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StRR-Kompakt 2022-06

Beschleunigungsgrundsatz: Sachverständigengutachten

Bei der Einholung eines Gutachtens ist es zur gebotenen Beschleunigung des Verfahrens unerlässlich, auf zeitnahe Erstellung des Gutachtens hinzuwirken. Es sind deshalb mit dem Gutachter Absprachen darüber zu treffen, in welcher Frist ein Gutachten zu erstellen ist, und gegebenenfalls zu prüfen, ob eine zeitnähere Gutachtenerstattung durch einen anderen Sachverständigen zu erreichen ist.

OLG Naumburg, Beschl. v. 22.3.2022 – 1 Ws (s) 84/22

Pflichtverteidiger: rückwirkende Bestellung

Jedenfalls dann, wenn der Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers ordnungsgemäß vor Abschluss/Einstellung des Verfahrens gestellt und über ihn allein aufgrund justizinterner Verzögerungen in einer gegen das Unverzüglichkeitsgebot i.S.d. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO verstoßenden Weise nicht entschieden worden ist, ist eine rückwirkende Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger zulässig. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO findet auch dann Anwendung, wenn gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft in einem anderen Verfahren vollstreckt wird. Unverzüglich i.S.d. § 141 Abs. 1 S. 1 StPO bedeutet, dass die Pflichtverteidigerbestellung zwar nicht sofort, aber so bald wie möglich ohne schuldhaftes Zögern, d.h. ohne sachlich nicht begründete Verzögerung, erfolgen muss.

LG Hamburg, Beschl. v. 11.4.2022 – 612 Qs 6/22

Pflichtverteidiger: EncroChat

Aus dem Umstand, dass die Ermittlungen teilweise auf EncroChat-Daten beruhen, ergibt sich nicht zwingend eine besondere Komplexität, die die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers erfordert.

LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 7.4.2022 – 22 Qs 18/22

Pflichtverteidiger: Anstaltsunterbringung; Absehen von der Bestellung

Zur Anstaltsunterbringung i.S.d. § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO gehören insbesondere die verschiedenen Formen der Haft sowie die Unterbringung nach §§ 63, 64 StGB, ebenso indes auch – in analoger Anwendung – die stationäre Behandlung in einer Drogentherapieeinrichtung nach § 35 BtMG sowie ein die persönliche Freiheit erheblich einschränkender Aufenthalt in einer stationären Alkoholentzugsbehandlung. Die Regelung des § 141 Abs. 2 S. 3 StPO ist sowohl ihrem Wortlaut als auch ihrer systematischen Stellung nach lediglich auf Fälle der Pflichtverteidigerbestellung von Amts wegen nach § 141 Abs. 2 StPO anzuwenden, nicht jedoch auf Fälle der Bestellung auf Antrag des Beschuldigten nach § 141 Abs. 1 StPO.

LG Hannover, Beschl. v. 8.4.2022 – 40 Qs 12/22

Pflichtverteidiger: Einziehung

Auch wenn es sich bei der Einziehung nach §§ 73 ff. StGB nicht um eine Nebenstrafe handelt, sondern um eine Maßnahme i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB eigener Art, ist sie als sonstige Rechtsfolge, die einem Angeklagten ggf. im Fall seiner Verurteilung droht, bei der Beurteilung der „Schwere der Rechtsfolge“ i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO zu berücksichtigen.

LG Magdeburg, Beschl. v. 28.4.2022 – 25 Qs 32/22

Terminierung: Rechtsmittel

Die Beschwerde gegen Terminsverfügungen des Vorsitzenden ist grundsätzlich unstatthaft.

KG, Beschl. v. 15.3.2022 – 2 Ws 27/22

Letztes Wort: abwesender Betroffener

Der Verteidiger ist – auch als bevollmächtigter Vertreter des abwesenden Betroffenen – weder zum letzten Wort aufzufordern noch kann er verlangen, nach seinem Schlussvortrag noch ein letztes Wort zu haben.

OLG Hamm, Beschl. v. 12.4.2022 – 5 RBs 98/22

Sitzungshaftbefehl: Verhältnismäßigkeit

Eine Verhaftung des Angeklagten nach § 230 Abs. 2 StPO ist mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren, wenn mit der erforderlichen Sicherheit bei verständiger Würdigung aller Umstände zu erwarten ist, dass der Angeklagte zum Termin erfolgreich vorgeführt werden kann.

LG Leipzig, Beschl. v. 10.5.2022 – 8 Qs 26/22

Pflichtverteidigerbestellung: Dauer

Die Pflichtverteidigerbestellung endet regelmäßig erst mit dem rechtskräftigen Abschluss oder der Einstellung des Strafverfahrens; eine Beschränkung der Bestellung auf die jeweilige Instanz ist daher grundsätzlich fehlerhaft.

KG, Beschl. v. 25.2.2022 – (2) 161 Ss 25/22 (7/22)

Pflichtverteidigerbestellung: Aufhebung

Nach rechtskräftigem Abschluss eines Strafverfahrens ist die Aufhebung einer Pflichtverteidigerbestellung nicht mehr möglich.

