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Liegt die Zukunft des Rechtsmarktes im Gesundheitsmanagement? Warum Kanzleien dringend anfangen sollten, aktives Gesundheitsmanagement zu implementieren!

Die Anforderungen an Rechtsanwälte und Kanzleien sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Das Arbeitsumfeld verändert sich rasant. Die Digitalisierung bringt eine ständige Erreichbarkeit und gerade in der Rechtsbranche eine „Always-on“-Mentalität. Spätestens die allgemeine Verfügbarkeit von Generativer künstlicher Intelligenz (GenAI) erfordert ein Umdenken, Anpassen und teilweise Neulernen der Arbeitsprozesse. Die Erwartungen der Mandantschaft an den Output des Rechtsanwaltes steigen stetig, denn ChatGPT kann das doch auch in einer Minute (… übrigens in teilweise überraschend guter Qualität).

Dazu kommt eine kontinuierliche Zunahme der gesetzlichen und regulatorischen Komplexität und der Markt- und Wettbewerbsdruck wird immer höher. Das führt auch dazu, dass die in der Rechtsbranche mitunter vernachlässigten sogenannten „soft skills“ also menschliche Qualitäten und Fähigkeiten wie beispielsweise Empathie, Kommunikation und Kreativität immer wichtiger werden. Heißt das jetzt, wir müssen da auch noch Fortbildungen machen? Ziemlich sicher, ja! Das heißt das.

Bis sich der steigende Druck signifikant auf die Gesundheit der Betroffenen auswirkt, war es nur eine Frage der Zeit. Es verwundert also nicht, dass die Krankheitsfehlzeiten in den letzten Jahren immens gestiegen sind.

Immer weiter steigende Krankheitsfehlzeiten!

Die letzten Jahre ist in Deutschland ein signifikanter Anstieg der krankheitsbedingten Fehlzeiten zu verzeichnen. Der Fehlzeiten-Report 2023 der AOK dokumentiert, dass der Krankenstand im Jahr 2022 mit 6,7 % einen Höchststand erreichte, was einen deutlichen Anstieg im Vergleich zu den Vorjahren darstellt. Besonders auffällig ist der Anstieg bei psychischen Erkrankungen, die seit 2012 um 48 % zugenommen haben. Diese Entwicklung betrifft selbstverständlich auch juristische Berufe, die oft unter besonders hohem Stress und langen Arbeitszeiten leiden.

Die TK bestätigt in ihrem Gesundheitsreport 2023 ebenfalls eine Zunahme der Fehlzeiten, insbesondere bedingt durch psychische Erkrankungen und Rückenleiden. Diese beiden Kategorien gehören neben Atemwegserkrankungen zu den häufigsten Gründen für Arbeitsunfähigkeit. Der Fehlzeiten-Report 2024 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zeigt erneut einen deutlichen Anstieg der krankheitsbedingten Fehlzeiten im Jahr 2023 und auch die vorläufigen Zahlen für 2024 zeigen erneut Anstiege. Danach verursachten insbesondere psychische Erkrankungen im ersten Halbjahr 2024 182 Fehltage bezogen auf 100 Versicherte und damit 14 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2023. Krankschreibungen mit einer psychischen Diagnose waren nicht nur häufiger, sondern führten auch zu noch längeren Ausfällen als im Vorjahreszeitraum.

Das ist teuer!

Noch spannender ist aber, wie viel das Ganze kostet:

Die erhöhten Krankheitszahlen verursachen erhebliche Kosten für die deutsche Wirtschaft. Schätzungen der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA) zufolge beliefen sich diese bereits im Jahr 2020 auf 87 Milliarden Euro. Diese Summe setzt sich zusammen aus direkten Kosten für das Gesundheitssystem, wie Arztbesuche und Medikamente, sowie indirekten Kosten, die durch Produktionsausfälle und reduzierte Produktivität entstehen​.

Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln belaufen sich die durchschnittlichen Kosten eines Krankheitstages für einen Arbeitgeber in Deutschland branchenübergreifend pro Arbeitnehmer auf etwa 400 Euro. Diese Zahl berücksichtigt sowohl direkte Kosten (Lohnfortzahlungen) als auch indirekte Kosten wie Produktionsausfälle und zusätzliche Belastungen für Kollegen. Diese Zahl dürfte im Bereich Rechtsdienstleistungen eher zu gering angesetzt sein.

Nach dem o.g. Report des WIdO fehlen Arbeitnehmer im Durchschnitt etwa 19,4 Tage pro Jahr krankheitsbedingt.

Wenn Sie gerade anfangen, zu rechnen, werden Sie sich wahrscheinlich wundern, wie schnell Sie bei sechsstelligen Beträgen ankommen.

