Beitrag

Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung (Teil I)

Seit dem Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und den damit einhergehenden Änderungen zum 1.3.2020 ist einige Zeit vergangen und die globalen Rahmenbedingungen haben sich politisch nachhaltig verändert. Der seinerzeit von der (damaligen) Großen Koalition konstatierte Befund ist indes unverändert: es fehlt an Arbeits- und Fachkräften. Die (amtierende) Große Koalition hat sich daher – ebenso wie die Vorgängerregierung – ausweislich des Koalitionsvertrages die Fortentwicklung des Arbeitsmigrationsrechts zum Ziel gesetzt. Neben der Umsetzung der Vorgaben des Unionsrecht zur Blauen Karte EU – so lautet es im Koalitionsvertrag – werde man das Einwanderungsrecht weiterentwickeln und bewährte Ansätze des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes wie die Westbalkanregelung entfristen sowie mit der Einführung einer Chancenkarte auf Basis eines Punktesystems eine zweite Säule etablieren, um Arbeitskräften zur Jobsuche den gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen.

Nach der im Bereich des Arbeitsmigrationsrechts üblichen sehr kontroversen politischen Diskussion hat der Gesetzgeber schließlich am 18.8.2023 das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung verabschiedet (BGBl 2023 I Nr. 217 vom 18.8.2023). Durch das Gesetz soll das Einwanderungsrecht modernisiert, um die Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten zu erleichtern und damit dem herrschenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.

Flankierend hierzu hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales am 30.8.2023 die Verordnung zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, die insbesondere auf die Gewinnung von berufserfahrenen Fachkräften und von Arbeitskräften sowie die Beschleunigungen von Visaverfahren abzielt, erlassen (BGBl 2023 I Nr. 233 vom 31.8.2023). Ziel der Verordnung ist ebenfalls, die Einwanderung von ausländischen Fach- und Arbeitskräften zu erleichtern und deutlich zu steigern. Zu diesem Zweck soll künftig ausreichend Berufserfahrung in Kombination mit einem mindestens zweijährigen Berufs- oder Hochschulabschluss zur Beschäftigung in nicht-reglementierten Berufen berechtigen. Darüber hinaus können Arbeitgeber mit der Anerkennungspartnerschaft ausländische Fachkräfte dabei unterstützen, die Anerkennung ihres im Ausland erworbenen Abschlusses nachzuholen. Außerdem wird erstmals ein Arbeitsmarktzugang für Pflegehilfskräfte geschaffen. Zudem wird das Kontingent der sogenannten Westbalkanregelung verdoppelt. Darüber hinaus wird unabhängig von einer Qualifikation eine Möglichkeit zur kontingentierten kurzzeitigen Beschäftigung eingeführt. Zusätzlich wird das Verfahren zur Beschäftigung von Berufskraftfahrern vereinfacht und beschleunigt. Zur Stärkung der Bildungsmigration wird beim Zugang zur betrieblichen Aus- und Weiterbildung nicht mehr geprüft, ob vorrangige Bewerberinnen und Bewerber zur Verfügung stehen.

Die hieraus resultierenden Neuerungen im Arbeitsmigrationsrecht, die in den folgenden Monaten sukzessive in Kraft treten, sind komplex und werden daher in einem Fortsetzungsbeitrag vorgestellt werden. Der erste Teil dieser Reihe widmet sich hierbei den zum 18.11.2023 in Kraft tretenden Regelungen; die weiteren Änderungen werden zum 1.3.2024 bzw. 1./2.6.2024 sowie zum 1.1.2026 in Kraft treten und passend hierzu in zukünftigen Ausgaben des Infobriefes Arbeitsrecht zu gegebener Zeit vorgestellt werden.

I.

