1. Ein Straßenbauarbeiter, der auf der für den fließenden Verkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten ausführt, ist als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen.
2. Ein Straßenbauarbeiter, der Markierungsarbeiten verrichtet, ist kein Fußgänger i.S.v. § 25 StVO. (Leitsätze des Gerichts)
I. Sachverhalt
Straßenbauarbeiter wird bei Unfall verletzt
Der Kläger begehrt nach einem Verkehrsunfall, bei dem er im Bereich einer Straßenbaustelle, auf der er als Fahrbahnmarkierer tätig war, vom Pkw der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 1 versichert war, angefahren wurde, materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld, wobei die Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach zu jedenfalls 75 % außer Streit steht. Eine höheren Haftungsanteil hat das LG abgelehnt, der Kläger trage eine Mithaftung an dem Unfall. Er habe auf der Fahrbahn, vornübergebeugt und mit dem Rücken zum fließenden Verkehr, gearbeitet und dem fließenden Verkehr nicht die erforderliche Aufmerksamkeit geschenkt. Als Fußgänger auf der nicht abgesperrten Fahrbahn habe ihn eine gesteigerte Sorgfaltspflicht getroffen; ihm falle daher ein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO zur Last. Das OLG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
II. Entscheidung
Grundlagen der Haftung
Das LG habe zu Recht ein Mitverschulden des Klägers angenommen, auch die Haftungsquote von 75 zu 25 zu Lasten der Beklagten erscheine sachgerecht. Die Haftung der Beklagten ergebe sich aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG. Da der Kläger selbst nicht aus § 7 Abs. 1 StVG haftet, komme die Anrechnung eines etwaigen Mitverschuldens des Klägers nicht über § 17 Abs. 1 und 2 StVG, sondern nur nach § 9 StVG i.V.m. § 254 BGB in Betracht. Im Rahmen von §§ 9 StVG, 254 BGB sei in erster Linie das ursächliche Verhalten der Beteiligten gegeneinander abzuwägen und dabei die Betriebsgefahr des Kraftfahrzeuges zu berücksichtigen, wobei nur erwiesene Verursachungsfaktoren in die Abwägung einbezogen werden dürfen. Die Abwägung setze die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die Beweislast für einen unfallursächlichen Mitverschuldensanteil der Geschädigten, hier also des Klägers, trage dabei nach allgemeinen Beweisgrundsätzen der Schädiger, mithin hier die Beklagten (BGH NJW 2014, 217 = VRR 2014, 208 [Küppers]).
Straßenbauarbeiter ist Verkehrsteilnehmer…
Der Kläger müsse sich einen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO vorwerfen lassen. Allerdings erscheine durchaus diskutabel, ob der Kläger überhaupt als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen ist. Denn in der Rechtsprechung sei in ähnlichen Fällen eine Verkehrsteilnahme jedenfalls zum Teil verneint worden (vgl. die Beispiele bei König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 46. Aufl. 2021, § 1 StVO Rn 18: Beschilderung einer Arbeitsstelle durch Arbeiter, Bauarbeiter als solche, Müllwerker, Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Straße befinden). Allerdings sei Verkehrsteilnehmer grundsätzlich jede Person, die sich selbst verkehrserheblich verhält, das heißt körperlich und unmittelbar auf den Ablauf eines Verkehrsvorgangs einwirkt (BGH NJW 2022, 1810; König, a.a.O., § 1 StVO Rn 17). Der Kläger hat angegeben, dass er während der Rotphasen für Pkw die Fahrbahn betreten und dort Markierungen gesetzt hat, vor der Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug habe er sich ein Stück neben den Baken auf dem Fahrbahnbereich befunden. Der Kläger sei daher jedenfalls immer dann, wenn er sich außerhalb des durch Baken abgetrennten Baustellenbereichs auf der – freigegebenen – Fahrbahn aufhielt, als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO anzusehen, mithin hier unmittelbar vor und im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Unfalls. Der Kläger habe nach eigenem Bekunden zwar Warnkleidung getragen, aber seine Arbeit unmittelbar vor dem Unfall in vornübergebeugter Haltung verrichtet, Er habe nicht auf den Verkehr geachtet. Der Kläger habe zudem mit dem Rücken zu dem aus der Straße kommenden Verkehr gearbeitet. Die Beklagte zu 2 habe unstreitig „Grün“, als sie von der Straße in die Unfallörtlichkeit einbog. Angesichts dieser Umstände sei es nicht zu beanstanden, dass das LG dem Kläger ein sorgfaltspflichtwidriges Verhalten vorgeworfen hat. Es wäre zwingend geboten gewesen, für eine Absicherung zu sorgen und nicht ohne eine solche Absicherung auf der für den Fahrzeugverkehr freigegebenen Fahrbahn Markierungsarbeiten vorzunehmen und dabei nicht einmal auf den Verkehr zu achten. Wenn die Eigenschaft des Klägers als Verkehrsteilnehmer i.S.v. § 1 StVO entgegen der Ansicht des Senats zu verneinen wäre, würde das Verhalten des Klägers gleichwohl ein vorwerfbares Verhalten i.S.v. §§ 254 Abs. 1, 276 Abs. 2 BGB darstellen.
… aber kein Fußgänger
Demgegenüber müsse sich der Kläger aus Rechtsgründen nicht (auch) einen Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO vorwerfen lassen, wie das LG meint. Denn zu Recht mache der Kläger geltend, dass er kein Fußgänger i.S.v. § 25 StVO war. Fußgänger seien solche Verkehrsteilnehmer, die sich zu Fuß von einem Ort an einen anderen bewegen (König, a.a.O., § 25 StVO Rn 12). Personen, die sich zum Zweck der Straßenreinigung auf der Fahrbahn aufhalten, seien dagegen keine Fußgänger im Sinne des § 25 StVO, was sich aus dem Wortsinn und mittelbar auch aus der Sonderregelung des § 35 Abs. 6 Satz 1 und 4 StVO, wonach Personen, die unter anderem bei der Reinigung von Straßen eingesetzt sind, bei ihrer Arbeit außerhalb von Gehwegen und Absperrungen auffällige Warnkleidung zu tragen haben, ergebe (BVerwG DAR 2016, 217). Für einen Bauarbeiter, wie hier, der auf einer Straße Markierungsarbeiten verrichtet, könne nichts Anderes gelten. Eine Abwägung der jeweiligen Haftungsgründe der Parteien lasse eine Haftungsquote von 75 zu 25 zu Lasten der Beklagten als sachgerecht erscheinen (wird näher ausgeführt).
III. Bedeutung für die Praxis
Überzeugend
Zur Einordnung eines Straßenbauarbeiters als Verkehrsteilnehmers bewegt sich das OLG Celle ein Stück weg von der bisher restriktiveren, wenngleich auch schon älteren Rechtsprechung (etwa BayObLG VRS 26, 221). Soweit das OLG die Eigenschaft als Verkehrsteilnehmer bejaht, sofern sich der Bauarbeiter außerhalb der abgegrenzten Baustelle Im Bereich der für den Verkehr freigegebenen Fahrbahn aufhält, ist dem nichts hinzuzufügen. Gleiches gilt für die Ablehnung der Einordnung las Fußgänger, da es schon an der Absicht zur Fortbewegung fehlt (BVerwG a.a.O.).