Gerade dann, wenn Prozesse haken oder die Resonanz ausbleibt, stelle ich diese Frage gerne: „Würden Sie sich denn bei sich selbst bewerben?“
Die Reaktionen darauf sind vielfältig: Zögern, Schulterzucken, ein offenes „Wahrscheinlich nicht auf diese Anzeige“ oder ein nachdenkliches „Darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht“.
Was auf den ersten Blick amüsant wirken mag, bringt ein zentrales Dilemma im juristischen Recruiting auf den Punkt:
Viele Kanzleien und Rechtsabteilungen investieren viel Zeit, Mühe und Geld in Karriereseiten, Stellenanzeigen, Messen und weitere Maßnahmen zur Kandidatengewinnung. Aber sie erreichen nicht die Bewerberinnen und Bewerber, die sie wirklich suchen.
Warum ist das so? Oftmals weil das, was intern als attraktiv gilt bzw. galt, extern keine Relevanz mehr entfaltet. Weil über Benefits gesprochen wird, aber nicht über echte Beweggründe. Weil die Recruiting-Welt sich weiterentwickelt hat, während viele einstellenden Kanzleien davon ausgehen, dass das, was früher funktioniert hat, doch noch reicht. Es dauert halt etwas länger. Ein „Anderen geht es ja auch nicht besser“ wird zur Ausrede im „War for Talents“.
Von Obstkörben, Pingpong-Tischen und Job-Rädern
„Wir bieten flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und ein tolles Team. Und ganz neu auch ein Job-Rad.“
Was vor wenigen Jahren noch innovativ klang, wirkt heute austauschbar und beliebig. In einer Branche, die sich gerade neu erfindet zwischen Legal Tech, flexiblen Arbeitsmodellen sowie Remote-Arbeit, wachsendem Wertekonflikt und neuen Ansprüchen der Generationen, braucht es mehr als Kaltgetränke, Vitamine und Job-Räder (ohne übrigens den Wert dessen schmälern zu wollen!).
Nur: worum geht es Talenten dann heute wirklich?
Zusammengefasst geht es um Sichtbarkeit. Um Relevanz. Und um das echte Verstehen und die Auseinandersetzung damit, was juristische Fachkräfte bewegt. Gerade im Hinblick auf die aktuellen Herausforderungen und einem Rechtsmarkt im Wandel suchen wechseloffene Kandidat:innen mehr denn je nach Haltung, Klarheit und Perspektive.
Das eigentliche Problem sind nicht die falschen Benefits, sondern das fehlende Bewusstsein
Die Wahrheit mag auf den ersten Blick unbequem klingen:
Nicht der Obstkorb oder das Job-Rad schreckt Talente ab, sondern die Tatsache, dass Arbeitgeber glauben, damit noch zu punkten.
Anders gesagt: Viele Arbeitgeber sind überzeugt davon, modern und bewerbergerecht zu kommunizieren, weil sie gendern, auf LinkedIn oder Instragram aktiv sind oder auf ihrer Karriereseite „Teamgeist“ und „flexible Arbeitsmodelle“ betonen. Doch die passenden Talente erreichen Sie heute nicht mehr mit dem Abhaken einer Checkliste, sondern durch die wirkliche Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen und Wünschen der potenziellen Mitarbeitenden. Oder anders gesagt: mit einer klaren und entsprechend kommunizierten Haltung.
Und genau die fehlt in vielen Recruiting-Prozessen. Die Haltung, die eigene Arbeitgebermarke kritisch zu reflektieren. Die Bereitschaft, sich mit der Sicht der Bewerbenden ernsthaft auseinanderzusetzen.
Ein Gedankenspiel: Sie lesen Ihre eigene Anzeige als Bewerber:in
Stellen Sie sich vor, Sie sind auf Jobsuche. Mit fundierter Ausbildung, Berufserfahrung, einem klaren Anspruch und zu klärenden Fragen an Ihr zukünftiges Umfeld und Entwicklungsmöglichkeiten.
Dann stoßen Sie auf Ihre eigene Anzeige oder auf Ihre Karriereseite. Seien Sie ehrlich: Lesen Sie diese wirklich bis zum Schluss? Erkennen Sie, worum es inhaltlich und menschlich geht? Erhalten Sie den Eindruck: „Ich habe eine Idee, welche Kultur sich dahinter verbirgt“ oder „Da bekomme ich gerade richtig Lust, mich zu bewerben“?