KG, Beschl. v. 28.3.2022 – 2 Ws 57/22

Berufungsverwerfung: Nichterscheinen

Der Angeklagte ist auch dann als bei Beginn des Hauptverhandlungstermins nicht erschienen zu behandeln (§ 329 Abs. 1 S. 1 StPO), wenn er zwar zum Termin erscheint, sich aber nicht als Angeklagter zu erkennen gibt und Fragen des Gerichts zu seiner Identität verweigert. Zu aufwändigen, dem Zweck des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO zuwiderlaufenden Ermittlungen zur Feststellung der Identität einer in der Hauptverhandlung erschienenen Person, bei welcher es sich nur möglicherweise um den Angeklagten handelt, ist das Gericht nicht verpflichtet.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 27.4.2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22

Pflichtverteidiger: besondere Schwierigkeit

Das „Gebot bestmöglicher Sachaufklärung“ (BVerfG, Beschl. v. 8.11.2006 – 2 BvR 578/02) erhebt die gerichtliche Verpflichtung zur Einholung eines kriminalprognostisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens in § 454 Abs. 2 S. 1 StPO zum gesetzlichen Regelfall und indiziert damit zugleich eine besondere Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage i.S.v. § 140 Abs. 2 StPO.

OLG Dresden, Beschl. v. 6.4.2022 – 2 Ws 93/22

Zurückweisung eines Befangenheitsantrags: sofortige Beschwerde

Die Vorschrift des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO ist bei einer sofortigen Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Ablehnung eines Mitglieds der Strafvollstreckungskammer im Verfahren über die Strafrestaussetzung nicht entsprechend anwendbar (Anschluss OLG München, Beschl. v. 21.9.2020 – 1 Ws 685/20; entgegen OLG Bremen, Beschl. v. 7.1.2019 – 1 Ws 116/18).

OLG Celle, Beschl. v. 2.5.2022 – 1 Ws 27/22

Sperrfrist: Aufhebung

Die Aufhebung der Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis hat zu erfolgen, wenn eine auf neue Tatsachen gestützte hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass sich der Verurteilte im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweisen wird. Die Beurteilung dieser Wahrscheinlichkeit darf dabei nicht schematisch erfolgen., sondern muss sämtliche allein täterbezogene Umstände des Einzelfalls berücksichtigen. Sind solche Umstände festzustellen, steht dem Gericht kein Ermessen zu.

LG Berlin, Beschl. v. 5.5.2022 – 506 Qs 27/22

Tabaksteuer: gewerbliche Zwecke

Gewerbliche Zwecke i.S.d. § 23 Abs. 1 S. 1 TabStG umfassen alles, was nicht dem Eigenbedarf dient, d.h. jede Weitergabe verbrauchsteuerpflichtiger Tabakwaren an Dritte. Auf eine Gewerbsmäßigkeit im üblichen Wortsinn kommt es nicht an. Dies gilt auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des § 39 Abs. 2 TabStV n.F.

LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 4.4.2022 – 12 Ns 513 Js 393/18

Strafrahmenwahl: Schadenswiedergutmachung

Liegen die Voraussetzungen des § 46a Nr. 2 StGB vor, ist die Möglichkeit einer Strafrahmenverschiebung zu erörtern.

KG, Beschl. v. 25.2.2022 – (2) 161 Ss 25/22 (7/22)

Drogenfahrt: Medikamentenklausel

Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Frage zu ermöglichen, ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 S. 3 StVG eingreift oder nicht, ist der Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben. Der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis lässt die Anwendung der Medikamentenklausel grundsätzlich nicht entfallen. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen liegt aber dann vor, wenn nachzuweisen ist, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre.

OLG Koblenz, Beschl. v. 13.4.2022 – 3 OWi 31 SsBs 49/22

Anhörungsrüge: Gebührenhöhe bei Eingang nach dem 31.12.2020

Für eine nach dem 31.12.2020 bei Gericht eingegangene – ohne Erfolg gebliebene – Anhörungsrüge gemäß § 133a FGO beträgt die Festgebühr nach Maßgabe der zeitlichen Anwendungsregel in § 71 Abs. 1 S. 1 GKG noch 60 EUR (und nicht bereits 66 EUR), wenn sich die Rüge auf eine gerichtliche Entscheidung bezieht, deren Verfahren vor dem 1.1.2021 und damit vor Inkrafttreten des Kostenrechtsänderungsgesetzes vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, S. 3229) anhängig geworden ist. Dies hat seinen Grund darin, dass die Anhörungsrüge ein auf die Fortsetzung des ursprünglichen Verfahrens gerichteter Rechtsbehelf ist (nicht amtlich veröffentlichter Leitsatz des Gerichts).

BFH, Beschl. v. 16.2.2022 – X S 16/21

Einziehung: außergerichtliche Beratung

Die Gebühr Nr. 4142 VV RVG entsteht u.a. für eine Tätigkeit des Verteidigers für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung bezieht. Dabei setzt der Gebührentatbestand nicht zwingend eine gerichtliche Tätigkeit oder einen Antrag der Staatsanwaltschaft voraus, sondern kann auch im Falle außergerichtlichen Beratung in Ansatz gebracht werden.

OLG Braunschweig, Beschl. v. 1.3.2022 – 1 Ws 38/22

Anfechtung des Vollzugplans: Streitwert

Angesichts der geringen finanziellen Leistungsfähigkeit von Gefangenen ist der Streitwert in Strafvollzugssachen in der Regel niedrig festzusetzen. Bei der Anfechtung eines Vollzugsplans erscheint die Festsetzung eines Streitwerts in Höhe von 1.500 EUR angemessen (§§ 52 Abs. 1, 60 GKG).

KG, Beschl. v. 22.2.2022 – 2 Ws 101/21 Vollz

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