Beitrag

© Adobe Stock, helivideo

“Über Geld spricht man nicht” – Eine überholte Maxime?

„Über Geld spricht man nicht“ mahnt ein bekanntes deutsches Sprichwort. Es gilt als unangemessen, Finanzielles wie etwa Einkommen, Schulden oder eigenes Vermögen in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Doch wer ist diese Gruppe, die ungern über Geld spricht? Sind das Zwanzig- und Fünfzigjährige gleichermaßen? Was sind ihre Motive? Und: Ist das Ganze noch zeitgemäß?

Geld ist ein sensibles Thema

In Deutschland ist es verpönt, offen über die eigenen Finanzen oder die des Gegenübers zu sprechen. Geld ist Privatsache, Bescheidenheit wird geschätzt und Prahlerei verachtet. Selbst in Freundschaften und sogar innerfamiliär werden Gehälter und Vermögen untereinander selten offengelegt. Doch warum eigentlich? Neben kulturellen Motiven, die viele zurückhaltend sein lassen, spielen u. a. auch folgende Aspekte eine Rolle:

  • Neid: Menschen haben den Hang, sich mit anderen hinsichtlich Vermögen und Einkommen zu vergleichen. Wer dabei schlechter abschneidet, ist unzufrieden oder entwickelt Neidgefühle gegenüber Besserverdienenden oder wohlhabenderen Menschen.
  • Konfliktvermeidung: Einige “Besserverdiener” fürchten, wegen ihres Einkommens verurteilt zu werden (“Ungerechtigkeit”) oder mit Kritikern oder Neidern in Streit zu geraten.
  • Privatsphäre: In Deutschland hat die Wahrung der Privatsphäre einen besonderen Stellenwert. Wohlhabende oder berühmte Menschen sehen dies durch die Offenlegung ihrer finanziellen Situation gefährdet und legen daher großen Wert auf Diskretion.
  • Scham: Doch nicht nur Vermögende sprechen ungern über Geld. Auch Arbeitslose, verschuldete Menschen oder jene, die mit ihren monatlichen Einkünften regelmäßig kaum auskommen, thematisieren ihre finanzielle Situation ungern. Dann jedoch weniger, um ihre Privatsphäre zu schützen, als vielmehr aus Scham und dem Gefühl, versagt zu haben.

“Geld ist Privatsache” – Typisch deutsch?

Ist es “typisch deutsch”, nicht über Geld zu sprechen? Mitnichten! Es gibt mehrere Länder mit ähnlichen Redewendungen und dem gemeinsamen Tenor, dass das Thema Geld tunlichst diskret zu behandeln ist:

  • Die Sprichwörter “Del dinero no se habla.” (spanisch) und “Del denaro non si parla.” (italienisch) entsprechen in ihrer Übersetzung und inhaltlichen Auslegung dem deutschen Über Geld spricht man nicht.”
  • Im Englischen gibt es das Sprichwort “Money talks, but wealth whispers. (Geld spricht, aber Reichtum flüstert.) Es betont, dass echter Reichtum und “altes Geld” meist sehr diskret gehandhabt und nicht zur Schau gestellt wird, anders als z. B. oft bei “Neureichen” wie etwa Lottogewinnern.
  • Die französische Wendung “L’argent n’a pas d’odeur.” (Geld hat keinen Geruch.) wird unterschiedlich interpretiert. Zum einen dahingehend, dass es egal ist, wie man zu Geld komme, wichtig sei nur, es zu haben. Zum anderen dahingehend, dass Geld zu haben weder gut noch schlecht sei, sondern neutral. Nur die Art, wie es eingesetzt werde, sei einer moralischen Wertung zugä

Geld als Tabuthema: Ist das noch zeitgemäß?

Gesellschaftliche Normen und der Umgang mit dem Thema Geld haben sich in den letzten Jahren verändert. Jüngere Menschen sprechen über ihr Einkommen deutlich lockerer als beispielsweise die Generation X oder die Babyboomer. Sie sind mit Internet und Social Media aufgewachsen. Das hat es ihnen erleichtert, sich zu informieren und offener auszutauschen. Auch im Arbeitsleben wird zunehmend gefordert, Gehälter in Firmen transparenter zu machen (Stichwort Gender-Pay-Gap) oder Gehaltsspannen schon in den Stellenausschreibungen zu nennen. So waren im Rahmen einer Azur-Recherche viele Großkanzleien auskunftsfreudig hinsichtlich ihrer Einstiegsgehälter.

Zusammenfassend kann man sagen, dass es zwar durchaus gute Gründe für eine gewisse Diskretion in Finanzthemen gibt, in bestimmten Situationen jedoch mehr Transparenz durchaus Vorteile hat. Das Sprichwort Über Geld spricht man nicht”, ist also nicht als absolute Maxime, sondern eher als eine soziale Konvention zu verstehen, die nur situativ und einzelfallbezogen zu beachten ist.

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…