Strafrecht 2022 #09

Auswirkungen von Pausen auf den Längenzuschlag für den Pflichtverteidiger
1. Kommt es für eine Gebühr auf die Dauer der Teilnahme an der Hauptverhandlung an, so sind Unterbrechungen von jeweils mindestens einer Stunde, soweit diese unter Angabe einer konkreten Dauer der Unterbrechung oder eines Zeitpunkts der Fortsetzung der Hauptverhandlung angeordnet wurden, nicht zu berücksichtigen. 2. Ordnet der Vorsitzende unter Nennung des Zeitraums eine Unterbrechung an […]
Dauer der Pflichtverteidigerbestellung im Strafbefehlsverfahren
Der Wortlaut des § 408b StPO enthält keine Beschränkung auf das schriftliche Strafbefehlsverfahren. (Leitsatz des Verfassers) LG Karlsruhe, Beschl. v. 26.7.2022 – 16 Qs 59/22 I. Sachverhalt Pflichtverteidiger im Strafbefehlsverfahren Das AG hat gegen den Angeklagten am 26.4.2022 einen Strafbefehl wegen Bedrohung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung […]
Keine Beschuldigtenbelehrung vor polizeilicher Befragung des Halters
1. Der Halter eines Kraftfahrzeugs ist vor einer polizeilichen Befragung zur Fahrereigenschaft im Rahmen von Unfallfluchtermittlungen grundsätzlich als Beschuldigter zu belehren, soweit seine Fahrereigenschaft nicht aufgrund anderer Erkenntnisse ausgeschlossen ist. In diesen Fällen ist die Durchführung einer sogenannten „informatorischen Befragung“ regelmäßig ermessensfehlerhaft. 2. Erkenntnisse aus einer polizeilichen Befragung des Halters ohne vorherige Beschuldigtenvernehmung sind in […]
Keine Einziehung bei Befreiung von einer „Verbindlichkeit“ aus unwirksamem Rechtsgeschäft
Zwar kann auch die Befreiung von einer Verbindlichkeit ein der Einziehung unterliegender Vermögensvorteil i.S.v. § 73 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB sein. Dies gilt aber nicht, wenn das der Verbindlichkeit zugrunde liegende Rechtsgeschäft nichtig ist. Ein solch nichtiges Rechtsgeschäft liegt beim Erwerb oder der Veräußerung unversteuerter und unverzollter Zigaretten vor, weil es sich bei § 374 AO um […]
Voraussetzungen des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB („Einzelrennen“)
1. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB ist verfassungsgemäß. 2. Für die Frage, ob von einer nicht angepassten Geschwindigkeit i.S.v. § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB auszugehen ist, ist entscheidend, ob das Fahrzeug bei der Geschwindigkeit noch sicher beherrscht werden kann, wobei die zulässige Höchstgeschwindigkeit lediglich ein Indiz darstellt. Eine Fortbewegung mit nicht angepasster Geschwindigkeit ist ein gegen Geschwindigkeitsbegrenzungen […]
Vergewaltigung oder: bedingtes Einverständnis mit dem Geschlechtsverkehr
1. Das durch § 177 Abs. 1 StGB geschützte Selbstbestimmungsrecht beinhaltet das Recht zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen der Rechtsgutsinhaber mit einer sexuellen Handlung einverstanden ist. 2. Das Einverständnis mit dem vaginalen Geschlechtsverkehr kann unter die Bedingung gestellt werden, dass dieser vor dem Samenerguss zu beenden ist. Setzt sich der Sexualpartner bewusst absprachewidrig über diese vom Opfer […]
Behinderung von Rettungsdiensten
1. Einer Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts gem. § 153 Abs. 1 S. 1 StPO kommt kein Strafklageverbrauch zu. 2. Für eine Behinderung von Hilfsleistenden i.S.v. § 115 Abs. 3 StGB genügt bei schweren Verletzungen (hier: stark blutende Kopfverletzung) bereits eine nur kurze Verzögerung der Hilfeleistung (hier: eine Minute). 3. Der Warnungs- und Besinnungsfunktion des § 44 StGB […]
Willkürliche Auslagenentscheidung im Bußgeldverfahren
Eine gerichtliche Auslagenentscheidung verstößt gegen das Willkürverbot, wenn mit ihr ohne Begründung von dem Wortlaut einer Rechtsnorm abgewichen wird und der Grund hierfür sich nicht schon eindeutig aus den den Beteiligten bekannten und für sie ohne Weiteres erkennbaren Besonderheiten des Falles ergibt. (Leitsatz des Gerichts) VerfGH Berlin, Beschl. v. 27.4.2022 – VerfGH 130/20 I. Sachverhalt […]
