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Drogenfahrt und Medikamentenklausel

1. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung der Frage zu ermöglichen, ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 S. 3 StVG eingreift oder nicht, ist der Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben.

2. Der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis lässt die Anwendung der Medikamentenklausel grundsätzlich nicht entfallen. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen liegt aber dann vor, wenn nachzuweisen ist, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre.

(Leitsätze des Verfassers)

OLG Koblenz, Beschl. v. 13.4.20223 OWi 31 SsBs 49/22

I. Sachverhalt

Vorsätzliche Drogenfahrt

Das AG hat den Betroffenen wegen einer vorsätzlichen Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG zu einer Geldbuße von 1.500 EUR verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten verhängt. Nach den Feststellungen des AG war der Betroffene nachts gegen 2:17 Uhr mit einem Pkw gefahren, obwohl eine um 2:45 Uhr entnommene Blutprobe Werte von 13 ng/ml THC und 5 ng/ml Benzoylecgonin – ein Abbauprodukt von Kokain – aufwies. Der Betroffene hat sich beim AG dahingehend eingelassen, dass ihm bewusst gewesen sei, dass er das Kraftfahrzeug unter der Wirkung von Cannabis geführt habe, da ihm – wie vom AG festgestellt – von seinem behandelnden Arzt die Einnahme von bis zu 2g THC-haltigen Produkten (Cannabisblüten) verordnet worden ist.

Nicht bestimmungsgemäße Einnahme des verordneten Medizinalcannabis

Auf der Grundlage dieser Beweisergebnisse hat das AG wegen des festgestellten Abbauprodukts Benzoylecgonin auf einen Beikonsum von Kokain geschlossen und daraus eine nicht bestimmungsgemäße Einnahme i.S.v. § 24a Abs. 2 S. 3 des verordneten Medizinalcannabis hergeleitet und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass hierdurch das Privileg der Medikamentenklausel insgesamt entfalle und er damit durch den nachgewiesenen Wert von 13 ng/ml THC ordnungswidrig gehandelt habe. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die mit der Sachrüge Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Darstellungsmangel

Nach Auffassung des OLG leidet das Urteil an einem Darstellungsmangel; die Feststellungen zum Arzneimittelprivileg des Betroffenen seien – worauf das AG in den Urteilsgründen selbst hinweise – lückenhaft und trügen den Schuldspruch daher nicht.

Medikamentenklausel

Nicht ordnungswidrig im Hinblick auf eine Drogenfahrt sei das Verhalten des Betroffenen nach § 24a Abs. 2 S. 1, 2 StVG dann, wenn die festgestellte Substanz ausschließlich durch die bestimmungsgemäße Einnahme eines Arzneimittels in das Blut gelangt sei, vorausgesetzt, die Einnahme sei für einen konkreten Krankheitsfall ärztlich verordnet worden (sog. Medikamentenklausel). Der Unterschied zwischen bestimmungsgemäß eingenommenen Medikamenten und Drogen liege in der unterschiedlichen Wirkung der Substanzen als Therapeutikum bei der Einnahme nach ärztlicher Verordnung und bei missbräuchlichem Konsum. Während ein Drogenkonsument eine Substanz zu sich nehme, um berauscht zu sein, nehme ein Patient eine Substanz zu sich, um seine Leiden zu lindern (BT-Drucks 17/9868). Bei bestimmungsgemäßer Einnahme fahre der ein Medikament einnehmende Patient gerade nicht in einem berauschten Zustand. Erst durch die Einnahme des Arzneimittels sei er überhaupt in der Lage, sicher am Straßenverkehr teilzunehmen (Rebel, zfs 2020, 133 ff.; Maatz, Blutalkohol 1999, 36 ff.). Da die Dosis jeweils individuell sei, gebe es auch keine Grenzwerte für die Einnahme von Medikamenten. Stattdessen gelte der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit. Danach müsse ein Kraftfahrer ärztliche Anweisungen befolgen und die Gebrauchsanweisung des eingenommenen Medikaments beachten. Halte sich ein Kraftfahrer an diese Vorgaben, begehe er nach § 24a Abs. 2 S. 2 StVG auch keine Ordnungswidrigkeit, da die Substanz dann aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrühre (BayVGH, Beschl. v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482). Eine bestimmungsgemäße Anwendung sei aber nur dann gegeben, wenn die Anwendung auf einer eindeutigen Verschreibung für eine symptombezogene Indikation beruhe und das Arzneimittel nicht missbräuchlich oder überdosiert verwendet werde (OLG Bamberg VRR 4/2019, 19). Dazu bedürfe es zunächst der Feststellung, ob und wann das Medikament durch einen Arzt verordnet, zur Behandlung einer konkreten Krankheit eingenommen und die Dosierungsanweisung beachtet worden sei (KG, Beschl. v. 30.7.2015 – 3 Ws (B) 368/15).

