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Besuchserlaubnis für Verteidiger von Mitbeschuldigten

Ein Verteidiger hat weder aus einer entsprechenden Anwendung des § 148 StPO noch aus dem Fairnessgrundsatz einen Anspruch auf eine unbeschränkte, unüberwachte oder sonst privilegierte Kommunikation mit Mitbeschuldigten oder Zeugen.

(Leitsatz des Verfassers)

OLG Hamburg, Beschl. v. 28.2.20241 Ws 10/23

I. Sachverhalt

Verfahren wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit BtM

Der Beschwerdeführer ist Verteidiger in einem noch andauernden Verfahren vor dem LG Hamburg wegen Beihilfe zum bandenmäßigen Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Zunächst war gegen seinen Mandanten und dessen Bruder (im Folgenden: der Angeklagte), der sich seit November 2020 wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft befindet und der am 19.1.2024 nicht rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt wurde, gemeinsam ermittelt worden; später hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Mandanten des Beschwerdeführers abgetrennt.

Besuchserlaubnis für einstigen Mitbeschuldigten abgelehnt

Kurz vor Abschluss der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten begehrte der Beschwerdeführer, diesen gemeinsam mit seinem Mitverteidiger ohne Überwachung in der JVA sprechen zu dürfen, und beantragte die Erteilung entsprechender Besuchserlaubnisse. Diesen Antrag hat der Vorsitzende der Strafkammer abgelehnt.

Beschwerde erfolglos

Der hiergegen eingelegten Beschwerde hat das OLG verworfen.

II. Entscheidung

Verdunkelungsgefahr trotz Urteil

1. Der Senat hat offengelassen, ob die Beschwerde im Hinblick auf die Ablehnung von Besuchserlaubnissen für beide Verteidiger zulässig ist, denn jedenfalls sei das Rechtsmittel unbegründet. Die dem Angeklagten auferlegten Haftbeschränkungen nach § 119 Abs. 1 StPO seien wegen fortbestehender Verdunkelungsgefahr trotz des zwischenzeitlich erfolgten Abschlusses der Tatsacheninstanz weiterhin rechtmäßig. Unschädlich sei, dass die Untersuchungshaft allein auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt wird.

Konspirative Tatbegehung

Schon der Charakter der wahrscheinlichen Straftaten und die Art und Weise der Tatbegehung ließen darauf schließen, dass der Angeklagte eine hohe Bereitschaft und Fähigkeit mit sich bringt, Regeln zu missachten und zu umgehen. Sein Verhalten sei schon während der Tatbegehung zielgerichtet auf Verdunkelung ausgerichtet gewesen. Der Angeklagte sowie die mitangeklagten Bandenmitglieder und auch die weiteren Tatbeteiligten hätten sich hochkonspirativ verhalten und untereinander mit Krypto-Handys über die Kommunikationsplattformen EncroChat und SkyECC kommuniziert.

Vollzugsverlauf

Hinzu komme, dass der Angeklagte während seiner gut dreijährigen Untersuchungshaft mehrfach disziplinarisch aufgefallen sei und Verdunkelungshandlungen vorgenommen habe. So seien in seinem Haftraum viermal bei Kontrollen Mobiltelefone aufgefunden worden (zuletzt sogar drei Stück), mit denen er erwiesenermaßen auch Kontakt zum Mandanten des Beschwerdeführers hatte.

Keine hinreichende Beweissicherung

Darüber hinaus sei das gegen den Angeklagten und weitere mutmaßliche Bandenmitglieder ergangene Urteil noch nicht rechtskräftig. Im Falle einer erfolgreichen Revision sei dann nicht von einer hinreichenden Beweissicherung durch das erste Tatgericht auszugehen.

Verteidigerstellung begründet keinen Anspruch auf Besuchserlaubnis

2. Ein Anspruch auf Erteilung einer Besuchserlaubnis ergebe sich auch nicht aus der Stellung des Beschwerdeführers als Verteidiger eines ehemaligen Mitbeschuldigten. Ein etwaiges Interesse an einer Sockelverteidigung führe jedenfalls nicht dazu, dass einem Verteidiger jenseits des Umgangs mit dem von ihm selbst vertretenen Mandanten Sonderrechte auch im Umgang mit Dritten, seien diese auch Mitbeschuldigte, zuzubilligen wären.