Wenn Sie bei diesen Gedanken nicht direkt zustimmend nicken, lohnt sich ein Blick auf den nächsten Abschnitt und darauf, was Bewerbende heute wirklich suchen.
Ein Beispiel aus der Praxis: Warum viele Matches nicht an der Qualifikation scheitern
Vor einigen Wochen begleitete ich eine mittelständische Kanzlei bei der Suche nach einer Verstärkung im Bereich Arbeitsrecht. Die Anzeige war solide formuliert, die Website modern inklusive Karriereseite. Und trotzdem: es meldete sich niemand, der wirklich passte.
Im gemeinsamen Sparring zeigte sich: Die Anforderungen waren intern noch gar nicht final geklärt. Es gab unterschiedliche Vorstellungen zu Rolle, Perspektive und Einbindung und damit auch Unsicherheiten in der Kommunikation.
Wir überarbeiteten gemeinsam das Profil, schärften den Fokus und stellten die Frage neu:
Wen brauchen wir in dieser Rolle wirklich und was können wir bieten? Kurz-, mittel- und auch langfristig?
Das Ergebnis: Innerhalb von zwei Wochen konnte ich u. a. eine Kandidatin vorstellen, die genau ins gesuchte Profil passte, fachlich wie menschlich. Der Clou: Diese Kandidatin war ursprünglich gar nicht aktiv auf Jobsuche gewesen. Aber die gezielte Ansprache, der ehrliche Ton und die klar umrissene Perspektive haben sie überzeugt, in den Austausch zu gehen.
Wichtiges Learning für Kanzleien, die die Anzahl der Bewerbungen nach wie vor als Qualitätsfaktor für den Prozess werten: Es braucht nicht quantitativ mehr Bewerbungen, sondern bessere Gespräche.
Was Juristinnen und Juristen heute wirklich suchen
Im juristischen Arbeitsmarkt von heute geht es für die meisten nicht mehr nur um einen sicheren Job und rein materielle Benefits. Gesucht werden darüber hinaus: Klarheit, Haltung, Perspektive. Ein Umfeld, das nicht nur beschäftigt, sondern versteht, und in dem die Mitarbeitenden die aktuellen Entwicklungen und die Herausforderungen für die Zukunft aktiv mitgestalten können.
Was heißt das konkret und worauf kommt es für Sie in Ihrem Recruiting an?
1. Klarheit über die Rolle
Heißt Klarheit darüber, was die Mitarbeitenden fachlich, menschlich und strategisch erwartet.
Viele Ausschreibungen bleiben in diesen Punkten schwammig oder muten an wie Copy-Paste-Versionen alter Vorlagen. Wenn ich mit Kanzleien an diesem Punkt arbeite, stellt sich tatsächlich oft heraus, dass es noch interne Unklarheiten und Klärungsbedarf gibt. Erst wenn diese gelöst sind, kann die authentische und zielgerichtete Kommunikation nach außen erfolgen.
Was Talente überzeugt und Orientierung gibt:
- Konkrete Tätigkeitsbeispiele
- Einblicke in typische Mandatsarbeit und Teamstruktur
- Eine konkrete Vorstellung der ersten 100 Tage
2. Eine glaubwürdige Haltung zu Work-Life-Realitäten
Jurist:innen wissen, dass der Beruf fordernd ist. Gleichzeitig erwarten sie, dass Arbeitszeitmodelle, Flexibilität, Homeoffice, Vereinbarkeit nicht nur versprochen, sondern tatsächlich gelebt werden.
Wirklich überzeugend sind:
- Ein transparenter Umgang mit Arbeitszeiten und tatsächlichen Erwartungen
- Konkrete und einheitliche Regelungen
- Führungskräfte, die selbst mit gutem Beispiel vorangehen, wie etwa Teilzeit-Partner:innen oder Teamleitungen mit Projekt-Verantwortung
Ein früher durchaus nicht unüblicher Satz wie „Hohe Einsatzbereitschaft setzen wir voraus und bieten dafür ein teamorientiertes Umfeld, das gerne auch mal den Abend gemeinsam ausklingen lässt“ kann ohne entsprechenden Kontext mehr Bewerbungen kosten als jede fehlende Zusatzleistung.
3. Echte Entwicklung und (Mit)Gestaltung
Gerade mit zunehmender Berufserfahrung fragen viele Kandidatinnen und Kandidaten nicht mehr zuerst nach dem Gehalt. Sondern:
- Was kann ich hier aufbauen und gestalten?
- Wie sehen die Verantwortlichkeiten in dieser Rolle aus?
