Beitrag

Sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast

§ 93 ZPO; Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV

Wird ein sofortiges Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast abgegeben, kommt eine Ermäßigung der Gerichtsgebühr nicht in Betracht.

OLG München, Beschl. v. 29.11.202211 W 642/22
I.

Sachverhalt

Die Beklagte hatte die Klageforderung anerkannt und geltend gemacht, die Kosten seien gem. § 93 ZPO dem Kläger aufzuerlegen, da es sich um ein sofortiges Anerkenntnis gehandelt habe und sie keine Veranlassung zur Klage gegeben habe. Das LG hat daraufhin ein Anerkenntnisurteil erlassen und die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Das LG hat sodann in seiner Schlusskostenrechnung eine 3,0-Gebühr nach Nr. 1210 GKG KV gegen den Kläger angesetzt. Hiergegen hat der Kläger Erinnerung erhoben und die Auffassung vertreten, dass auch ein Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast zu einer Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV auf eine 1,0-Gebühr führe. Der Urkundsbeamte hat der Erinnerung nicht abgeholfen. Das LG hat sie zurückgewiesen. Die dagegen erhobene Beschwerde hatte keinen Erfolg.

II.

Frage ist umstritten

Die Frage, ob auch im Falle eines sofortigen Anerkenntnisses unter Verwahrung gegen die Kostenlast eine Gebührenermäßigung zu erfolgen hat, ist in Rspr. und Lit. umstritten (vgl. zum Streitstand: BDZ/Zimmermann, 5. Aufl., 2021, GKG KV 1211 Rn 24 sowie Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., 2021, KV GKG Nr. 1211 Rn 56 ff.).

1.Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast reicht aus

Nach einer Ansicht bewirkt das die vollständige Hauptsache umfassende Anerkenntnis, auch wenn es unter Verwahrung gegen die Tragung der Kostenlast nach § 93 ZPO erfolgt, eine Gebührenermäßigung (KG, Beschl. v. 13.10.2020 – 5 W 1092/20; OLG Rostock, Beschl. v. 23.2.2007 – 8 W 99/06; OLG Hamm JurBüro 2007, 151; OLG Naumburg JurBüro 2004, 324; OLG Köln FamRZ 2003, 1766; OLG Nürnberg NJW-RR 2003, 1511; OLG Bremen JurBüro 2001, 373; OLG Karlsruhe MDR 1997, 399). Anders als bei der Klagerücknahme und der Erledigterklärung stelle der Text des Gebührentatbestandes nach Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV gerade nicht darauf ab, dass eine Kostenentscheidung entbehrlich sei oder einer zuvor mitgeteilten Einigung der Parteien über die Kostentragungslast folge (vgl. etwa OLG Nürnberg, a.a.O., Rn 3; OLG Rostock, a.a.O., Rn 8). Eine Kostenentscheidung müsse nach § 308 Abs. 2 ZPO in jedem Fall auch von Amts wegen erfolgen (vgl. etwa OLG Köln, a.a.O.; OLG Karlsruhe, a.a.O.). Vor diesem Hintergrund bestehe keine Veranlassung zu einer einschränkenden Auslegung des Ermäßigungstatbestandes, zumal im Zuge der Kostenentscheidung der Prüfungsmaßstab des § 93 ZPO ein anderer als der nach § 91a ZPO sei (vgl. etwa OLG Nürnberg, a.a.O., Rn 3 f.; OLG Karlsruhe, a.a.O.; KG, a.a.O., Rn 14 ff.)

2.Anerkenntnis unter Verwahrung gegen die Kostenlast reicht nicht aus

Nach a.A unterfällt das unter Verwahrung gegen die Kosten erklärte Anerkenntnis, bei dem eine Kostenentscheidung nach § 93 ZPO begehrt wird, nicht der Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV (KG, Beschl. v. 20.12.2017 – 25 WF 50/17, AGS 2018, 83; OLG Hamm, Beschl. v. 30.1.2019 – I-20 W 3/19; OLG Karlsruhe JurBüro 2001, 374; OLG Hamburg MDR 2005, 1195 und MDR 2000, 111; vgl. auch LSG München, Beschl. v. 4.1.2016 – L 15 SF 171/13 E; LSG Erfurt, Beschl. v. 20.9.2011 – L 6 SF 701/11 B). Mit Blick auf die Gesamtsystematik sei es das Ziel der Regelung der Nr. 1211 GKG KV, den Parteien eine Gebührenermäßigung für den Fall zu gewähren, dass bei abstrakter Betrachtung durch die Art der Verfahrensbeendigung eine deutliche Arbeitsersparnis des Gerichts eintritt. Die Verfahrensbeendigung beziehe sich dabei nicht allein auf die Hauptsache, sondern – wie auch im Falle der Klagerücknahme der Ausschluss der Gebührenermäßigung bei einer Entscheidung nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO in Nr. 1211 Nr. 1 GKG KV zeige – gleichfalls auf die Entscheidung über die Kosten (vgl. etwa OLG Hamburg, a.a.O.). Der Aufwand des Gerichts, sich mit dem Sach- und Streitstand unter dem Blickwinkel, ob der Beklagte durch sein Verhalten zur Erhebung der Klage Veranlassung gegeben habe, auseinanderzusetzen und diese Erwägungen im Rahmen der Entscheidungsgründe niederzulegen, stehe einer Gebührenermäßigung entgegen (vgl. etwa BDZ/Zimmermann, a.a.O., Rn 24).