Keine entsprechende Anwendung des § 148 StPO

Weder aus einer entsprechenden Anwendung des § 148 StPO noch sonst aus Gründen des fairen Verfahrens könne ein Recht des Verteidigers auf eine unbeschränkte oder sonst privilegierte, insbesondere unüberwachte Kommunikation mit einem Mitbeschuldigten oder Zeugen folgen, denn besonderen Schutz genieße lediglich der Verkehr mit dem eigenen Mandanten. Auch sei es nicht Voraussetzung eines fairen Verfahrens und einer wirksamen Verteidigung, dass ein Verteidiger Ermittlungsbefugnisse erhält, die nach allgemeinem Recht nicht bestehen. Unterliegen Besuche eines Mitbeschuldigten aufgrund einer rechtmäßigen Anordnung der Überwachung, sei auch der Verteidiger daran gebunden. Schließlich werde dem Interesse an einer Abstimmung mit Mitbeschuldigten dadurch genügt, dass den Verteidigern gemeinsame Gespräche in Abstimmung des Verteidigungsverhaltens untereinander namentlich im Rahmen einer Sockelverteidigung in den durch das Gesetz gezogenen Grenzen nicht verwehrt sind.

III. Bedeutung für die Praxis

Rechtmäßige Haftbeschränkungen

Dass Haftbeschränkungen auch mit Verdunkelungsgefahr gerechtfertigt werden können, wenn der Haftbefehl nur auf Fluchtgefahr gestützt wird, ist nicht neu (s. nur die Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 119 Rn 5). Dagegen ist der Senat von dem Grundsatz, dass Verdunkelungsgefahr nach Beendigung der Hauptverhandlung in der Regel nicht mehr vorliegt (KK-StPO/Bartel, § 268b Rn 4), abgewichen. Die Gründe hierfür liegen indes auf der Hand: Wer, wie der Angeklagte, wiederholt Mobiltelefone in die JVA einschmuggelt oder einschmuggeln lässt und darüber hinaus unerlaubt zu (früheren) Mitbeschuldigten Kontakt aufnimmt, belegt mit seinem eigenen Verhalten Verdunkelungsgefahr auch über den Abschluss der Tatsacheninstanz hinaus. Angesichts dessen hätte es des eher pauschal gehaltenen Hinweises auf die Verwendung von Krypto-Handys oder auf Bandenstrukturen nicht bedurft, auch wenn der Senat bei seiner Einschätzung allgemeine kriminalistische Erfahrungen mit heranziehen durfte (KK-StPO/Gericke, 9. Aufl. 2023, § 119 Rn 10).

Aber: Kein Vertrauen in Verteidiger?

Auch liegt das OLG auf der Linie der h.M., wenn es ein Besuchsrecht des Verteidigers ohne Gesprächsüberwachung bei inhaftierten Mitbeschuldigten verneint (LR/Jahn, 27. Aufl., § 148 StPO Rn 21). Unüberwachte Gespräche sind hiernach insbesondere dann nicht zulässig, wenn gegen beide Angeklagte Vorwürfe erhoben werden, die ihrer Natur nach auf Vernebelung und Verdunkelung des Sachverhalts angelegt sind (OLG Kiel, Beschl. v. 6.12.2001 – 1 Ws 461/01). Dies liegt bei Betäubungsmittelgeschäften mit mehreren Tatbeteiligten häufig nahe, erst recht dann, wenn es sich, was vorliegend schon die mutmaßlich gehandelte Menge von knapp acht Tonnen Kokain mit 85 % Wirkstoffgehalt nahelegt, um Taten aus dem Bereich der Schwerkriminalität handelt. An dieser Stelle geht allerdings unter, dass der Verteidiger als Organ der Rechtspflege grundsätzlich Vertrauen genießt und deshalb davon auszugehen ist, dass er die ihm eingeräumten Rechte nicht missbraucht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 148 Rn 2). Dass dies nur für den Verkehr mit dem eigenen Mandanten, nicht aber für den Umgang mit Mitbeschuldigten gelten soll, leuchtet nicht ein, zumal Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten des Beschwerdeführers nicht vorzuliegen scheinen; jedenfalls werden in der Entscheidung solche Anhaltspunkte nicht erwähnt. Zudem stellen auch die Befürworter dieser Rechtsprechung nicht infrage, dass es eine zulässige Strafverteidigertätigkeit darstellt, wenn der Verteidiger eines inhaftierten Beschuldigten dessen ihm mitgeteilte Einlassung zur Sache dem Verteidiger des ebenfalls inhaftierten Mitbeschuldigten mit der Bitte übermittelt, die Einlassung wiederum seinem Mandanten zur Kenntnis zu geben und mit ihm zu erörtern (OLG Kiel a.a.O.). Weshalb es eines solchen „Umwegs“ bedarf, um Verdunkelungsgefahr zu begegnen, wird in dem ansonsten recht ausführlich gehaltenen Beschluss nicht erörtert.

RiOLG Thomas Hillenbrand, Stuttgart

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