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Beweisantrag auf Vernehmung des Beifahrers bei Geschwindigkeitsverstößen

1. Hat das Bußgeldverfahren einen Verstoß gegen Verkehrsvorschriften zum Gegenstand, kann im Hinblick auf die kurze Verjährungsfrist die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt werden, wenn ein Termin für die Entscheidung über eine Rechtsfrage in einem anderen Verfahren (hier: Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht) nicht feststeht (Anschluss OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – IV2 RBs 155/22, VRR 11/2022, 24).

2. Die fehlende Speicherung von Rohmessdaten begründet keinen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren und kein Beweisverbot.

3. Soll durch den Antrag auf Vernehmung des Beifahrers das Ergebnis einer Geschwindigkeitsmessung mit einem standardisierten Messverfahren erschüttert werden, wird die Beweiserhebung regelmäßig gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG abgelehnt werden können.

4. Etwas anderes gilt für nicht die Geschwindigkeitsmessung selbst betreffende entscheidungserhebliche Tatsachen (hier: Wahrnehmbarkeit der Beschilderung), die allein auf der Aussage des Messbeamten beruhen. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7.12.20222 Rb 35 Ss 587/22

I. Sachverhalt

Das AG hat den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaften um 74 km/h zu einer Geldbuße verurteilt und ein Fahrverbot verhängt. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der eine Überschreitung des Bußgeldrahmens, das Übergehen eines Aussetzungsantrags und die Ablehnung eines auf die Vernehmung einer Entlastungszeugin gerichteten Beweisantrags beanstandet wird. Die Rechtsbeschwerde hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Aussetzungsantrag

Unbegründet war allerdings die auf das Übergehen des in der Hauptverhandlung gestellten Antrags auf Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Verfahren 2 BvR 1167/21 gestützte Rüge der Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Zur Begründung bezieht sich das OLG im Wesentlichen auf den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – 2 RBs 155/22, StRR 11/2022, 24 und verweist auf dessen Ausführungen.

Fehlende Speicherung von Rohmessdaten

Soweit der Betroffene aus der fehlenden Speicherung von Rohmessdaten ein Beweisverwertungsverbot abgeleitet und deshalb der Sache nach ein Verstoß gegen §§ 46 Abs. 1 OWiG, 261 StPO geltend gemacht hat, weil die Verurteilung auf das so gewonnene Messergebnis gestützt wurde, verweist das OLG auf die „nahezu … gesamte obergerichtliche Rechtsprechung und auf seine schon mehrfach in Beschlüsse (vgl. u.a. zfs 2021, 472) geäußerte Rechtsauffassung, wonach das Fehlen von Rohmessdaten entgegen der Auffassung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs (NJW 2019, 2456; dagegen auch Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz NZV 2022, 427) weder zu einem Beweisverwertungsverbot führt noch einen Verstoß gegen den Anspruch auf ein faires Verfahren begründet.

Fehlerhafte Ablehnung eines Beweisantrages

Soweit vom Betroffenen die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Zurückweisung eines Beweisantrags als fehlerhaft gerügt worden ist, hatte die Rechtsbeschwerde hingegen teilweise Erfolg. Insoweit hatte der Betroffene folgendes Verfahrensgeschehen vorgetragen:

Verfahrensgeschehen

Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung beantragt, die Beifahrerin des Betroffenen als Zeugin zum Beweis der Tatsachen zu hören, „dass der Betroffene nicht schneller gefahren ist als max. 140 km/h (Tachoanzeige), es zum Zeitpunkt der Messung stark geregnet hat, die Verkehrsschilder vor der Messstelle aufgrund starken Regens nicht lesbar/erkennbar waren und der Messwert bei der Kontrolle nicht vorgezeigt wurde/werden konnte“. Das AG hatte den Antrag abgelehnt, weil es die beantragte Beweiserhebung gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG nicht zur Erforschung der Wahrheit für erforderlich hielt. In den Urteilsgründen ist dazu im Anschluss an die Wiedergabe der Zeugenaussagen der beiden die Messung durchführenden Polizeibeamten ausgeführt: „Aufgrund der Aussagen [der beiden an der Messung beteiligten Polizeibeamten] war der Sachverhalt aus Sicht des Gerichts bereits ausreichend ermittelt. Deren Aussagen haben die Geschwindigkeitsüberschreitung in der vorgeworfenen Höhe bestätigt. Auf ausdrückliche Nachfrage hat der Zeuge X. bestätigt, dass es nicht geregnet habe. Auf den Umstand, ob das Messergebnis im Rahmen der sich an die Messung anschließenden Kontrolle vorgezeigt wurde, kommt es schließlich zum Beweis der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht an.“

Maßstäbe

Das OLG verweist auf die Maßstäbe zur Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG (vgl. auch BayObLGSt 1994, 67; KG NZV 2002, 416; OLG Brandenburg NZV 2013, 49; OLG Celle NZV 2010, 634; OLG Düsseldorf NZV 1991, 363; 1999, 260; OLG Hamm DAR 2021, 529; 2021, 700; Beschl. v. 10.3.2017 – 2 RBs 202/16). Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergebe sich – so das OLG – hier hinsichtlich der verschiedenen unter Beweis gestellten Tatsachen ein unterschiedliches Ergebnis.

