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Keine zusätzliche Verfahrensgebühr nach „abgesprochenem Strafbefehl“

Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschl. v. 20.5.2009 – 2 Ws 132/09), fest, dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und nicht dagegen vorzugehen. Dabei ist es unerheblich, ob von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt wird oder die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben hat und dann entweder durch Rücknahme der Anklage oder gemäß § 408a StPO zum Strafbefehlsverfahren übergegangen wird. (Leitsatz des Verfassers)

OLG Nürnberg, Beschl. v. 7.3.2023Ws 139/23

I. Sachverhalt

Die Pflichtverteidigerin hatte mit der Staatsanwaltschaft den Erlass eines Strafbefehls abgesprochen. Im Rahmen der Vergütungsfestsetzung hat sie dann auch zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141, 4104 VV RVG geltend gemacht. Die ist vom AG festgesetzt worden. Gegen die Entscheidung des AG hat die Staatskasse die wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassene Beschwerde eingelegt. Die hat das LG Nürnberg-Fürth zurückgewiesen (vgl. AGS 2023, 74 = VRR 3/2023, 26). Es hat eine entsprechende Anwendung der Nr. 4141 Anm. S. 1 Nr. 3 VV RVG bejaht. Die zugelassene weitere Beschwerde der Staatskasse gegen diesen Beschluss hatte beim OLG Erfolg.

II. Entscheidung

Festhalten an früherer Rechtsprechung

Das OLG hält ausdrücklich an seiner bisherigen Rechtsprechung (Beschl. v. 20.5.2009 – 2 Ws 132/09, RVGreport 209, 464 = Rpfleger 2009, 645 = VRR 2009, 399 = StRR 2010, 115; s. auch noch StRR 2010, 443 [Ls.]), wonach die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 VV RVG nicht anfällt, wenn der Verteidiger den Verurteilten dahingehend berät, ein den Rechtszug beendendes Urteil oder den erlassenen Strafbefehl hinzunehmen und nicht dagegen vorzugehen. Dabei sei es unerheblich, ob, wie vorliegend, von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt werde oder die Staatsanwaltschaft zunächst Anklage erhoben habe und dann entweder durch Rücknahme der Anklage oder gemäß § 408a StPO zum Strafbefehlsverfahren übergegangen werde.

Anwendung auf die vorliegende Fallkonstellation

Diese Ausführungen, die das OLG noch einmal im Einzelnen darlegt, haben nach Auffassung des OLG weiter Bestand und gelten nach seiner Ansicht auch für den vorliegenden Fall, dass von Anfang an übereinstimmend das Strafbefehlsverfahren gewählt und der Angeklagte gegen den Strafbefehl keinen Einspruch einlegt (vgl. Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., 2021, VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn 23). Auch bei dieser Fallgestaltung werde das Verfahren aufgrund der Mitwirkung des Verteidigers nicht unmittelbar beendet, sondern münde im Strafbefehlsverfahren.

Keine planwidrige Regelungslücke

Zudem sei durch das 2 KostRMoG vom 23.7.2013 der Gebührentatbestand von Nr. 4141 Anm. 1 VV RVG um die Nr. 4 ergänzt, mit der die zusätzliche Gebühr auch dann entsteht, wenn der Angeklagte seinen Einspruch auf die Höhe der Tagessätze einer festgesetzten Geldstrafe beschränkt und das Gericht nach § 411 Abs. 1 S. 3 StPO ohne Hauptverhandlung durch Beschluss entscheidet, wozu der Angeklagte und sein Verteidiger zugestimmt haben müssen. Auch in diese Änderung sei die vorliegende Fallgestaltung nicht einbezogen, was ebenfalls gegen eine planwidrige Regelungslücke spreche. Die Gegenansicht, dass auch in diesen Fällen eine Hauptverhandlung vermieden werde, sodass vom Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG ebenfalls eine entsprechende Anwendung der Vorschrift zu bejahen sei (Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, Nr. 4141 VV Rn 61 m.w.N.; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG 25. Aufl., 2021, RVG VV 4141 Rn 33) überzeugt aus den genannten Gründen nicht. Es erscheine „fragwürdig“, dass so im Wege der analogen Gesetzesanwendung ein Nichttätigwerden des Rechtsanwalts vergütet werden soll. Dass die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 3 VV RVG anfallen würde, wenn der Angeklagte Einspruch gegen den einvernehmlich erlassenen Strafbefehl einlegen und später unter Mitwirkung des Rechtsanwalts zurücknehmen würde, ändert daran nichts.

