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Der (neue) Begriff des Verletzten in § 373b StPO – Voraussetzungen und Auswirkungen

Durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ v. 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) (im Folgenden kurz: Gesetz) ist mit Wirkung vom 1.7.2021 in § 373b StPO der Begriff des Verletzten definiert worden. Die nachfolgenden Ausführungen erläutern diesen Begriff und stellen die Auswirkungen vor.

I.Allgemeines

Der Begriff des Verletzten war in der StPO bislang nicht ausdrücklich bestimmt, obwohl sich an die Verletzteneigenschaft Verfahrensrechte knüpfen, wie z.B. das Recht zur Akteneinsicht nach § 406e StPO (Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl. 2022, Rn 348 ff. (im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, EV), die Möglichkeit, einen Antrag nach § 172 StPO zu stellen – Klageerzwingungsverfahren – (Burhoff/Burhoff, EV Rn 2751 ff.), das Recht zur Nebenklage (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3161 ff.) oder auch das Recht auf einen Verletztenbeistand/Opferanwalt (Burhoff/Burhoff, EV, 4685 ff.) Rechtsprechung und Literatur haben den Begriff des Verletzten auch nicht immer gleich weit definiert, sondern sind teilweise von unterschiedlich weiten Begriffen ausgegangen. So hat die wohl h.M. betreffend die Akteneinsicht den Begriff in § 406e StPO nur ebenso weit wie beim Klageerzwingungsverfahren ausgelegt (Vgl. z.B. OLG Stuttgart StV 2014, 279 (Ls.); LG Stralsund StraFo 2006, 76; Meyer-Goßner/Schmitt, 64. Aufl. 2021, vor § 406d Rn 2 m.w.N.; Hilger, GA 2007, 287; s. wohl auch Hoffmann, StRR 2007, 249 f., der aber für eine einschränkende Auslegung plädiert; vgl. a. enger LG Stade StV 2001, 159; zum Klageerzwingungsverfahren Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2760 ff.). Demgegenüber ist z.B. das BVerfG von einem erweiterten Verletztenbegriff ausgegangen und hat z.B. den Verletzten i.S.d. Adhäsionsverfahrens nach § 403 a.F. StPO auch als Verletzten i.S.d. § 406e StPO gesehen (BVerfG StRR 2009, 181 zum WpHG m. krit. Anm. Stephan</span>; s. auch noch OLG Hamburg wistra 2012, 397 m. Anm. Stephan, StRR 2012, 383; wie das BVerfG auch LR/Hilger, § 406e Rn 6).

Die StPO definiert den Begriff des Verletzten nun in dem neuen § 373b StPO ausdrücklich. Die (Neu-)Regelung in § 373b StPO dient der Umsetzung der sog. Opferschutzrichtlinie der EU. Eingestellt worden ist diese Neuregelung in einen neuen ersten Abschnitt des Fünften Buches, das die „Beteiligung des Verletzten am Verfahren“ regelt. Damit ist die Regelung an einer Stelle in der StPO erfolgt, an der auch wesentliche Rechte und Befugnisse des Verletzten, wie zum Beispiel die Nebenklage in den §§ 385 ff. StPO, die Möglichkeit, Entschädigung im Adhäsionsverfahren geltend zu machen (§§ 403 ff. StPO) (Burhoff, in: Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl. 2022, Rn 354 ff. [im Folgenden kurz: Burhoff/Bearbeiter, HV] sowie die Akteneinsicht des Verletzten (§ 406e StPO) und auch der Verletztenbeistand/Opferanwalt geregelt werden.

Hinweis

Bei der Regelung in § 373b StPO handelt es sich aber nicht um eine Regelung nur für die Vorschriften des Fünften Buches, sondern eine allgemeine, für die ganze StPO geltende Begriffsbestimmung (BT-Drucks 19/27654, S. 97). Rechte von Verletzten finden sich nicht nur im Fünften Buch, sondern auch in anderen Teilen der StPO, wie z.B. in §§ 48 Abs. 1 S. 3, 68a Abs. 2, 69 Abs. 2 S. 2, 111l, 111n, 155a, 158, 171, 172, 406d bis 406k StPO (vgl. a. noch BT-Drucks 19/27654, S. 39 ff.).

