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Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung

Zum Widerruf der Pflichtverteidigerbestellung nach Entgegennahme einer Zahlung eines Familienangehörigen des Mandanten gegen dessen ausdrücklichen Wunsch.

(Leitsatz des Verfassers)

LG Köln, Beschl. v. 16.11.2021 – 111 Ks 6/21

I. Sachverhalt

Gegen den Angeklagten ist ein Verfahren u.a. wegen versuchten Totschlags anhängig. Ihm war zunächst Rechtsanwalt R als Pflichtverteidiger bestellt. Auf Antrag des Angeklagten hat das LG die Bestellung von Rechtsanwalt R aufgehoben und Rechtsanwalt E bestellt.

II. Entscheidung

Dem Antrag des Angeklagten auf Entpflichtung von Rechtsanwalt R und auf Beiordnung von Rechtsanwalt E als Pflichtverteidiger war nach Ansicht des LG gemäß § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO zu entsprechen. Nach § 143a Abs. 2 Nr. 3 StPO sei die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben und ein neuer Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Verteidiger und Beschuldigtem endgültig zerstört ist oder aus einem sonstigen Grund keine angemessene Verteidigung des Beschuldigten gewährleistet sei. Maßstab für die Beurteilung sei die Sicht eines verständigen Beschuldigten (BGH RVGreport 2020, 239 = NStZ 2021, 60). Nach der Rechtsprechung könne eine Erschütterung des Vertrauensverhältnisses auch vorliegen, wenn der bestellte Verteidiger auf den Abschluss einer zusätzlichen Honorarvereinbarung drängt (KG RVGreport 2012, 318 = StRR 2012, 261). Dabei sei indes zu beachten, dass auch der bestellte Verteidiger grundsätzlich eine Honorarvereinbarung abschließen darf (BGH NJW 2019, 676 = RVGreport 2019, 130 = RVGprofessionell 2019, 59), weshalb er eine solche zur Sprache bringen kann. Die Grenze des Zulässigen werde in der Regel als überschritten angesehen, wenn das Ansinnen des Verteidigers Erpressungscharakter hat (KG a.a.O.). Zudem müsse der Pflichtverteidiger vor Abschluss der Honorarvereinbarung darauf hinweisen, dass er auch ohne die Vereinbarung zu weiterer Verteidigung verpflichtet ist (BGH a.a.O.). Die Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses muss substantiiert dargelegt werden (BGH NStZ 2021, 381).

Nach diesen Grundsätzen sei, so das LG, dem Antrag des Angeklagten auf Auswechslung des Pflichtverteidigers zu entsprechen. Der Angeklagte habe dargelegt, er habe mit Rechtsanwalt R nach dessen Bestellung zu seinem Pflichtverteidiger über den Abschluss einer Honorarvereinbarung gesprochen, wobei er diesem mitgeteilt habe, er möge diesbezüglich nicht in Kontakt mit seiner Familie, insbesondere seiner Schwester, Frau A, treten. Er hat weiter substantiiert ausgeführt, dass Rechtsanwalt R gleichwohl die Zahlung eines Honorars mit seiner Schwester vereinbart habe, ohne dass er diese zuvor darüber belehrt habe, dass er aufgrund seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger durch die Staatskasse vergütet werde und zur Verteidigung verpflichtet sei. Hierzu hat er ein Schreiben seiner Schwester vorgelegt, mit dem diese bestätigt, an Rechtsanwalt R 500 EUR gezahlt zu haben, ohne dass er sie darüber belehrt habe, dass seine Kosten von der Staatskasse getragen würden. Auch wenn Rechtsanwalt R bestritten habe, eine Honorarvereinbarung mit Frau A getroffen zu haben, und er ausgeführt hat, dass er ihr auch in keiner Weise erklärt, angedeutet oder suggeriert habe, die Verteidigung ihres Bruders hinge davon ab, ist er dem vorgelegten Schreiben von Frau A nicht entgegengetreten. Hat er aber eine Zahlung von Frau A entgegengenommen, hat er damit zunächst der ausdrücklichen Weisung seines Mandanten zuwidergehandelt, sich wegen Honorarforderungen nicht an seine Familie zu wenden. Weiter hat er Frau A nicht darüber belehrt, dass seine Kosten als Pflichtverteidiger von der Staatskasse getragen würden und er auch ohne weitere Zahlungen zur Verteidigung verpflichtet sei. Die Erhebung einer Zahlungsforderung könne auf Seiten der Familie des Inhaftierten ohne eine solche Belehrung nur dahingehend verstanden werden, dass eine ordnungsgemäße Verteidigung von der Zahlung abhängig sei. Von daher rechtfertige das Vorbringen des Angeklagten auch aus Sicht eines verständigen Beschuldigten den Schluss, dass das Vertrauensverhältnis zu dem bisherigen Pflichtverteidiger endgültig zerstört ist. Dem Antrag auf Auswechslung des Pflichtverteidigers sei daher zu entsprechen gewesen.

III. Bedeutung für die Praxis

Es ist allgemein anerkannt, dass auch der Pflichtverteidiger mit seinem Mandanten eine Vergütungsvereinbarung treffen kann (vgl. Burhoff, in: Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl. 2021, Teil A Rn 2436 ff.). An dem Prinzip rüttelt der Beschluss des LG, das sich auf die Rechtsprechung u.a. des KG (a.a.O.) stützt, nicht. Er gibt aber einen weiteren mehr als deutlichen Hinweis, was dem Pflichtverteidiger über das Bedrängen des Mandanten hinaus nicht erlaubt ist, nämlich Zahlungen von Familienangehörigen gegen den ausdrücklichen Wunsch des Mandanten anzunehmen. Das lässt bei dem Mandanten nämlich im Zweifel den Eindruck entstehen, der Pflichtverteidiger werde ohne den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung nicht bzw. nicht ordnungsgemäß tätig werden. Wäre es zum Abschluss einer Vergütungsvereinbarung gekommen, hätte man sicherlich davon ausgehen können, dass der Angeklagte nicht mehr freiwillig gehandelt hat (vgl. dazu BGH NJW 1980, 1394 = JurBüro 1979, 1793; aus neuerer Zeit BGHZ 184, 209 = StRR 2012, 236 = NJW 2010, 1364; s. auch AG München RVGreport 2010, 411 = RVGprofessionell 2011, 13 = AGS 2011, 20 m. Anm. Winkler). Also: Weniger ist auch hier – wie häufig – mehr.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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