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In Sachen Glaubwürdigkeit Der illusory truth effect

In Sachen Glaubwürdigkeit: Der illusory truth effect

Manchmal lässt die Gegenseite einfach wieder und wieder etwas vortragen, das nach Ansicht der eigenen Mandantschaft oder auch nach unserer eigenen Bewertung der Sachlage schlichtweg falsch ist. Das kann unheimlich nervenaufreibend werden und nicht selten liegt der Verdacht nahe, dass jemand dem illusory truth effect aufgesessen ist oder gar auf dessen Wirkung setzt, um die Sache für sich zu entscheiden.  

Eine Beobachtung aus der Psychologie

Der illusory truth effect ist eine Beobachtung aus der Psychologie und er besagt: Die bloße Wiederholung von Informationen erhöht die gefühlte Glaubwürdigkeit unabhängig vom Wahrheitsgehalt.  

In juristischen Auseinandersetzungen ist dem Effekt noch relativ einfach zu begegnen. Denn dort sind wir trainiert darauf, immer gleich die Beweiserhebung mitzudenken. Ich vermute, die allermeisten von uns haben in einem oder eher noch in vielen Schriftsätzen schonmal darauf hingewiesen, dass irgendeine Behauptung durch bloße und alle Verfahrensbeteiligten ermüdende Wiederholung nun mal gerade nicht wahrer wird. In der juristischen Auseinandersetzung sind wir wachsam und nehmen nichts einfach so für bare Münze, wir erwarten Beweise und widerlegen falsche Behauptungen.  

06Es wäre doch nützlich, diese Kompetenz der Entlarvung auch mitzunehmen in andere Bereiche, denn dort fällt es meist schwerer.  

Der Effekt in den Sozialen Medien

In den Sozialen Medien können wir jeden Tag die Triumphe unserer Kolleginnen und Kollegen mitverfolgen und leicht entsteht der Eindruck, dass sie alle rund um die Uhr arbeiten und das ausnahmslos erfolgreich. Die Informationen über die weniger strahlenden Seiten fehlen meistens und so glauben wir unbewusst schnell einmal, dass das, was wir sehen, die Wahrheit ist – und zwar die einzige. Und damit meine ich nicht das Vorspiegeln von Erfolg, hinter dem gar nichts steckt. Ich meine einfach die Tatsache, dass niemand (jedenfalls niemand, der noch einen anderen Beruf hat als das Posten über sein Leben) rund um die Uhr von allem berichtet, was passiert und dass natürlich eine Auswahl stattfindet hinsichtlich dessen, was gezeigt wird. Das ist völlig in Ordnung.  

Diesen Punkt scheint unser Gehirn allerdings gern einmal zu streichen, wenn es beim Durchscrollen den inneren Abgleich mit dem eigenen Leben durchführt. Und dann ist es egal, ob tatsächlich alle unheimlich erfolgreich sind oder nicht, in unseren Gedanken gehen wir aufgrund der ständigen Wiederholung davon aus, dass eben alle nur Verfahrenseinstellungen zu feiern haben oder gewonnene Prozesse – obwohl wir doch wissen: Bei jeder Entscheidung zugunsten einer Partei gibt es immer auch die andere Seite, die mit ihrem Anliegen eben nicht durchgekommen ist.  

Eine weitere Auswirkung des Effektes: Wir bewegen uns in unseren Blasen, in denen sich ähnliche Meinungen immer wieder gegenseitig erzählt werden. Immer überzeugter werden wir dadurch davon, dass diese Meinung auch die richtige ist, wohlmöglich die einzig richtige. Dass das zu Konflikten und härter geführten Auseinandersetzungen führt, haben wir oft gesehen, auch in unseren Akten. 

Auch die eigenen Gedanken sind manchmal Illusion

Sogar im Selbstgespräch kann der illusory truth effect zuschlagen, direkt in unseren eigenen Gedanken. Wir denken uns ja andauernd etwas, nicht nur beim Scrollen durch die Sozialen Medien, sondern im Grunde permanent, wenn wir durch unseren Alltag gehen. Manche machen sogar nachts damit weiter. Und spätestens hier – bei dem, was wir uns selbst erzählen – findet dann keinerlei Beweisaufnahme mehr statt.  

Da gibt es Kolleginnen, die sich immer wieder sagen, zu wenig zu schaffen oder zu langsam zu sein, völlig unabhängig von der Anzahl der erledigten Akten oder der zur Verfügung stehenden Zeit. Und die das dann glauben. Oder Kollegen, die sich immer wieder einreden, dass sie keine Zeit für eine Pause haben, von Wochenende oder Urlaub mal ganz zu schweigen. Manche Gedanken sind nicht nur falsch, sondern auch ungesund und wir sollten hier manchmal einen ähnlich strengen Maßstab anlegen wie beim Schriftsatz der Gegenseite, denn: Durch Wiederholung wird ein falscher Gedanke nicht wahrer. Wir sollten uns da ab und zu selbst auf die Schliche kommen. 

Wenn Sie Lust auf ein Experiment haben, können Sie den Spieß vielleicht auch einmal bewusst umdrehen und den Effekt absichtlich für sich nutzen. Nehmen Sie einen Satz, der gut und richtig ist und wiederholen Sie ihn unermüdlich – sich selbst gegenüber und hinaus in die Welt. Die braucht wahre und gute Sätze und wer weiß, was Sie damit verändern. 

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