II.Verletzte nach § 373b Abs. 1 StPO

Nach § 373b Abs. 1 StPO sind Verletzte diejenigen, die durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in ihren Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt worden sind oder unmittelbar einen Schaden erlitten haben. Damit ist der in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Ziff. i der Opferschutzrichtlinie gebrauchte Begriff „Opfer“ umfasst, der (nur) natürliche Personen meint (s. EUGH, Urt. v. 28.6.2007 – C-467/05, NJW 2007, 2835; Urt. v. 21.10.2010 – C-205/09, NJW 2011, 287 [Ls.]). Zudem sollten durch die Beibehaltung des Begriffs des „Verletzten“ aber auch, wie schon nach der bisherigen Rspr., juristische Personen erfasst werden (vgl. z.B. OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.12.2000 – 1 Ws 222/00, NJW 2001, 840 zur GmbH; zu allem BT-Drucks 19/27654, S. 98).

Hinweis

Die Regelung gilt ausdrücklich/nur für „dieses Gesetz“, also die StPO. Die Beschränkung der Definition des Verletzten auf das Strafverfahrensrecht liegt an den für das Strafverfahren zu begründenden Schutz-, Beistands- und Informationsrechten, die Opfern von Straftaten nach der Opferschutzrichtlinie zustehen sollen und die auf das Strafverfahren zugeschnitten sind. § 373b StPO hat keine unmittelbare Wirkung für das materielle Strafrecht, insbesondere auch nicht für das StGB (wegen der Einzelheiten BT-Drucks 19/27654, S. 98).

Die Regelung in § 373b Abs. 1 StPO orientiert sich maßgeblich an der in der bisherigen Rechtsprechung zu den §§ 171, 172 StPO entwickelten Begriffsbestimmung (BT-Drucks 19/27654, S. 39 ff., 98 f.; dazu Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2760 ff. m.w.N. aus der Rspr.). Vorausgesetzt wird eine unmittelbare Rechtsgutsverletzung durch die Tat. Das entspricht der Definition in Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i) der Opferschutzrichtlinie, die auf eine Schädigung als direkte Folge einer Straftat abstellt. Erfasst werden im Einzelnen (BT-Drucks 19/27654, S. 39, 99): die selbst in einem strafrechtlich geschützten (Individual-)Rechtsgut wie Leib, Leben, Freiheit, sexuelle Selbstbestimmung, Eigentum oder Vermögen Beeinträchtigten/Verletzten, aber auch die Personen, die durch die Straftat unmittelbar einen (sonstigen) Schaden erlitten haben, auch ohne dass durch die Tat ein mit dem Straftatbestand geschütztes Individualrechtsgut verletzt wird. Dieser Möglichkeit ist in der Rechtsprechung in der Vergangenheit dadurch Rechnung getragen worden, dass als Voraussetzung bei der Begriffsbestimmung des Verletzten nicht nur die unmittelbare Beeinträchtigung in einem durch eine Strafrechtsnorm geschützten Rechtsgut, sondern alternativ auch eine unmittelbare Beeinträchtigung in Rechten oder (rechtlich) anerkannten Interessen genannt worden ist (z.B. OLG Celle, Beschl. v. 22.2.2016 – 1 Ws 67/16; NStZ-RR 2016, 285 (Ls.); OLG Stuttgart, Beschl. v. 4.12.2000 – 1 Ws 222/00, NJW 2001, 840). Als Anwendungsfälle kamen daher z.B. auch die Aussagedelikte in Betracht (so z.B. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.11.1991 – 1 Ws 888/91, VRS 82, 352; BT-Drucks 19/27654, S. 99).

