem Entbindungsantrag“ zieht durch den Beschluss, obwohl eben nur ein Hauch. So richtig traut sich der entscheidende Einzelrichter offenbar aber nicht; von „Rechtsmissbrauch“ zu schreiben. Da versteckt man sich mal lieber wieder hinter eine „Einzelfalllösung“ oder eben hinter: Bei der Justiz geht es nicht so schnell bzw. wo kommen wir denn da hin, wenn man eine zeitnahe Weiterleitung eines Antrags verlangen wollte! Mir erschließt sich nicht, warum das in 35 Minuten, die zur Verfügung standen, nicht möglich gewesen sein soll. Zudem ja wohl die Geschäftsstelle der zuständigen Abteilung auch über einen Telefonanschluss verfügt. Hoffentlich. So setzt man dann die Rechtsprechung zur „Rechtzeitigkeit des Entbindungsantrags“ fort (vgl. dazu Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 1515; zur sog. Gehörsrügenfalle Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 1584 m.w.N.).

Unverständlich

M.E. ist das unverständlich und kaum nachvollziehbar. Denn einerseits hat man sich dazu entschlossen, die digitale Kommunikation gesetzlich festzuschreiben und Verfahrensbeteiligte teilweise sogar dazu verpflichtet. Andererseits schafft man es aber nicht, die technischen Möglichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit eingehende Schriftsätze direkt anhand des Aktenzeichens nach Eingang an das entsprechende Empfangsgerät auf der betroffenen Geschäftsstelle digital, ohne manuelle Zwischenschritte, weitergeleitet werden. Und man bestraft mit dem Einwand: „nicht rechtzeitig“ dann den Betroffenen, dessen Verteidiger ja gerade durch die Korrespondenz über beA/EGVP dem gesetzgeberischen Willen zur Einführung der digitalen Kommunikation Folge leistet. Zudem dürfte der vom OLG hier gezogene Vergleich zum zentralen Faxgerät des Gerichts kaum passen. Denn beim Fax besteht die vorbezeichnete technische Möglichkeit nicht. Es ist also klar, dass das Fax in Papierform bei dem zentralen Faxgerät landet und erst körperlich zum zuständigen Richter bzw. zu seiner Geschäftsstelle transportiert werden muss. Von daher kann man auch kaum von „ordnungsgemäßer gerichtsinterner Organisation“ sprechen.

Vorgaben beachten

2. Verteidiger haben in vergleichbaren Fällen, wenn sie die Nichtbeachtung eines (Entbindungs-)Antrags verhindern wollen, nur die Möglichkeit, die Vorgaben des OLG Düsseldorf und vor allem der Justizverwaltung des jeweiligen Bundeslandes auf den entsprechenden Internetseiten zu beachten. Willkommen im 21. Jahrhundert!

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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