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Fahrverbot: Augenblicksversagen bei übersehenem Zeichen 274

1. Ein „Augenblicksversagen“ kann nur in besonders gearteten Ausnahmefällen in Rechnung gestellt werden.

2. Ohne solche Umstände müssen sich die Urteilsgründe nicht damit befassen.

3. Es ist anzuzweifeln, dass sich ein Kraftfahrer im Hinblick auf ein angeblich übersehenes Zeichen 274 auf „Augenblicksversagen“ berufen kann, wenn er sogar die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) überschreitet. (Leitsätze des Gerichts)

KG, Beschl. v. 27.2.20233 ORbs 22/23

I. Sachverhalt

Augenblicksversagen

Das AG hat gegen den Betroffenen wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Fahrverbot angeordnet. Das KG hat seine auf das Vorliegen eines Augenblicksversagens gestützte Rechtsbeschwerde verworfen.

II. Entscheidung

Keine wirksame Berufung auf Augenblicksversagen

Die erhobene Sachrüge habe keinen Erfolg. Die insoweit allein maßgeblichen Urteilsgründe gäben keinen Anlass, ein sog. Augenblicksversagen, von dem ohnehin nur in besonders gearteten Ausnahmefällen ausgegangen werden kann, in Rechnung zu stellen. Der Hinweis, die Messstelle befinde sich im Bereich einer Schule, spreche jedenfalls eher gegen als für ein solches Augenblicksversagen. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, eine vom Verteidiger vorprozessual abgegebene „Einlassung“ hätte dem Tatgericht Anlass geben müssen, sich vertieft mit der Möglichkeit eines Augenblicksversagens auseinanderzusetzen, gehe fehl. Der Senat gehe davon aus, dass die Erklärung nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist. Nach den Urteilsfeststellungen habe sich der Betroffene über das Geständnis der Fahrereigenschaft hinaus nicht eingelassen. Dass der Verteidiger die zuvor schriftsätzlich eingereichte Erklärung in der Hauptverhandlung als eigene wiederholt hätte, was bei einer „Einlassung“ ohnedies an die Grenzen des Logischen stieße, ergebe sich nicht aus dem Urteil. Weder aus dem Urteil noch aus der Rechtsbeschwerde ergebe sich im Übrigen, dass der Betroffene abwesend und der Verteidiger zur Vertretung bevollmächtigt war, so dass letzterer überhaupt eine Einlassung wirksam abgeben konnte. All dies wäre in einer den Voraussetzungen der §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Verfahrensrüge darzulegen gewesen.

Selbst übliche Geschwindigkeitsbegrenzung überschritten

Ohnedies müsse als zumindest zweifelhaft gelten, dass sich ein Kraftfahrer auf Augenblicksversagen berufen kann, der nicht einmal die innerörtlich üblicherweise geltende Geschwindigkeitsbegrenzung (§ 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO) einhält, sondern, wie hier, um 12 km/h überschreitet.

III. Bedeutung für die Praxis

Hypothetische Geschwindigkeitsbeschränkung

Nichts grundsätzliche Neues zum Fahrverbot. Zu den Leitsätzen 1 und 2 legt das KG überzeugend dar, dass eine vorprozessuale Erklärung zum Augenblicksversagen keine Auswirkung auf die Sachrüge hierzu hat, wenn sich hierzu kein Ansatz in den Urteilsgründen findet. Zu dem apodiktisch behandelten Leitsatz 3 lässt das KG leider unerwähnt, dass es durchaus umstritten ist, ob das Überschreiten der ohne Beschilderung am Tatort hypothetisch geltenden höheren Geschwindigkeitsbeschränkung (hier wohl 50 km/h) ein Augenblicksversagen ausschließt (so etwa OLG Hamm DAR 2008, 273 m. Anm. Krumm = VRR 2008, 155 [Deutscher]); a.A. OLG Zweibrücken zfs 2017, 53). Angesichts des subjektiven Bezugs des Augenblicksversagens auf das Handlungsunrecht der Tat kann dies nur dann gelten, wenn die Überschreitung der hypothetischen Geschwindigkeit ihrerseits ein Fahrverbot auslösen würde (näher m.w.N. Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 1570 ff., 1574).

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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