Die Rechtsgutverletzung muss verursacht – „durch“ – sein durch „die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt“. Der Einschub „die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt“ war erforderlich, weil es sich aufgrund der geltenden Unschuldsvermutung vor einer rechtskräftigen Verurteilung nur um eine mögliche oder behauptete, aber noch nicht endgültig festgestellte Tat handeln kann (BT-Drucks 19/27654, S. 99 f.). Zu prüfen ist also, ob auf der Grundlage der vorliegenden Ermittlungsergebnisse, ihre Richtigkeit unterstellt, die dem Beschuldigten vorgeworfene Tat die erforderliche unmittelbare Rechtsgutverletzung zur Folge haben könnte.

Hinweis

Für die Bejahung der Verletzteneigenschaft reichen, wenn frühzeitig ein ggf. bestehendes Akteneinsichtsrecht aus § 406e StPO in Anspruch genommen wird, bloße Vermutungen nicht aus, ebenso wenig reicht die reine Behauptung des Antragstellers, er sei durch eine Straftat verletzt (Hoffmann, StRR 2007, 249 f. zum Akteneinsichtsrecht). Vielmehr ist auf das bereits vorliegende Ermittlungsergebnis abzustellen (ähnlich LG München I NStZ 2010, 110; LG Saarbrücken StRR 2008, 312).

III.Verletzte nach § 373b Abs. 2 StPO

In § 373b Abs. 2 StPO wird in Umsetzung von Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Ziff. ii der Opferschutzrichtlinie der Begriff des Verletzten aus § 373b Abs. 1 StPO erweitert. Danach sind den Verletzten i.S.d. § 373 Abs. 1 StPO gleichgestellt (vgl. BT-Drucks 19/27654, S. 99): nach Nr. 1: der Ehegatte oder der Lebenspartner, nach Nr. 2: der in einem gemeinsamen Haushalt lebende Lebensgefährte (dazu eingehend BT-Drucks 19/27654, S. 99 f.), nach Nr. 3: die Verwandten in gerader Linie, wozu Kinder, Eltern, Enkel, Urenkel, Großeltern und Urgroßeltern zählen, nach Nr. 4: die Geschwister und nach Nr. 5: die Unterhaltsberechtigten, also die Verwandten in gerader Linie (§ 1601 BGB) und (zusammen und getrennt lebende) Ehegatten (§§ 1360, 1360a, 1361 BGB) sowie (zusammen und getrennt lebende) Lebenspartner (§§ 5, 12 LPartG), auf die nach § 21 LPartG auch die nach dem 22.12.2018 in Kraft tretenden eherechtlichen Vorschriften anwendbar sind, sowie insbesondere der unterhaltsberechtigte geschiedene Ehegatte (§§ 1569, 1570 ff. BGB) oder ein unterhaltsberechtigter Lebenspartner nach Aufhebung der Lebenspartnerschaft (§ 16 LPartG) sowie eine nichteheliche Mutter/ein nichtehelicher Vaters eines mit dem Opfer gemeinsamen Kindes (§ 1615l BGB) einer Person, deren Tod eine direkte Folge der Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, gewesen ist.

Hinweis

Die Ausweitung ändert am bisherigen Anwendungsbereich des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO nichts. Nach wie vor steht die Befugnis zur Nebenklage nur den dort genannten Personen zu.

Soweit andere Vorschriften in der StPO bereits die Rechte von Familienangehörigen von Getöteten umfasst haben oder den berechtigten Personenkreis weiter fassen als die Opferschutzrichtlinie, bleiben diese Rechte unberührt (BT-Drucks 19/27654, S. 100). Dies gilt insbesondere für die §§ 395, 397a StPO, welche das Recht zur Nebenklage (Burhoff/Burhoff, RV, Rn 3194 ff.) und zur Beiordnung eines Opferanwalts beziehungsweise auf PKH beinhalten (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 3194 ff.). Ebenso gilt dies für die §§ 403 bis 406 StPO, die für Verletzte und ihre Erben das Recht auf Geltendmachung einer Entschädigung im Strafverfahren mittels des Adhäsionsverfahrens (Burhoff/Burhoff, HV, Rn 354 ff.) regeln, oder auch für die §§ 459i bis 459m StPO, die das Recht der Rückgabe von Vermögenswerten und die Auskehrung von Verwertungserlösen beinhalten.