3.Auffassung des Senats

Der Senat hält die letztgenannte Rechtsauffassung für vorzugswürdig (so auch BDZ/Zimmermann, a.a.O., Rn 24; Musielak/Voit/Musielak, ZPO, 19. Aufl., 2022, § 307 Rn 21; Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 307 Rn 14; Zöller/Herget, ZPO, a.a.O., § 93 Rn 7; Mayer, GKG/FamGKG, 17. Aufl., 2020, zu KV 1211 Rn 36; Saenger/Gierl, ZPO, 9. Aufl., 2021, § 93 Rn 35; a.A. Musielak/Voit/Flockenhaus, ZPO, a.a.O., § 93 Rn 37; Schneider/Volpert/Fölsch, a.a.O., Rn 56 ff.; Toussaint/Toussaint, KostR, 52. Aufl., 2022, GKG KV 1211 Rn 20; BeckOK KostR/Stix, 39. Ed. 1.10.2021, GKG KV 1211 Rn 32).

Die Ausnahmevorschrift des Nr. 1211 GKG KV dient insbesondere der Prozesswirtschaftlichkeit und ist demgemäß nur dann anwendbar, wenn das Verfahren infolge des Anerkenntnisses insgesamt endet, ohne dass es auf eine Unterscheidung danach ankäme, ob der gerichtlich noch anfallende Arbeitsaufwand die Hauptsache selbst oder die Kostenentscheidung betrifft. Zu Recht verweist Zöller/Feskorn, ZPO, a.a.O., § 307 Rn 14 darauf, dass andernfalls das Anerkenntnisurteil systemwidrig der einzige Fall wäre, bei dem trotz streitiger Kostenentscheidung eine Gebührenbegünstigung einträte.

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass bei der Novellierung durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRMoG) Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV nicht ergänzt wurde. Nach den Ausführungen zu Nr. 1211 GKG KV im Gesetzesentwurf zum Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (BT-Drucks 15/1971, 159 f.) sollte durch die neue Ziffer 4 vor allem die zu Nr. 1211 GKG KV in der bis dahin gültigen Fassung in Rspr. und Lit. umstrittene Frage geklärt werden, ob die Begünstigung auch für Erledigungserklärungen nach § 91a ZPO gilt; auch dies stand jedoch von vornherein nur für Fälle im Raum, in denen das Gericht keine begründete Kostenentscheidung zu treffen hat. Dies unterstreicht zusätzlich den Sinn der Ermäßigungstatbestände, den richterlichen Arbeitsaufwand für die abschließende Verfahrensentscheidung zu vermeiden (LSG Erfurt, Beschl. v. 20.9.2011 – L 6 SF 701/11 B).

4.Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung

Soweit der Senat in früherer Rspr. eine Gebührenermäßigung auch für den Fall eines unter Verwahrung gegen die Kostenlast erklärten Anerkenntnisses bejaht hatte (MDR 1998, 242), wird an dieser Rechtsauffassung nicht mehr festgehalten.

III.

Bedeutung für die Praxis

1.OLG verkennt den Wortlaut

Das OLG München und die weiteren Vertreter dieser Rechtsauffassung verkennen zunächst einmal den eindeutigen Wortlaut, der gerade nicht voraussetzt, dass auch die Kosten anerkannt werden müssen. Dass dem Gesetzgeber die Problematik einer streitigen Kostenentscheidung bekannt war, ergibt sich daraus, dass er sowohl bei einer Klagerücknahme als auch bei einer Hauptsacheerledigung die Gerichtskostenermäßigung ausgeschlossen hat, wenn noch streitig über die Kosten entschieden werden muss. Bei einem Anerkenntnis hat er dieses Erfordernis aber gerade nicht aufgestellt.

2.Keine Systemwidrigkeit

I.Ü. trifft es auch nicht zu, dass das Anerkenntnisurteil systemwidrig der einzige Fall wäre, bei dem trotz streitiger Kostenentscheidung eine Gebührenbegünstigung einträte. Auch im Fall der Nr. 1211 Nr. 2 GKG KV (Urteil nach § 313a Abs. 2 ZPO) ergeht eine streitige Kostenentscheidung, die privilegiert ist.

3.Keine streitige Entscheidung

Abgesehen davon ergeht im Falle des § 93 ZPO keine „streitige Kostenentscheidung“ im eigentlichen Sinne. Das Gericht darf aufgrund des Anerkenntnisses hinsichtlich der Kostenentscheidung nicht in eine Sachprüfung eintreten. Es ist vielmehr an das Unterliegen kraft Anerkenntnisses gebunden. Es hat nur zu entscheiden, ob das Anerkenntnis ein sofortiges war und ob der Beklagte keine Veranlassung zur Klage gegeben hat.

4.Keine Klärung in Sicht

Da in Verfahren nach dem GKG ein Rechtsmittel zum BGH nicht gegeben ist und damit eine höchstrichterliche Klärung dieser Rechtsfrage nicht zu erwarten ist, wird die Anwaltschaft mit der zum Teil unkalkulierbaren Partikular-Rspr. der OLG leben müssen. Es ist an der Zeit, dass der Gesetzgeber dieses Problem endlich einmal löst.

https://www.juris.de/perma?d=jzs-AGS-2023-3-016-130

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen

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