Branchenübergreifend haben Arbeitgeber im Jahr 2020 insgesamt 74,3 Milliarden Euro an Bruttogehältern und darauf fällige Sozialversicherungsbeiträge für ihre erkrankten Mitarbeitenden gezahlt. Bis 2025 wird die Summe laut Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) voraussichtlich auf über 84 Milliarden Euro steigen.

Es ist also allerhöchste Zeit, dass wir über das Thema Gesundheitsmanagement sprechen!

Als Rechtsanwältin und Coach für Juristen, Rechtsanwälte und Kanzleien beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit dem Thema betriebliches Gesundheitsmanagement für Kanzleien.

Was ist Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM)?

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist ein systematischer und ganzheitlicher Ansatz, um die Gesundheit der Mitarbeitenden zu fördern. Es umfasst Maßnahmen zur Prävention von Krankheiten, die Förderung eines gesunden Lebensstils sowie die Schaffung eines gesundheitsfördernden Arbeitsumfelds.

Dabei geht es nicht nur um Fitnessangebote oder gesunde Ernährung, sondern auch um mentale Gesundheit, Stressbewältigung und Work-Life-Balance. Wichtig ist, dass ein ganzheitliches Konzept verfolgt wird, bei dem die Verantwortung sowohl beim Unternehmen als auch bei den Mitarbeitenden liegt. D.h. es geht nicht darum, mit gesponsorten Fitness-Abos oder gesunden Snacks im Büro, die Verantwortung komplett auf die Mitarbeitenden abzuwälzen, sondern dass neben diesen individuellen Angeboten (sog. Verhaltensprävention) auch strukturelle Ansätze zur Gesundheitsförderung in die Arbeitskultur integriert und vorgelebt werden (Verhältnisprävention). Dazu gehört z.B. auch ein gesunder Führungsstil.

Was bringt’s?

Studien zeigen, dass ein gut implementiertes BGM zahlreiche Vorteile bietet. Dazu gehören eine höhere Mitarbeiterzufriedenheit, geringere Fehlzeiten und eine verbesserte Produktivität. Insbesondere in Berufen, die von hohem Stress und langen Arbeitszeiten geprägt sind, trägt BGM auch dazu bei, Burnout und anderen stressbedingten Erkrankungen vorzubeugen.

Ein gutes Gesundheitsmanagement stärkt zudem das Image des Arbeitgebers. Kanzleien, die sich um die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden kümmern, werden als attraktiv wahrgenommen. Der Wolters Kluwer Future Ready Lawyer Report 2023 zeigt, dass Nachwuchsjuristen heute großen Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance sowie flexible Arbeitsbedingungen und damit mehr Wert auf die Qualität des Arbeitsumfeldes als die Höhe des Einstiegsgehaltes legt.

Und in Zahlen?

Der Return on Investment (ROI) von BGM kann ganz erheblich ausfallen, wobei Studien einen Faktor von 1:2,5 bis 1:6 belegen. Das bedeutet, dass für jeden investierten Euro zwischen 2,50 € und 6 € zurückfließen. Dieser positive ROI entsteht durch Einsparungen bei den Krankheitskosten, reduzierte Fehlzeiten, gesteigerte Produktivität und eine höhere Mitarbeiterbindung. Das BGM kann sich schon ab dem ersten Jahr nach der Implementierung lohnen, besonders bei Kanzleien mit hohen Fehlzeiten. Ab wann es sich lohnt, hängt aber stark von der Art, dem Umfang und der Implementierung der Maßnahmen ab. Frühzeitige positive Effekte sind vor allem durch Maßnahmen zur Stressreduktion und zur Förderung der psychischen Gesundheit zu beobachten.

Wie sieht’s damit in der Rechtsbranche aus?

Bisher sind Konzepte zu einem ganzheitlichen Gesundheitsmanagement in der Rechtsbranche eher selten anzutreffen. Es gibt aber ein paar Big Player, die Maßnahmen zur Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeitenden treffen und von positiven Ergebnissen berichten.

Kanzleien, wie z.B. Hogan Lovells und Deloitte Legal, werben vor allem im Hinblick auf Nachwuchsgewinnung mit ihren Gesundheitsmaßnahmen.

Was tun sie?

Zu solchen Maßnahmen gehören unter anderem:

  • Flexible Arbeitszeiten und Remote-Arbeit: Diese ermöglichen es den Mitarbeitenden, eine bessere Work-Life-Balance zu erreichen.
  • Angebote zur psychischen Gesundheit: Dazu zählen Workshops zur Stressbewältigung, Beratungsdienste und Zugang zu mentaler Gesundheitsbetreuung. Einige Kanzleien bieten auch Achtsamkeits- und Meditationsprogramme an.
  • Körperliche Gesundheitsförderung: Viele Kanzleien bieten ihren Mitarbeitenden Zugang zu Fitnessstudios oder fördern körperliche Aktivitäten durch subventionierte Sportprogramme.
  • Ernährungsberatung und gesunde Kantinenangebote: Um die Gesundheit ganzheitlich zu fördern, legen einige Kanzleien auch Wert auf gesunde Ernährung durch entsprechende Angebote in ihren Kantinen.