IV.Folgen der Neuregelung

1. Übersicht

Darüber hinaus gilt: Die Definition des Begriffs des Verletzten gilt für folgende Normen der StPO, in denen sich der Begriff des Verletzten findet:

  • § 22 Nr. 1–4 StPO – Ausschluss eines Richters (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 832 ff.),
  • § 48 Abs. 3 S. 1, 68a Abs. 2 S. 1, 69 Abs. 2 S. 2 StPO,
  • § 138 Abs. 3 StPO – Rechtsanwalt als Beistand für Verletzte,
  • § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO – Pflichtverteidiger, wenn dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist (Burhoff/Hillebrand, EV, Rn 3392 ff.),
  • § 153a Abs. S. 2 Nr. 5 StPO – Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO nach Erfüllung von Auflagen und Weisungen wie einem Täter-Opfer-Ausgleich (Burhoff/Schneider, EV, Rn 2085 ff.),
  • § 155a StPO – Täter-Opfer-Ausgleich (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4243 ff.),
  • § 158 StPO – Bestätigung der Anzeige an den Verletzten und sprachliche Hilfe,
  • § 171 StPO – Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO,
  • § 172 StPO – Klageerzwingungsverfahren (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2751 ff.),
  • § 255a Abs. 2 S. 2 StPO – Vorführung einer aufgezeichneten Zeugenvernehmung u.a. bei verletzten Zeugen (Burhoff/Hirsch, HV, Rn 3972 ff.),
  • § 268 Abs. 2 S. 3 StPO – Rücksichtnahme auf schutzwürdige Belange des Verletzten bei der Urteilsverkündung (Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3224),
  • §§ 374, 378 (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2496 ff.),
  • §§ 395, 397a, 397b (Burhoff/Burhoff, RV, Rn 2290 ff.),
  • §§ 406d, 406f, 406 h, 406i, 406j, 406k, 406l StPO – Verletztenrechte,
  • § 406g StPO – psychosoziale Prozessbegleitung (Burhoff/Hillenbrand, EV, Rn 2559 ff.).

2. Auswirkungen/Anwendung im Einzelnen

In § 373b Abs. 2 StPO wird bestimmt, dass auch den in Art. 2 Nr. 1 Buchst. a Ziffer ii Opferschutzrichtlinie genannten Angehörigen und nahestehenden Personen einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist, die gleichen Befugnisse im Hinblick auf die Ausübung der in der Opferschutzrichtlinie genannten und in der StPO verankerten Rechte auf Schutz, Information und Beistand wie den unmittelbar durch die tatbestandliche Handlung Verletzten selbst zustehen.

Hinweis

Diese Familienangehörigen gehören nach der Opferschutzrichtlinie zu den Opfern und werden daher den Verletzten gleichgestellt. Dazu ist u.a. auf Folgendes hinzuweisen:

Für die Praxis dürfte die Erweiterung auf Lebensgefährten, die, ohne mit dem Opfer in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gelebt zu haben oder verheiratet gewesen zu sein, mit diesem zum Zeitpunkt seines Todes in einem Haushalt zusammenleben (§ 373b Abs. Nr. 3 StPO), von Bedeutung sein (vgl. BT-Drucks 19/27654, S. 100), wobei allerdings der nur geringe Anteil von Tötungsdelikten am Gesamtaufkommen der Straftaten zu berücksichtigen ist.

Auch die praktischen Auswirkungen der vorgenommenen Ausweitung des Anwendungsbereichs auf sämtliche Unterhaltsberechtigten des Opfers (§ 373b Abs. 2 Nr. 5 StPO) dürften sich in Grenzen halten. Zu diesem Kreis zählen zum einen die ohnehin schon genannten Angehörigen, die unterhaltsberechtigt sein können, wie Verwandte in gerader Linie (§ 1601 BGB) und (zusammen und getrennt lebende) Ehegatten (§§ 1360, 1360a, 1361 BGB) sowie (zusammen und getrennt lebende) Lebenspartner (§§ 5, 12 LPartG), auf die nach § 21 LPartG auch die nach dem 22.12.2018 in Kraft tretenden eherechtlichen Vorschriften anwendbar sind. Daneben sind nur wenige Fälle denkbar, wie insbesondere der eines unterhaltsberechtigten geschiedenen Ehegatten (§§ 1569, 1570 ff. BGB) oder eines unterhaltsberechtigten Lebenspartners nach Aufhebung der Lebenspartnerschaft (§ 16 LPartG), sowie derjenige einer nichtehelichen Mutter/eines nichtehelichen Vaters eines mit dem Opfer gemeinsamen Kindes (§ 1615l BGB).