Keine Kompensationsgebühr

Die Zusatzgebühr der Nr. 4141 VV RVG sei, nachdem dort ausdrücklich nur bestimmte Fallgestaltungen geregelt sind, keine Kompensationsgebühr für allgemeine Mühewaltung der Verteidigerin, die zu einer Vereinfachung des Verfahrens beiträgt. Die Beratung durch die Verteidigerin, ob gegen einen Strafbefehl Einspruch eingelegt werden solle oder dieser akzeptiert werde, sei mit der Verfahrensgebühr abgegolten.

III. Bedeutung für die Praxis

Entsprechende Anwendung

1. Ich hatte ja schon in AGS 2023, 74 = VRR 3/2023, 26 dargelegt, dass m.E. eine entsprechende Anwendung in Betracht kommt und das LG Nürnberg-Fürth, den richtigen Weg eingeschlagen hatte. Darauf verweise ich. Die Auffassung des OLG überzeugt (mich) nicht. Sie lässt sich auch nicht mit dem Argument rechtfertigen, die Nr. 4141 VV RVG sei keine „Kompensationsgebühr“. Das ist sie eben doch. Sie kompensiert nämlich – ebenso wie schon die Vorgängervorschrift des § 84 Abs. 2 BRAGO – den durch die Mitwirkung des Verteidigers an der Beendigung des Verfahrens ohne Hauptverhandlung eintretenden „Verlust“ der Hauptverhandlungsterminsgebühr beim Verteidiger (vgl. Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 4141 VV Rn 1 f. m.w.N.). Den muss der Verteidiger also ggf. anderweitig ausgleichen. Ergebnis dieser Rechtsprechung des OLG wird daher sein, dass nun eben Verfahren nicht „vereinfacht“ durch Strafbefehl erledigt werden. Verteidiger werden erst Einspruch gegen einen Strafbefehl einlegen (wollen), um den dann zurückzunehmen und die Nr. 4141 Nr. 3 VV RVG abzurechnen. Damit ist den Zielen der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung nun wahrlich nicht gedient.

Appell an BRAK/DAV

2. Ich kann nur an die zuständigen Ausschüsse von DAV und BRAK appellieren, dafür zu sorgen, dass in einem 3. KostRMoG oder einem KostRÄnG nun endlich solche Fragen, wie die hier entschiedene, geklärt werden. Man sollte sich jetzt vielleicht nun mal Teil 4 und 5 VV RVG vornehmen und dort Änderungen durchsetzen und nicht immer nur Teil 2 und 3 VV RVG ändern/verbessern(?). Ich weiß, dass das nicht einfach ist. Verteidiger haben keine Lobby.

„Fragwürdig“

3. Abschließend Die Entscheidung beweist im Übrigen mal wieder: Es geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein OLG seine einmal gefasste Meinung aufgibt. So auch hier. Mich wundert es nicht wirklich. Erst recht nicht für Bayern. Allerdings: Mit der Entscheidung muss man leben, auch wenn es schwer fällt.

Mich persönlich ärgert an dem Beschluss die Formulierung: „fragwürdig“ in Zusammenhang mit der Bewertung meiner – von der OLG-Linie abweichenden – Argumentation. Dass ich „fragwürdig“ argumentiere, hat mir bisher noch niemand vorgehalten. Aber: OLG eben. Es beruhigt mich aber ein wenig, dass dieses „fragwürdig“ dann jedoch nicht nur für mich gilt, sondern auch für die Strafkammer des LG Nürnberg-Fürth, die ebenso „fragwürdig“ argumentiert (hat). Ich befinde mich also in gute Gesellschaft.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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