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Entziehung der Fahrerlaubnis nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort

1. Die Wertgrenze für einen bedeutenden Schaden i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt jedenfalls nicht unter 1.500 EUR.

2. Jedenfalls in Fällen, in denen der auf der Basis eines Kostenvoranschlags festgestellte Schaden nicht sehr über der Wertgrenze eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB liegt, ist der Inhalt des Kostenvoranschlags in den Urteilsgründen näher darzulegen, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob dieser tatsächlich ausschließlich Positionen enthält, die bei der Bewertung eines bedeutenden Schadens berücksichtigungsfähig sind (also etwa nicht: Mietwagenkosten).

(Leitsätze des Gerichts)

OLG Hamm, Beschl. v. 5.4.20225 RVs 31/22

I. Sachverhalt

Nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort sechs Monate Sperre

Das AG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen § 142 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und zugleich eine Sperre für die Neuerteilung der Fahrerlaubnis von sechs Monaten angeordnet. Die Berufung des Angeklagten hat das LG als unbegründet verworfen. Hinsichtlich des Entzugs der Fahrerlaubnis ist das LG davon ausgegangen, dass das Regelbeispiel des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB erfüllt sei, da an dem geschädigten Fahrzeug ein Schaden von bedeutendem Wert entstanden sei. Diesbezüglich hat das LG festgestellt, dass sich der vordere Stoßfänger des Fahrzeugs des Angeklagten und das Heck des Geschädigtenfahrzeugs beim Ausrangieren aus einer Parklücke ineinander verhakten und sich der Sachschaden an dem zuvor unbeschädigten Fahrzeug des Geschädigten auf 1.768,86 EUR belaufe. Seine Überzeugung hat das LG auf einen in der Hauptverhandlung verlesenen Kostenvoranschlag gestützt. Die Revision des Angeklagten hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Darstellungsmangel in Bezug auf die Schadenshöhe

Das OLG hat in Bezug auf das unerlaubte Entfernen vom Unfallort den Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Nach Auffassung des OLG leiden die Urteilsfeststellungen zur Schadenshöhe an einem Darlegungsmangel.

Bedeutender Schaden

Ob ein bedeutender Schaden vorliege, beurteile sich – so das OLG – nach der Höhe des Betrages, um den das Vermögen des Geschädigten als direkte Folge des Unfalls vermindert werde (KG VRR 1/2022, 2 [Ls.] m.w.N.). Da bei der Bemessung dieser Schadensgrenze nur diejenigen Schadenspositionen berücksichtigungsfähig seien, die zivilrechtlich erstattungsfähig seien, müsse das Tatgericht jedenfalls bei Unfallgeschehen, bei denen – wie hier – nicht bereits von vornherein ersichtlich sei, dass ein bedeutender Schaden entstanden sei (KG a.a.O. m.w.N.), nicht nur mitteilen, welche unfallbedingten Fremdschäden entstanden seien, sondern auch, wie diese wertmäßig zu beziffern seien. Dies könne regelmäßig etwa durch (gedrängte) Wiedergabe eines entsprechenden schriftlichen Kfz-Sachverständigengutachtens geschehen (KG a.a.O.).

Darstellung der Kostenpositionen erforderlich

Den Anforderungen werde das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das LG teile lediglich mit, dass sich das Fahrzeug des Angeklagten im Bereich des vorderen Stoßfängers mit dem Heck des geschädigten Fahrzeugs verhakte und hierdurch ein Sachschaden in Höhe von 1.768,85 EUR entstanden sei. Diese Schadenssumme liege nur geringfügig über der für den Schadensbetrag maßgeblichen Grenze, die im Hinblick auf die allgemeine Preissteigerung jedenfalls nicht unter 1.500 EUR anzusetzen sei (im Jahr 2014 noch für 1.300 EUR OLG Hamm VRR 1/2015, 13 = StRR 2015, 112). Da sich bei einem derartigen Unfallgeschehen ein bedeutender Fremdschaden nicht aufdränge, hätte es daher einer (gedrängten) Darstellung der in Ansatz gebrachten Kostenpositionen zumindest auf Basis eines aussagekräftigen Kostenvoranschlags bedurft, um den Senat in die Lage zu versetzen, die Erstattungsfähigkeit der Kosten bzw. ihre Berücksichtigungsfähigkeit im Rahmen der Bewertung des bedeutenden Schadens (also z.B. nicht Mietwagenkosten, vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl. 2022, § 69 StGB Rn.27) zu überprüfen.

III. Bedeutung für die Praxis

„Butter bei die Fische“

1. Leider wieder eine der typischen revisionsrechtlichen Entscheidungen, in denen sich das Revisionsgericht nicht festlegt, getreu der revisionsrechtlichen Maxime: Wir entscheiden nichts, was wir nicht müssen. Das mag zwar aus revisionsrechtlicher Sicht richtig, vielleicht auch verständlich sein, denn man weiß ja nie, wann einem die Entscheidung dann später mal entgegenhalten wird, wenn man es nun gar nicht gebrauchen kann. Aber aus Sicht der Praxis ist diese Vorgehensweise unschön. Denn man hätte sich ja schon mal gerne eine eindeutige Festlegung des OLG Hamm gewünscht, wo denn nun die Grenze für den bedeutenden Schaden liegt. Nach dieser Entscheidung weiß man nur: Jedenfalls nicht unter 1.500 EUR, womit einerseits die Rechtsprechung aus 2014/2015 (OLG Hamm VRR 1/2015, 13 = StRR 2015, 112) überholt ist, andererseits offenbleibt, ob die 1.768,86 EUR, die hier im Gespräch sind, schon ein bedeutender Schaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB sind oder noch nicht.

Erkennen können

2. Das OLG äußert sich auch nicht zu der Frage, ob der Angeklagte bei der dargestellten Unfallsituation die Schadenshöhe überhaupt erkennen konnte und, wenn nicht, ob ggf. deshalb die Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB überhaupt vorgelegen haben.

Vorsicht

3. Als Verteidiger muss man in diesen Fällen immer im Blick haben, ob es überhaupt Sinn macht, Revision einzulegen. Denn die Sperre beginnt nach § 69a Abs. 5 S. 1 StGB erst mit Rechtskraft des Urteils, wobei dann die Anrechnungsregelung des § 69a Abs. 5 S. 2 StGB zu berücksichtigen ist. Zudem beträgt das Mindestmaß der Sperre nach § 69a Abs. 4 S. 2 drei Monate. Da lohnt sich ggf. die Überlegung, die – möglicherweise als unzutreffend angesehene – Entscheidung des Berufungsgerichts nicht anzugreifen und so zu erreichend, dass der Mandant eher wieder die Fahrerlaubnis beantragen kann. Eine erfolgreiche Revision könnte ein Pyrrhussieg sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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