Die o.a. Erweiterung hat bei Tötungsdelikten und erfolgsqualifizierten Delikten mit Todesfolge, für die schon bisher eine Verletzteneigenschaft der in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen (Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner durch rechtswidrige Taten getöteter Personen) angenommen worden ist (vgl. u.a. OLG Celle, Beschl. v. 22.2.2016 – 1 Ws 67/16, NStZ-RR 2016, 285 [Ls.]), zu einer Erweiterung der Rechte und Befugnisse von Verletzten nach der StPO auf alle Angehörigen gerader Linie geführt. Nunmehr stehen z.B. auch Enkel, Urenkel, Großeltern und Urgroßeltern den Verletzten gleich.

Hinweis

Die Ausweitung hat jedoch nichts am bisherigen Anwendungsbereich des § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO geändert. Nach wie vor steht die Befugnis zur Nebenklage nur den dort genannten Personen zu (BT-Drucks 19/27654, S. 99).

Nach § 48 Abs. 3 S. 1 StPO ist bei Zeugen, die zugleich Verletzte sind, eine Vernehmung stets unter Berücksichtigung der besonderen Schutzwürdigkeit des Zeugen durchzuführen. Dabei ist stets zu prüfen, ob besondere Schutzmaßnahmen zugunsten des Verletzten notwendig sind. Das gilt dann auch für alle in § 373b Abs. 2 StPO genannten Personen. Geregelt sind folgende Konstellationen, die nach § 48 Abs. 3 S. 2 StPO bestimmte Schutzmaßnahmen rechtfertigen können: Nach Nr. 1 kann die dringende Gefahr eines schwerwiegenden Nachteils für das Wohl des Zeugen Maßnahmen nach § 168e StPO (Vernehmung von Zeugen getrennt von Anwesenheitsberechtigten) oder § 247a StPO (Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung von Zeugen) erfordern, nach Nr. 2 können überwiegende schutzwürdige Interessen von Zeugen den Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 GVG notwendig machen. Nach Nr. 3 muss stets geprüft werden, inwieweit Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen nach § 68a Abs. 1 StPO tatsächlich unerlässlich sind oder ob auf sie verzichtet werden kann.

§ 68a Abs. 2 StPO sieht vor, dass Fragen nach Umständen, welche die Glaubwürdigkeit eines Zeugen betreffen, insbesondere zu seinen Beziehungen zum Beschuldigten, aber auch zur verletzten Person, nur dann zu stellen sind, soweit dies erforderlich ist. Das gilt jetzt für alle in § 373b Abs. 2 StPO genannten Personen (BT-Drucks 19/27654, S. 101).

Die Neuregelung in § 373b StPO gilt nur für die verfahrensrechtliche Vorschrift des § 155a StPO (BT-Drucks 19/27654, S. 101). Danach sollen die Staatsanwaltschaft und das Gericht in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeiten eines Täter-Opfer-Ausgleichs prüfen (Burhoff/Burhoff, EV, Rn 4232 ff. und Burhoff/Burhoff, HV, Rn 3005 ff.). § 155a S. 3 StPO regelt, dass eine Eignung zum Ausgleich zwischen Beschuldigtem und Verletztem im Wege eines Täter-Opfer-Ausgleichs gegen den ausdrücklichen Willen des Verletzten nicht angenommen werden darf. Durch die Erweiterung des Begriffs der Familienangehörigen von Getöteten in § 373b Abs. 2 StPO ist jetzt klargestellt worden, dass, sofern ein Täter-Opfer-Ausgleich in Betracht kommt, ihre Einwilligung maßgebliche Voraussetzung für die Durchführbarkeit eines solchen Ausgleichs ist (BT-Drucks 19/27654, S. 101).