Überblick über die Neuregelungen

Die Neuregelungen setzen zum einen die Richtlinie (EU) 2021/1883 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2021 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hoch qualifizierten Beschäftigung und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/50/EG des Rates (Blauen Karte EU) um. Darüber hinaus werden Erleichterungen in der Bildungsmigration sowie die Möglichkeit des Aufenthalts, um das Anerkennungsverfahren in Deutschland durchführen zu können, vorgesehen. Zudem wird ein transparentes und unbürokratisches Punktesystem zur Arbeitsplatzsuche geschaffen (sog. Chancenkarte). Das Entfallen von Zweckwechselverboten soll schlussendlich Aufenthalte zu Bildungs- und Erwerbszwecken durchlässiger machen.

II.

Neuregelungen zum 18.11.2023

Die ersten Änderungen werden, was sich aus der Regelung des Art. 12 mit der Überschrift „Inkrafttreten, Außerkrafttreten“ und dem dortigen Abs. 1 ergibt, zum 18.11.2023 in Kraft treten. Dort ist – etwas umständlich, aber regelungstechnisch sauber – vorgesehen, dass Art. 1 mit Ausnahme von Nr. 18 Buchst. b und der Nr. 30 und 31 am Tag nach der Verkündung, frühestens jedoch am 18.11.2023 in Kraft treten. Der Gesetzgeber trägt damit dem Umstand Rechnung, dass die aus der revidierten Blaue-Karte-EU-Richtlinie resultierenden Änderungen mit Ablauf der zweijährigen Umsetzungsfrist nun umgesetzt werden müssen und lässt hierneben einige weitere Änderungen zeitgleich in Kraft treten.

1. Umsetzung der revidierten Blaue Karte EU – Richtlinie

Die Richtlinie (EU) 2021/1883 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.10.2021 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/50/EG des Rates (sog. Hochqualifiziertenrichtlinie oder Blaue-Karte-EU-Richtlinie) ist ausweislich der in ihr geregelten Umsetzungsfrist bis zum 17.11.2023 in nationales Recht umzusetzen. In Umsetzung der Vorgaben der Richtlinie (EU) 2021/1883 hat der deutsche Gesetzgeber die Einwanderungsmöglichkeiten mit einer Blauen Karte EU neugestaltet und erweitert.

Die Möglichkeit, eine Blaue Karte EU zu erhalten, wird einem größeren Personenkreis eröffnet. So können gem. § 18g Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG n.F. fortan Akademiker, die innerhalb der letzten drei Jahre einen Hochschulabschluss erworben haben, mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit eine Blaue Karte EU erhalten, wenn ein abgesenktes Mindestgehalt von 45,3 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (2023: 39.682,80 EUR; 2024 voraussichtlich: 41.041,80 EUR, jeweils nach der Beitragsbemessungsgrenze West) erreicht wird. Dies gilt sowohl für Engpass- als auch Regelberufe.

Neu ist zudem, dass IT-Spezialisten künftig eine Blaue Karte EU auch dann erhalten können, wenn sie zwar keinen Hochschulabschluss besitzen, aber mindestens drei Jahre vergleichbare Berufserfahrung nachweisen können (§ 18g Abs. 2 AufenthG n.F.). In diesem Fall gilt die niedrigere Gehaltsschwelle für Engpassberufe (45,3 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze; im Jahr 2023: 39.682,80 EUR; 2024 voraussichtlich: 41.041,80 EUR, jeweils nach der Beitragsbemessungsgrenze West).

Die Liste der Engpassberufe für die Blaue Karte EU wird nach Maßgabe des § 18g Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG n.F. deutlich erweitert. Zusätzlich zu den bisherigen Engpassberufen (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Ingenieurwesen und Humanmedizin – MINT) können künftig auch Fachkräfte in folgenden Berufsgruppen eine Blaue Karte EU erhalten, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind:

  • Führungskräfte in der Produktion bei der Herstellung von Waren, im Bergbau und im Bau sowie in der Logistik

  • Führungskräfte in der Erbringung von Dienstleistungen im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie

  • Führungskräfte in der Erbringung von speziellen Dienstleistungen, wie zum Beispiel in der Kinderbetreuung oder im Gesundheitswesen

  • Tierärzte

  • Zahnärzte

  • Apotheker

  • Akademische und vergleichbare Krankenpflege- und Geburtshilfefachkräfte

  • Lehr- und Erziehungskräfte im schulischen und außerschulischen Bereich

Die ausführliche „Liste der Engpassberufe gemäß § 18g Abs. 1 S. 2 Nr. 1 AufenthG“ ist auf dem Internetportal Make it in Germany verfügbar.