Geschwindigkeitsverstoß; keine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren bei Nichtspeicherung von Rohmessdaten
Die Verwertung eines Messergebnisses, dessen der Messung zugrunde liegende Rohmessdaten nicht zum Zweck der nachträglichen Überprüfbarkeit gespeichert worden sind, verstößt nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren. (Leitsatz des Verfassers) VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 22.7.2022 – VGH B 30/21 I. Sachverhalt „Rohmessdaten-Antrag“ erfolglos Das AG hat den Betroffenen am 1.7.2020 wegen Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit […]
U-Haft-Anordnung wegen Fluchtgefahr und Schwerkriminalität
1. Allein eine hohe Straferwartung vermag die Fluchtgefahr i.S.v. § 112 Abs. 2 StPO nicht zu begründen. 2. § 112 Abs. 3 StPO findet aufgrund des vom Gesetzgeber gewählten Enumerationsprinzips keine Anwendung, wenn die Norm nicht ausdrücklich im Katalog der Taten des Abs. 3 enthalten ist. (Leitsätze des Verfassers) LG Stuttgart, Beschl. v. 5.8.2022 – 14 Qs 21/22 I. Sachverhalt […]
StRR-Kompakt 2022_09
Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ Im Jahr 2020 ist der damals vom Bundesland Hessen vorgelegte Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ (BR-Drucks 107/20), der damals allgemein abgelehnt worden ist, nicht weiterverfolgt worden. Nun hat aber der Bundesrat erneut einen Gesetzentwurf zur „Effektivierung des Bußgeldverfahrens“ eingebracht (BT-Drucks 20/1545), der im Wesentlichen der früheren Gesetzesinitiative entspricht. Der Entwurf […]
Fortentwicklung der StPO: Auskunftsverlangen, Telefonüberwachung, Vernehmungen und Revisionsbegründungsfrist und sonstige Änderungen
Wir haben in den vergangenen Monaten schon über einige Änderungen bzw. Neuregelungen in der StPO durch das „Gesetz zur Fortentwicklung der StPO u.a.“ vom 25.6.2021 (BGBl I, S. 2099) berichtet. Die Reihe schließen wir nun mit der Vorstellung weiterer Änderungen ab. I. Auskunftsverlangen (§ 99 Abs. 2 StPO) Früher war in § 99 StPO a.F. (nur) die sog. Postbeschlagnahme geregelt. […]
Strafantrag durch „einfache“ E-Mail?
Keine wirksame Anbringung eines Strafantrags mittels „einfacher“ E-Mail. (Leitsatz des Gerichts) BGH, Beschl. v. 12.5.2022 – 5 StR 398/21 I. Sachverhalt Strafantrag per E-Mail Das LG hat den Angeklagten u.a. wegen Verstößen gegen Weisungen während der Führungsaufsicht verurteilt. Die Sachbearbeiterin der Führungsaufsichtsstelle schickte im September 2020 von ihrem Arbeitsplatz aus der zuständigen Staatsanwältin an deren […]
Entscheidung über Unterbringung ohne Sachverständigenvernehmung
Das Tatgericht darf von einer Begutachtung nach § 246a StPO auch dann absehen, wenn es eine grundsätzlich in Betracht kommende Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht in Erwägung zieht, weil nach den Umständen des Einzelfalls das Fehlen der Anordnungsvoraussetzungen auf der Hand liegt. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 23.3.2022 – 6 StR 63/22 I. Sachverhalt Absehen […]
Zeitpunkt der Belehrung des Angeklagten und Verständigungsgespräche
Soll im Zusammenhang mit der Mitteilung gemäß § 243 Abs. 4 S. 1 StPO (erneut) in Erörterungen mit dem Ziel einer Verständigung (§ 257c StPO) eingetreten werden, sei der Vorsitzende nicht verpflichtet, den Angeklagten zunächst über sein Schweigerecht zu belehren. (Leitsatz des Verfassers) BGH, Beschl. v. 15.6.2022 – 6 StR 206/22 I. Sachverhalt Verstoß gegen § 243 Abs. 5 S. 1 StPO […]
Begründung der Revision/Rechtsbeschwerde
1. Genügt eine erhobene Verfahrensrüge nicht den Begründungsanforderungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO und wird die Sachrüge nicht erhoben, so ist die Rechtsbeschwerde insgesamt unzulässig. 2. Lassen die Ausführungen in der Rechtsmittelbegründung erkennen, dass der Beschwerdeführer in Wahrheit nicht die Rechtsanwendung beanstandet, sondern ausschließlich die Beweiswürdigung und die Richtigkeit der Urteilsfeststellungen, so handelt […]

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