Hinweis

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang nochmals darauf, dass § 373b StPO nur für das Verfahrensrecht gilt und keine direkte Geltung im materiellen Strafrecht hat (BT-Drucks 19/27654, S. 101). Für den Täter-Opfer-Ausgleich wird insbesondere im Rahmen des § 46a Nr. 1 StGB ein engerer Verletztenbegriff vertreten. Nach neuerer Rechtsprechung des BGH (BGH, Beschl. 6.6.2018 – 4 StR 144/18, NJW 2019, 319; Beschl. v. 2.7.2019 – 4 StR 489/18, StV 2020, 842) sind die Hinterbliebenen des Opfers nicht „Verletzte“ i.S.v. § 46a Nr. 1 StGB. Daran hat sich durch die Neuregelung nichts geändert. Möglich und zulässig ist es aber, hinterbliebene Familienangehörige in kommunikative Mediationsgestaltungen durch „Wiedergutmachungsdienste“ einzubeziehen (BT-Drucks 19/27654, S. 101).

In § 171 StPO ist geregelt, dass die Staatsanwaltschaft in den Fällen, in denen sie einem Antrag auf Erhebung der öffentlichen Klage keine Folge leistet oder nach dem Abschluss der Ermittlungen die Einstellung des Verfahrens verfügt, den Antragsteller unter Angabe der Gründe bescheidet. Ist der Antragsteller zugleich der Verletzte, so ist er zugleich über die Möglichkeiten der Anfechtung und die dafür vorgesehene Frist zu belehren. Zudem wird geregelt, dass für nebenklageberechtigte Verletzte der Anspruch aus § 187 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GVG entsprechend gilt. Sofern sie der deutschen Sprache nicht mächtig sind, können sie eine Übersetzung des Einstellungsbescheids mit Gründen in eine ihnen verständliche Sprache verlangen. Diese Regelung ist jetzt auch auf die in § 373b Abs. 2. StPO genannten Angehörigen und nahestehenden Personen anzuwenden (BT-Drucks 19/27654, S. 102).

Die in § 172 StPO geregelte Möglichkeit eines sog. Klageerzwingungsverfahrens bei erfolgloser Beschwerde gegen einen ablehnenden Bescheid nach § 171 StPO ist jetzt nach der Erweiterung des Verletztenbegriffs in § 373b Abs. 2 StPO auf die in der Vorschrift genannten nahestehenden Personen von Getöteten eröffnet (s. zu § 172 StPO Burhoff/Burhoff, EV, Rn 2751 ff.).

Die meisten Auswirkungen in der Praxis dürfte die Neuregelung auf die §§ 406d ff., die die Befugnisse der Verletzten regeln, haben.

Hinweis

Eine Ausweitung der Vorschriften auf nur mittelbar Geschädigte ist nicht erfolgt (BT-Drucks 19/27654, S. 106). Das hat insbesondere auch beim Verletztenanwalt nach § 406f Abs. 1 StPO Bedeutung.

Im Einzelnen gilt das für:

  • § 406d StPO, der die Auskunft des Verletzten über den Stand des Verfahrens betrifft,
  • § 406e StPO, der das Akteneinsichtsrecht des Verletzten regelt; durch die Definition des Begriffs des Verletzten in § 373b StPO ist klargestellt, dass die Familienangehörigen Getöteter ebenfalls dieses Akteneinsichtsrecht haben,
  • § 406f StPO, der in Abs. 1 den Verletztenanwalt regelt und in Abs. 2 das Anwesenheitsrecht der sog. Vertrauenspersonen des Verletzten bei Vernehmungen,
  • § 406g StPO, der den Anspruch auf Hinzuziehung einer psychosozialen Prozessbegleitung regelt,
  • §§ 406i, 406j und 406k StPO, die die Unterrichtung des Verletzten über seine Befugnisse im Strafverfahren und außerhalb des Strafverfahrens regeln.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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