- Wie wird das Team/Wie werde ich in Entscheidungen konkret eingebunden?
Ein transparenter Karrierepfad, regelmäßige Feedbackschleifen, Mentoring-Angebote oder die Möglichkeit, sich fachlich und persönlich kontinuierlich weiterzuentwickeln, fallen heute in die Waagschale und können zum Gamechanger im Recruiting werden.
4. Umgang mit aktuellen Herausforderungen
Was ist Ihre Haltung zu KI, Legal Tech, hybriden Teams oder der sich wandelnden Rolle der Anwältin bzw. des Anwalts? Gibt es konkrete Ideen, Projekte und Ansatzpunkte, wie sich die Kanzlei zukunfts- und wettbewerbsfähig hält oder machen Sie erst einmal einfach „weiter wie bisher“?
Die Antworten auf diese Fragen entscheiden, ob ein Bewerbungsgespräch auf Augenhöhe stattfindet oder zur Einbahnstraße wird.
Zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Viele Kanzleien und Rechtsabteilungen investieren viel Geld und Zeit in ihren Recruitingprozess: Anzeigen, Karriereseiten mit (Video)Testimonials, Messeauftritte, Benefits. Der Wille ist da, Budgets werden freigegeben. Und dennoch bleibt die Resonanz überschaubar oder trifft einfach nicht die Talente, die eigentlich erreicht werden sollen.
Was fehlt, ist die konsequente Perspektivübernahme.
Juristische Fachkräfte, insbesondere mit Berufserfahrung, haben in den letzten Jahren ein sehr feines Gespür entwickelt für Tonalität, Struktur und Glaubwürdigkeit. Sie lesen zwischen den Zeilen, stellen konkrete Rückfragen und zeigen sich kritischer. Oftmals auch aufgrund bereits gemachter Erfahrungen.
Beispiele?
Wenn in einer Anzeige von „flachen Hierarchien und schnellen Entscheidungswegen“ die Rede ist, aber gleichzeitig alle Entscheidungen durch ein Partnermodell laufen, dann wirkt das unauthentisch.
Wenn „Eigenverantwortung“ heißt: „Mach mal allein. Feedback gibt es, wenn etwas schiefläuft oder der Mandant sich meldet“, dann entsteht kein Gefühl von Vertrauen, sondern von Überforderung.
Wenn „individuelle Entwicklungsmöglichkeiten“ versprochen werden, aber intern keine klaren und transparenten Karrierepfade existieren, dann klingt das eher nach der Möhre vor der Nase als nach echter Perspektive.
Juristinnen und Juristen fragen sich daher vor einem Wechsel:
- Werde ich als Mensch und entsprechend meiner aktuellen Situation und Fähigkeiten gesehen?
- Passt das Umfeld zu meinen Werten, meinem Stil, meinem Anspruch?
- Dient diese Option auch meiner Weiterentwicklung oder fülle ich nur eine Arbeitslücke?
Wer darauf im Bewerbungsprozess keine Antwort liefert, verliert Talente. Nicht laut und meist nicht mit offener Rückmeldung, aber stetig oder eben durch fehlende Resonanz.
Kommunikation als Entscheidungskriterium
Wenn Ausschreibungen formuliert werden wie: „Wir suchen Verstärkung für unser wachsendes Team mit spannenden Mandaten und hoher Eigenverantwortung“, dann bleiben viele Fragen offen.
- Was heißt Eigenverantwortung konkret?
- Wer führt ein? Wer begleitet?
- Woran merke ich als Talent, dass ich gut bin und weiterkomme?
- Was bedeutet „spannend“ und für wen?
Wer hier klare Aussagen trifft, schafft Orientierung und zieht die Talente an, die wirklich passen. Was auch gut ist, denn je besser die Passung, desto stärker die Bindung.
Kommunikationsfehler, die Talente kosten
- Konsistenz: Die Tonalität der Anzeige passt nicht zum Gespräch. Klingt die Anzeige locker und offen, Gespräch und Interviewstil dann aber formalistisch und steif, entsteht ein Stil- und in der Regel auch Vertrauensbruch.
- Erreichbarkeit: Es fehlt an persönlichen Ansprechpartner:innen und der Möglichkeit, Rückfragen zu stellen. Das signalisiert: Distanz statt Dialog.
- Haltung: Wer reflektiert, wirkt glaubwürdig. Wer auch über Baustellen und aktuelle Herausforderungen sprechen kann und Offenheit signalisiert, zeigt: Hier arbeiten echte Menschen, die was bewegen wollen und sich den Themen stellen.