Im Normalberuf ist die Erteilung einer Blauen Karte EU an Fachkräfte mit akademischer Ausbildung fortan (weiterhin ohne Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit) zum Zweck einer ihrer Qualifikation angemessenen inländischen Beschäftigung gem. § 18g Abs. 1 Satz 1 AufenthG n.F. möglich, wenn ein Gehalt in Höhe von mindestens 50 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der allgemeinen Rentenversicherung erreicht wird (2023: 43.800,– EUR; 2024 voraussichtlich: 45.300,– EUR, jeweils nach der Beitragsbemessungsgrenze West); damit wird die bisherigen Gehaltsschwelle von 56.400,– EUR signifikant abgesenkt. Für (nun) Engpassberufe gilt die niedrigere Gehaltsschwelle von (dann) 45,3 % der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung (2023: 39.682,80 EUR; 2024 voraussichtlich: 41.041,80 EUR, jeweils nach der Beitragsbemessungsgrenze West); auch dies stellt gegenüber der bisherigen Gehaltsschwelle (von 45.552,– EUR) eine – wenn auch weniger deutliche – Absenkung dar. Es ist aber weiterhin die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit erforderlich.

Abweichend von § 4a Abs. 3 S. 4 ist für den Arbeitsplatzwechsel eines Inhabers einer Blauen Karte EU keine Erlaubnis der Ausländerbehörde mehr erforderlich; diese kann allerdings In den ersten zwölf Monaten der Beschäftigung den Arbeitsplatzwechsel des Inhabers einer Blauen Karte EU für 30 Tage aussetzen und innerhalb dieses Zeitraums ablehnen, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Blauen Karte EU nicht vorliegen (§ 18g Abs. 4 AufenthG n.F.).

Bei Inhabern der Blauen Karte EU, die bereits in einem anderen EU-Mitgliedsstaat mit ihrer Familie gelebt haben, wird der Familiennachzug privilegiert geregelt. Sind diese Familienangehörigen aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit visumpflichtig, sind sie berechtigt, mit den im vorherigen Mitgliedsstaat ausgestellten Aufenthaltstiteln als Familienangehörige des Inhabers einer Blauen Karte EU nach Deutschland einzureisen und sich hier aufzuhalten, ohne zuvor ein Visumverfahren durchlaufen zu müssen. Zudem fallen bei der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis in Deutschland die Anforderungen des ausreichenden Wohnraums (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und der Lebensunterhaltssicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) weg.

Für Inhaber einer Blauen Karte EU, die ein anderer EU-Mitgliedstaat ausgestellt hat, wird die kurzfristige Mobilität nach Deutschland ermöglicht. Für einen Aufenthalt von höchstens 90 Tagen dürfen Inhaber einer Blauen Karte EU aus anderen EU-Staaten nach Deutschland einreisen und sich hier zum Zweck einer geschäftlichen Tätigkeit, die in direktem Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung steht, aufhalten (§ 18h AufenthG n.F.). Für diesen Kurzaufenthalt ist weder ein Visum noch eine Arbeitserlaubnis der Bundesagentur für Arbeit erforderlich.

Nach einem Mindestaufenthalt von zwölf Monaten mit der Blauen Karte EU in einem anderen EU-Staat ist schließlich der langfristige Umzug nach Deutschland ohne Visum möglich (§ 18i AufenthG n.F.). Eine deutsche Blaue Karte EU muss nach der Einreise bei der Ausländerbehörde beantragt werden.