Feststellungen reichen nicht für Medikamentenklausel

Ob die sog. Medikamentenklausel nach § 24a Abs. 2 S. 3 StVG vorliegend eingreife oder nicht, könne der Senat auf der Grundlage der im Urteil getroffenen Feststellungen nicht überprüfen. Um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob das Tatgericht den Begriff der bestimmungsgemäßen Einnahme richtig angewendet und der Betroffene sich an die Einnahme- und Dosierungsanweisungen gehalten habe, sei der entsprechende Inhalt des hierfür maßgeblichen Cannabinoidausweises (BayVGH a.a.O.) – sofern keine zulässige Bezugnahme erfolgt – im Wortlaut in den Urteilsgründen wiederzugeben. Aus diesem können sich über die aufzunehmende Menge hinaus noch weitere Angaben darüber ergeben, zu welchen Tageszeiten zu welchem Zweck sowie in welchem zeitlichen Abstand zum Führen eines Kraftfahrzeuges die Einnahme zu erfolgen habe oder welche Stoffe nicht zusammen mit der verordneten Substanz eingenommen werden dürfen. Daran fehle es hier.

Segelanweisung

Für die neue Hauptverhandlung hat das OLG dann auf Folgendes hingewiesen: Liegen die Voraussetzungen des § 24a Abs. 2 S. 3 StVG vor, lasse sich nach der Rechtsprechung des KG die Einnahme von Medikamenten vom Konsum illegaler Drogen – etwa bei gleichem Wirkstoff im Blut – mit sachverständiger Hilfe unterscheiden (vgl. KG a.a.O.). Im Umkehrschluss bedeute dies für den vorliegenden Fall, dass der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinalcannabis die Anwendung der Medikamentenklausel grundsätzlich nicht entfallen lasse. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen läge jedenfalls dann vor, wenn nachzuweisen wäre, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre (vgl. KG a.a.O.; Rebel, a.a.O.) und die Medikation über dem verordneten Bereich läge. Die Generalstaatsanwaltschaft hatte darüber hinaus ausgeführt, dass Feststellungen zu den Einnahme- und Dosierungsanweisungen auch bei dem vom AG nicht angenommen Mischkonsum nicht entbehrlich seien. Diese Darstellung sei auch dann nicht entbehrlich, wenn weitere Substanzen, die selbst nicht in einer die Fahrtauglichkeit beeinträchtigen Konzentration vorliegen, im Blut des Betroffenen festgestellt worden seien. Ob ein nicht bestimmungsgemäßer Gebrauch vorliege, kann naturgemäß nur beantwortet werden, wenn der bestimmungsgemäße Gebrauch hinreichend beschrieben sei. Die Frage, inwieweit durch den Beikonsum weiterer – auch illegaler– Substanzen die bestimmungsgemäße Wirkung des Cannabis beeinträchtigt werde (vgl. BayVGH a.a.O.), könne zudem nur bezogen auf das konkrete Krankheitsbild und die dem Betroffenen gemachten Einnahmevorgaben beantwortet werden. Dem hat sich das OLG angeschlossen.

III. Bedeutung für die Praxis

Hinweis auf die Entscheidung lohnt

So häufig sind Entscheidungen zur Drogenfahrt derzeit nicht, und zur Medikamentenklausel des § 24a Abs. 2 StVG gibt es erst recht nur wenige (zur Drogenfahrt Burhoff, in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 799 ff.). Deshalb lohnt sich ein Hinweis auf Entscheidungen mit der Problematik. Das gilt vor allem, wenn das OLG noch einmal die Frage des Mischkonsums anspricht und – wie das KG a.a.O. – auch bei Mischkonsum ein grundsätzliches Entfallen des Medikamentenprivilegs verneint. Soweit ersichtlich ist das neben dem Beschluss des KG (a.a.O.) eine der wenigen Entscheidungen, die sich überhaupt mit dieser Frage befassen mussten.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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