- Perspektive: Kanzleien sprechen nur über sich anstatt ihrer Zielgruppe, ihren Wünschen, Interessen und Vorstellungen zuzuhören. Sätze wie:
-
- „Wir sind eine moderne Kanzlei mit spannenden Mandaten“
- „Unser junges Team arbeitet in einem dynamischen Umfeld“
- „Sie erwartet eine abwechslungsreiche Tätigkeit mit hoher Eigenverantwortung“ könnten aus nahezu jeder Anzeige stammen.
Sie bieten keine Identifikation, keine Differenzierung und schon gar keinen Einblick in Kultur oder Alltag.
Warum viele Kandidat:innen nicht suchen und trotzdem wechseln
„Wir haben die Stelle überall ausgeschrieben, aber keine passenden Bewerbungen erhalten.“ Diesen Satz höre ich oft. Was dabei häufig übersehen wird: Viele Talente sind zwar offen für passende Optionen, aber selbst nicht aktiv auf Jobsuche.
Denn viele juristische Fachkräfte, die heute gut aufgestellt sind, haben keinen akuten Wechselwunsch. Aber sie haben Fragen. An ihre Entwicklung. An die Kultur ihres Arbeitgebers. An das, was in den nächsten Jahren auf sie zukommt: fachlich und menschlich.
Und genau hier liegt der Hebel: Wer es schafft, nicht nur eine Stelle anzubieten, sondern ein echtes Gesprächsangebot zu machen und in den Austausch zu gehen, stößt Veränderungsprozesse an, selbst bei scheinbar gebundenen Mitarbeitenden.
Kanzleien, die Talente gewinnen möchten, sollten sich daher nicht nur auf aktiv Suchende beschränken. Sie dürfen lernen, Wechselmotive frühzeitig zu erkennen und mit den richtigen Impulsen anzusprechen:
- Was fehlt vielen, ohne dass sie es konkret benennen können?
- Was ist für sie selbstverständlich geworden, obwohl es anderswo nicht gelebt wird?
- Was würde sie bewegen, ihren nächsten Schritt zu denken statt weiter im Status quo zu funktionieren?
Viele Kandidat:innen entscheiden sich nämlich nicht gegen ihren alten Arbeitgeber, sondern für ein neues Umfeld, das sie sieht, fordert und ihnen eine neue Perspektive bietet.
Wer diesen Raum öffnet mit echten Fragen, einer klaren Haltung und einem ehrlichen Angebot bringt Bewegung in den Markt.
Was Sie heute schon konkret tun können: ein Realitätscheck
Gerade kleine und mittelständische Kanzleien unterschätzen noch den Aufwand bei der Talentgewinnung und -bindung und wie viel Struktur und Reflexion erfolgreiche Personalsuchen heute brauchen. Recruiting beginnt nicht mit Textentwürfen für Ausschreibungen & Brainstorming zu möglichen Kanälen, sondern mit dem ehrlichen Blick auf sich selbst. Wo Sie selbst an Grenzen stoßen, hilft der Austausch mit erfahrenen Legal Recruiting-Partner:innen und Personalberater:innen weiter.
Folgende Fragen helfen Ihnen bei der Selbstprüfung:
- Wissen wir, was Jurist:innen bei uns wirklich finden? Nicht nur auf dem Papier, sondern im Alltag?
Beispiel: Was würden neue Teammitglieder nach 6 Monaten überraschend finden bzw. womit haben sie bei Arbeitsantritt nicht gerechnet? - Können wir erklären, warum eine juristische Fachkraft genau bei uns arbeiten sollte statt beim Wettbewerb?
Beispiel: Können wir unseren USP (Unique Selling Point, also ein Aspekt, der Sie von Ihrer Konkurrenz abhebt) benennen oder setzen wir auf bekannte und vertraute Standardformulierungen? - Haben wir den Mut, auch zu sagen, woran wir noch arbeiten bzw. aktuelle Herausforderungen zu benennen?
Beispiel: Was bedeutet „Wir sind im Wandel“ konkret? - Und zuletzt die bereits eingangs gestellte Frage: Würden wir uns selbst bewerben?
Sofern nicht, geht es weiter: Was fehlt? Was müssen wir angehen, um das zu ändern?
Gerade diese letzte Frage ist mehr als ein rhetorischer Kniff. Sie ist der Lackmustest dafür, ob Kultur, Struktur und Kommunikation zusammenpassen. Und ob aus Anspruch auch Anziehungskraft wird.