Die Form des Nachweises der Bevollmächtigung durch Überreichung eines Dokumentes zu den Akten ist nicht die einzig zulässige Form des Nachweises. Es muss allerdings klar in den Akten dokumentiert werden oder aus ihnen ersichtlich sein, dass die Bevollmächtigung erfolgt ist. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Protokollurteil
Das AG Neuruppin hat die Betroffene mit Urt. v. 10.11.2022 wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße verurteilt. Das – nicht mit Gründen versehene – Protokollurteil vom 10.11.2022 hat die Richterin des AG mit Verfügung vom selben Tag der Staatsanwaltschaft, die nicht an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, „gemäß § 41 StPO übersandt“, woraufhin die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 17.11.2022 auf Rechtsmittel verzichtete. Nach Eingang der Rechtsbeschwerde der Betroffenen am 14.11.2022 gelangten die schriftlichen Urteilsgründe am 25.11.2022 zur Akte. Diese wurden der Betroffenen aufgrund gerichtlicher Verfügung vom 24.11.2022 am 26.11.2022 und dem Verteidiger am 7.12.2022 zugestellt.
AG verwirft Rechtsbeschwerde
Mit Schriftsatz des Verteidigers vom 9.1.2023, eingegangen bei Gericht am selben Tag, begründete dieser die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung rechtlichen Gehörs und mit der Sachrüge. Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gemäß § 79 Abs. 3 OWiG, § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen, da die Begründung der Rechtsbeschwerde erst am 9.1.2023 und somit verspätet eingegangen sei. Maßgeblich für die Berechnung der Monatsfrist nach § 79 Abs. 3 OWiG, § 345 StPO sei allein das Datum der Zustellung des Urteils an die Betroffene am 26.11.2022, nicht das Datum der am 7.12.2022 erfolgten Zustellung an den Verteidiger, der keine schriftliche Vollmacht zu den Akten gereicht habe. Der dagegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg.
II. Entscheidung
Zuletzt bewirkte Zustellung maßgeblich
Das OLG bezieht sich zur Begründung seiner Entscheidung auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft. Die hatte ausgeführt, dass die hier gerichtlich verfügte und bewirkte doppelte Zustellung an die Betroffene und ihren Verteidiger gesetzlich nicht vorgesehen sei (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 145a Abs. 3 StPO). Eine dennoch angeordnete und erfolgte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte sei jedoch zulässig. Die Berechnung der Frist richte sich dann nach der zuletzt bewirkten – wirksamen – Zustellung (§ 79 Abs. 3 OWiG, § 37 Abs. 2 StPO).
Zustellung an den Verteidiger wirksam
Die – zuletzt bewirkte – Zustellung der Urteilsgründe an den Verteidiger der Betroffenen sei wirksam gewesen. Der gewählte Verteidiger, dessen Bevollmächtigung nachgewiesen sei, gelte als ermächtigt, Zustellungen für den Betroffenen in Empfang zu nehmen (§ 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Zwar habe sich zum Zeitpunkt der Zustellung keine schriftliche Vollmacht des Verteidigers bei den Akten befunden. Jedoch sei seine Bevollmächtigung hier nachgewiesen.
Form des Nachweises der Bevollmächtigung…
Auf welche Weise der Nachweis erfolgen könne, bestimme das Gesetz nicht. Mit der Änderung des § 51 Abs. 3 OWiG solle zwar ergänzend zur früheren Regelung, nach welcher eine schriftliche Vollmacht eingereicht werden musste, nunmehr grundsätzlich die Übermittlung einer Kopie ausreichen (§ 51 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Der Gesetzgeber habe diese Möglichkeit eingefügt, um die elektronische Einreichung der Verteidigervollmacht zu erfassen und nicht nur – wie zuvor – die Original-Vollmacht gelten zu lassen (BT-Drs. 19/27654, S. 40). Dabei sei davon auszugehen, dass nach Vorstellung des Gesetzgebers die Kopie bzw. das elektronische Dokument wie vormals die schriftliche Vollmacht tatsächlich zu den Akten gelangt. Ob eine Verteidigervollmacht bestehe, sei jeweils im Einzelfall zu prüfen, allerdings müsse der Nachweis an formale Kriterien geknüpft sein, da sich daraus die entsprechenden Rechtsfolgen für den Betroffenen ergeben, über die aus Rechtssicherheitsgründen Klarheit bestehen muss (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.9.2009 – 2 Ss (OWi) 129/09).