Welche Ergebnisse erzielen sie damit?

Die Ergebnisse solcher Gesundheitsmanagement-Maßnahmen sind vielversprechend.

Reduzierung von Fehlzeiten: Die Einführung eines umfassenden Gesundheitsmanagements führt zu einer deutlichen Reduzierung der krankheitsbedingten Fehlzeiten.

Mitarbeiterzufriedenheit: Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten, Remote-Arbeit und Angebote zur mentalen Gesundheit tragen wesentlich zur Erhöhung der Mitarbeiterzufriedenheit bei. Dies führt nicht nur zu einem besseren Arbeitsklima, sondern auch zu einer höheren Mitarbeiterbindung und damit geringerer Fluktuation.

Produktivität: Es wird festgestellt, dass gesündere und zufriedene Mitarbeitende produktiver sind. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben, kombiniert mit der Unterstützung durch Gesundheitsprogramme, führt zu einer gesteigerten Effizienz und Effektivität am Arbeitsplatz.

Employer Branding: Kanzleien, die Gesundheitsmanagement-Maßnahmen implementieren, werden als attraktive Arbeitgeberinnen wahrgenommen. Dies erleichtert es, talentierte Nachwuchskräfte zu gewinnen und langfristig zu binden.

Jetzt kommt das große ABER: Einzelne Maßnahmen reichen nicht!

Die Auswirkungen dieser Maßnahmen sind erheblich und doch darf nicht vergessen werden, worauf es am Ende immer ankommt: Wie wird das in der Kanzlei gelebt? Ist Gesundheit Führungsaufgabe oder jedem Einzelnen überlassen? Gibt es eine gesundheitsfördernde Kanzleikultur oder werden Maßnahmen eingeführt, um mal kurz ein Pflaster auf das Problem zu kleben oder Nachwuchs anzulocken?

Die Ausgestaltung eines nachhaltigen BGMs erfordert weit mehr. Nämlich eine gesunde Kanzleikultur, die aktiv gestaltet und gelebt wird.

Womit Sie, wenn Sie Kanzleiinhaberin oder Kanzleiinhaber, Partner oder Partnerin sind, direkt anfangen können, ist, einen gesunden Führungsstil zu leben.

Wie das geht?

Dazu wird es einen weiteren Artikel von mir geben. Nur so viel:

Wenn Sie überprüfen möchten, ob Sie einen gesunden Führungsstil pflegen, beginnen Sie mit einer Selbstreflexion. Stellen Sie sich folgende fünf Fragen:

  1. Pflege ich eine offene und vertrauensvolle Kommunikation mit meinen Mitarbeitenden?
  2. Wie steht es um meine Work-Life-Balance? Mache ich regelmäßig Überstunden und/oder kümmere ich mich auch aktiv um soziale Beziehungen und meine Hobbys?
  3. Wie gehe ich mit Stress und Druck um? Kann ich mich selbst regulieren oder verliere ich schon mal die Beherrschung?
  4. Investiere ich regelmäßig Zeit für Führungsaufgaben und meine persönliche Entwicklung in dieser Rolle?
  5. Pflege ich einen insgesamt eher gesunden Lebensstil?

Und? Was denken Sie?

Fazit

Die zukunftsfähige Kanzlei setzt sich aktiv mit der Gesundheitsförderung ihrer Mitarbeitenden auseinander.

Dabei kann natürlich nicht jede Kanzlei das ganz große Rad drehen, wie manch ein Big Player, und doch gibt es einige Stellschrauben, an denen auch kleinere Kanzleien drehen können. Orientieren Sie sich an den o.g. Fragen und Antworten, die Sie gefunden haben. Was können Sie im ersten Schritt selbst für sich tun?

Und dann fragen Sie ihre Mitarbeitenden. Sie können dieselben Fragen stellen oder einfach mal reinhören. „Herr Müller, was würde Ihnen helfen, gesünder zu leben? Was können wir in der Kanzlei dafür tun?“ Sie werden erstaunt sein, welche Bedürfnisse, aber auch Ideen der Mitarbeitenden bei so einer kleinen Umfrage aufkommen… und ansonsten orientieren Sie sich an den Maßnahmen, die sich bereits bewährt haben. Was davon können Sie vielleicht sogar schnell und unkompliziert umsetzen?

Am allerwichtigsten? Leben Sie vor, wie’s geht!

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