2. Fachkräfte

Die beiden zentralen Rechtsgrundlagen für Aufenthaltserlaubnisse für Fachkräfte mit Berufsausbildung (§ 18a AufenthG) und Fachkräfte mit akademischer Ausbildung (§ 18b AufenthG) werden in zweifacher Hinsicht maßgeblich geändert:

Zum einen haben Fachkräfte, d.h. nach der Legaldefinition des § 18 Abs. 3 AufenthG Ausländer mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung oder einer mit einer inländischen qualifizierten Berufsausbildung gleichwertigen ausländischen Berufsqualifikation (Fachkraft mit Berufsausbildung) oder bzw. Ausländer mit einem deutschen, einem anerkannten ausländischen oder einem einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss (Fachkraft mit akademischer Ausbildung), nun einen Anspruch auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Anders als bisher steht die Erteilung des Aufenthaltstitels an Fachkräfte nun fortan nicht mehr im Ermessen der Ausländerbehörde, sondern Fachkräfte können diese bei Vorliegen der Voraussetzungen beanspruchen.

Zum anderen wird die Beschränkung aufgehoben, dass man nur aufgrund der mit dem Berufsabschluss vermittelten Befähigung arbeiten darf. Wenn man also eine qualifizierte Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss vorweisen kann, ist man bei der Arbeitssuche nicht auf Beschäftigungen beschränkt, die in Verbindung mit dieser Ausbildung stehen. Einer Fachkraft (mit Berufsausbildung oder akademischer Ausbildung) kann somit eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung jeder qualifizierten Beschäftigung erteilt werden. Eine Einschränkung greift für reglementierte Berufe, für deren Ausübung es auch weiterhin des Vorliegens einer Berufsausübungserlaubnis oder der Zusicherung einer solchen bedarf.

3. Berufskraftfahrer

Schließlich wird die Zustimmungserteilung der Bundesagentur für Arbeit für die Beschäftigung von Berufskraftfahrenden aus Drittstaaten vereinfacht.

Ausländern kann eine Aufenthaltserlaubnis für eine inländische Beschäftigung als Berufskraftfahrer im Güterkraftverkehr und Personenverkehr mit Kraftomnibussen mit Zustimmung der Bundesagentur erteilt werden (§ 24 Abs. 1 BeschV n.F.). Dies setzt nach Maßgabe des § 24 Abs. 2 Satz 1 BeschV n.F. voraus, dass der Arbeitsvertrag den Ausländer zur Teilnahme an Maßnahmen zur Erlangung der Voraussetzungen verpflichtet, die für die Berufsausübung als Berufskraftfahrer im Güterkraftverkehr oder im Personenverkehr mit Kraftomnibussen erforderlich sind, die Arbeitsbedingungen für die Zeit der Maßnahmen so ausgestaltet sind, dass die erforderliche Fahrerlaubnis vorliegt und die Qualifikationen einschließlich der Ausstellung der erforderlichen Dokumente innerhalb von 15 Monaten erlangt werden können, für die Zeit nach Erlangung der Nachweis erbracht wird, dass sie die in ihrem Herkunftsland für die Beschäftigung als Berufskraftfahrer einschlägige Fahrerlaubnis besitzen.

Zudem wird die bislang vorgesehene Vorrangprüfung, also die Prüfung ob vorrangig inländische Beschäftigte zur Verfügung stehen, gestrichen (§ 24 Abs. 2 Satz 2 BeschV n.F.).

Schließlich werden keine Sprachkenntnisse mehr vorausgesetzt.

V.

Ausblick

Die weiteren durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung vorgesehenen Neuregelungen werden sukzessive zum 1.3.2023, 1.6.2023 bzw. 1.1.2026 in Kraft treten.

Die insoweit vorgesehenen Änderungen werden wir im Detail in den jeweils kurz vor Inkrafttreten erscheinenden Ausgaben vorstellen.

Dr. Gunther Mävers, Maître en Droit (Aix-en-Provence), Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln, maevers@michelspmks.de

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