… durch Überreichung eines Dokumentes nicht die einzige Form
Die Form des Nachweises der Bevollmächtigung durch Überreichung eines Dokumentes zu den Akten sei jedoch nicht die einzig zulässige Form. Es müsse allerdings klar in den Akten dokumentiert werden oder aus ihnen ersichtlich sein, dass die Bevollmächtigung erfolgt sei. Denn anders als bei der Wirksamkeit der Vertretung durch den Verteidiger im Verfahren allgemein (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, vor § 137 Rn 9), genüge eine ausschließlich mündlich erteilte Vollmacht grundsätzlich nicht. Anhand einer Gesamtschau der im Einzelfall vorliegenden Tatsachen, insbesondere durch wiederholtes Tätigwerden als Verteidiger in der fraglichen Rechtssache könne auf seine unbeschränkte Bevollmächtigung als Verteidiger geschlossen werden (OLG Brandenburg, Beschl. v. 12.6.2019 – (1) 53 SsOWi 206/19 (124/19); Beschl. v. 28.11.2022 1 OLG – 53 SsOWi 456/22).
Auftreten als Verteidiger
So lag es nach Auffassung des OLG hier. Der Verteidiger sei hier bereits gegenüber der Verwaltungsbehörde aufgetreten, habe für die Betroffene Einspruch gegen den Bußgeldbescheid eingelegt, Akteneinsicht genommen und gegenüber dem Gericht Anträge für sie gestellt und den im Termin auftretenden Rechtsanwalt unterbevollmächtigt.
Rechtsgeschäftliche Vollmacht
Die Zustellung eines schriftlichen Urteils könne zudem auch dann wirksam erfolgen, wenn dem Verteidiger vor Ausführung der Zustellung bereits eine rechtsgeschäftliche Vollmacht zur Entgegennahme von Zustellungen erteilt worden sei (OLG Brandenburg, Beschl. v. 23.5.2016 – (1B) 53 SsOWi 200/16 (110/16) m.w.N.). Eine entsprechende bereits bei Urteilszustellung erteilte rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht des Verteidigers sei hier – durch inzwischen erfolgte Nachreichung der Vollmacht zu den Akten belegt.
III. Bedeutung für die Praxis
Zu weit
1. Das OLG geht hier m.E. – zugunsten des Verteidigers/Betroffenen – sehr weit, wenn es – bis zur Zustellung – auf jeglichen schriftlichen Nachweis einer Zustellungsvollmacht verzichten will. Denn der Wortlaut des § 51 Abs. 3 Satz 1 OWiG ist an sich eindeutig, wenn es dort heißt: „… Verteidiger, dessen Vollmacht sich bei den Akten befindet.“ Gegen diesen eindeutigen Wortlaut geht die h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung aber dennoch davon aus, dass es für die Zustellungsvollmacht ausreicht, wenn sich ggf. auch sonst aus den Akten ergibt, dass der Betroffene dem Verteidiger (mündlich) Vollmacht erteilt hat (u.a. KG VRR 2012, 74 m. Anm. Burhoff; OLG Düsseldorf NJW 2008, 2727; OLG Karlsruhe StraFo 2008, 439; OLG Zweibrücken VRR 2008, 356, jew. in Zusammenhang mit der sog. Verjährungsfalle). Das kann in anderen Zustellungsfällen dann schnell auch mal zu Lasten des Betroffenen ausgehen.
Erfolg in der Sache
2. Die Rechtsbeschwerde hatte dann auch in der Sache Erfolg. Denn das hier allein maßgebliche Protokollurteil des AG enthielt keine schriftlichen Urteilsgründe. Die nachträglich erfolgte Ergänzung der Urteilsgründe gemäß § 275 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1, § 71 Abs. 1 OWiG war unzulässig und damit für das Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr relevant. Denn das Urteil war bereits aus dem inneren Dienstbereich des AG herausgegeben und konnte nicht mehr ergänzt werden (wegen der Einzelheiten insoweit Deutscher in: Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl., 2021, Rn 3894 ff.).