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Zange des Zahnarztes als gefährliches Werkzeug

Extrahiert ein Zahnarzt seinem Patienten ohne medizinische Indikation mehrere Zähne, begeht er die Körperverletzung mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.

(Leitsatz des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 16.3.2022 – 1 Ws 47/22

I. Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB in 33 Fällen erhoben. Ihm wird vorgeworfen, in dem Zeitraum zwischen dem 20.7.2010 und dem 6.6.2014 als Zahnarzt in 33 Fällen seinen Patienten mittels der dafür erforderlichen Instrumente, insbesondere einer Zange, Zähne extrahiert zu haben, obwohl es hinreichend aussichtsreiche Behandlungsalternativen gegeben habe. Der Angeklagte habe die Extraktion bestimmter Zähne als zwingend notwendig empfohlen, woraufhin die Patienten im Vertrauen auf diese Angaben dem Eingriff zugestimmt hätten. Dem Angeklagten sei es dabei darauf angekommen, seine Patienten im weiteren Verlauf mit für ihn einträglichem Zahnersatz versorgen zu können.

Das LG hat das angeklagte Geschehen nicht als gefährliche, sondern nur als einfache Körperverletzung angesehen, weil das von einem zugelassenen (Zahn-)Arzt bei einem ärztlichen Eingriff bestimmungsgemäß verwendete ärztliche Instrument weder eine Waffe noch ein gefährliches Werkzeug sei. Aufgrund dieser rechtlichen Beurteilung hat es die Anklage in 29 Fällen mit der Maßgabe zugelassen, dass insoweit von einfacher Körperverletzung auszugehen sei. In vier Fällen hat es die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt, weil wegen des zugrunde zu legenden Strafrahmens des § 223 Abs. 1 StGB und der länger als zehn Jahre zurückliegenden Tatzeiten das Verfahrenshindernis der absoluten Verjährung entgegenstehe. Die Staatsanwaltschaft hat sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Nach Auffassung des OLG sind die angeklagten Taten als gefährliche Körperverletzung anzusehen, sodass die Verjährungsfrist gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB zehn Jahre betrage. Dann sei aber auch hinsichtlich der Taten, wegen der das LG die Anklage nicht zugelassen habe, Verjährung noch nicht eingetreten, da die Verjährungsfrist durch die Anklageerhebung am 24.2.2017 gem. § 78c Abs. 1 Ziff. 6 StGB unterbrochen worden sei.

Die Einordnung eines gefährlichen Werkzeugs als Mittel der Tatbegehung im Verhältnis zur Waffe habe durch das 6. StrRG v. 26.1.1998 insoweit eine Änderung erfahren, als das gefährliche Werkzeug – anders als bei § 223a StGB a.F. – in der neuen Fassung des § 224 Abs. 1 Ziff. 2 StGB nicht mehr als Beispiel für eine Waffe, sondern eine Waffe nunmehr als Unterfall eines gefährlichen Werkzeugs zu verstehen sei. Entgegen zur alten Rechtslage ergangener Rechtsprechung des BGH könne eine Abgrenzung, ob ein (zahn-)ärztliches Instrument als gefährliches Werkzeug einzustufen sei, daher nicht mehr danach erfolgen, ob es gleich einer Waffe zu Angriffs- oder Verteidigungszwecken eingesetzt wird. Vielmehr sei auch bei ärztlichen Instrumenten danach zu fragen, ob der Gegenstand aufgrund seiner objektiven Beschaffenheit und der Verwendung im konkreten Fall dazu geeignet sei, dem Opfer erhebliche Verletzungen beizubringen.

Das hat das OLG bejaht. Zwar würden während der Extraktion eines Zahnes mittels der dafür vorgesehenen zahnärztlichen Instrumente Schmerzen aufgrund einer örtlichen Betäubung nicht oder kaum verspürt. Die vom Angeklagten verwendeten Instrumente, nämlich u.a. die zur Zahnextraktion verwendete Zange, führten aber nach Trennung der Verbindung zum versorgenden Nerv zu dem unwiederbringlichen Verlust eines Teils des Gebisses sowie zusätzlich zu einer – jedenfalls für die Dauer einiger Tage – offenen Wunde im Mundraum der Patienten. Derartige Eingriffe seien nach Abklingen der lokalen Narkose i.d.R. mit nicht unerheblichen Schmerzen, Beschwerden bei der Nahrungsaufnahme und der Gefahr von Entzündungen verbunden, die nur durch Einnahme von Tabletten und oralhygienische Maßnahmen gemindert werden können, und zwar insbesondere dann, wenn wie vorliegend nacheinander mehrere Zähne entfernt werden. Unerheblich sei bei der Einordnung der vom angeklagten Zahnarzt verwendeten Instrumente als gefährliche Werkzeuge der Umstand, dass der Angeklagte als approbierter Zahnarzt zu deren regelgerechter Anwendung grundsätzlich in der Lage gewesen sei und sie auch regelgerecht angewandt habe.

III. Bedeutung für die Praxis

In den zur alten Rechtslage ergangenen Entscheidungen des BGH ist die Frage, unter welchen Voraussetzungen Heileingriffe dem Qualifikationstatbestand des § 224 StGB unterfallen, insbesondere, ob dabei eingesetzte ärztliche Instrumente als gefährliche Werkzeuge i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB klassifiziert werden können, verneint worden (vgl. u.a. BGH NJW 1978, 1206 für eine ähnliche Fallkonstellation). Nachdem nun aber das gefährliche Werkzeug der Oberbegriff und die Waffe der Unterfall ist, wird man daran nicht mehr festhalten könne. Es bleibt abzuwarten, ob ggf. dieses Verfahren beim BGH landet. Denn einer der Verfahrensbeteiligten wird ggf. Revision einlegen: Der Angeklagte wird gegen seine Verurteilung vorgehen, wenn sich das LG der Auffassung des OLG anschließt. Hält das LG an seiner Rechtsauffassung fest, wird im Zweifel die Staatsanwaltschaft (Strafmaß-)Revision einlegen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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