Abweichende Geschwindigkeit

Soweit die Beifahrerin eine vom Messergebnis nach unten abweichende Geschwindigkeit bestätigen solle, erscheine es ohne näheren Vortrag dazu schon wenig plausibel, weshalb ein Beifahrer eine Acht auf die Tachoanzeige gehabt haben soll; erst recht gelte dies für die Verlässlichkeit einer zeitlichen Zuordnung zum Messvorgang, zumal beim angewendeten Messverfahren keine fotografische Sicherung stattfinde, die wegen des Einsatzes des Blitzlichts die Aufmerksamkeit auch des Beifahrers zu wecken geeignet sei. Von ausschlaggebender Bedeutung sei indes, dass die belastende Tatsache – die gefahrene Geschwindigkeit – letztlich nicht auf der ihrer Natur nach eher fehleranfälligen Wahrnehmung der vernommenen Zeugen beruhe, sondern durch eine technische Messung mit einem Messgerät ermittelt worden sei, das nach eingehender Prüfung durch die PTB für solche Messungen als geeignet befunden worden sei und deshalb als standardisiertes Messverfahren gelte, bei dem ohne – vorliegend fehlende – konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung im Einzelfall ohne Weiteres von einem zutreffenden Messergebnis ausgegangen werden könne (st. Rspr., OLG Zweibrücken zfs 2022, 167; OLG Brandenburg, Beschl. v. 19.2.2021 – 1 OLG 53 SsOWi 684/20; vgl. auch BVerfG NJW 2021, 455). Auch ein Wahrnehmungsfehler beim Ablesen der gemessenen Geschwindigkeit als der dem Messbeamten zentral obliegenden Aufgabe liege fern. Selbst wenn das Messergebnis bei der anschließenden Kontrolle nicht vorgezeigt sein sollte, wozu indes keine Rechtspflicht bestehe, sei danach eine Erschütterung des durch das Ergebnis des technischen Messvorgangs und die Aussagen der beiden an der Messung beteiligten Polizeibeamten gewonnenen Beweisergebnisses hinsichtlich der vom Betroffenen gefahrenen Geschwindigkeit nicht zu erwarten, weshalb sich die auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Zurückweisung des Beweisantrags insoweit als im Ergebnis rechtsfehlerfrei erweise.

Subjektive Vorwerfbarkeit

Etwas anderes gilt nach Auffassung des OLG indes für die weiteren Beweistatsachen, mit denen die subjektive Vorwerfbarkeit der Geschwindigkeitsüberschreitung in Frage gestellt worden sei. Denn hinsichtlich der im Zeitraum des Messvorgangs herrschenden Wetterverhältnisse und ihrer Auswirkungen auf die Sichtbarkeit der die Geschwindigkeitsbeschränkung anordnenden Verkehrszeichen, die Voraussetzung für die Vorwerfbarkeit des Verstoßes sei (OLG Hamm NZV 2011, 94; OLG Stuttgart VRS 95, 441), sei nicht von vornherein auszuschließen gewesen, dass durch die Aussage der benannten Zeugin die dazu gemachte Angabe des Zeugen X. erschüttert werden könnte, nachdem sich aus den Urteilsgründen nicht ergebe, dass dessen Angaben durch weitere Beweismittel gestützt worden sei. Dass eine bei den Akten befindliche Auskunft des Deutschen Wetterdienstes nahelege, dass es im Zeitraum des Messvorgangs allenfalls minimal geregnet habe, habe in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden und sei deshalb für die rechtliche Beurteilung durch das OLG unbeachtlich.

III. Bedeutung für die Praxis

Beifahrerbeweisantrag

1. Die Ausführungen des OLG zur „abweichenden Geschwindigkeit“ zeigen, was und wo ggf. in einem „Beifahrerbeweisantrag“ vorgetragen werden muss, damit für das AG und auch das OLG erkennbar wird, warum dem Antrag gefolgt werden muss.

Rechtsfolgen

2. Im Übrigen: Das AG hatte die Regelgeldbuße von 600 EUR im Hinblick darauf, dass es vom Fahrverbot teilweise abgesehen hatte, verdreifacht. Das OLG weist darauf hin, dass im Fall einer neuerlichen Verurteilung die Geldbuße wegen der bei einem fahrlässigen Verstoß geltenden Höchstgrenze von 1.000 EUR (vgl. § 17 Abs. 2 OWiG) herabzusetzen ist. es weist außerdem darauf hin, dass einer dann etwa in Aussicht genommenen Erhöhung des Fahrverbots das Verschlechterungsverbot entgegensteht (OLG Düsseldorf zfs 2022, 589 m.w.N.)

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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