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Wahrnehmung versus Interpretation

Vielleicht kennen Sie die Geschichte von Paul Watzlawick, die mit dem Hammer. Sie dreht sich um einen Mann, der ein Bild in seiner Wohnung aufhängen möchte. Er hat das Bild, er hat einen Nagel, er braucht aber einen Hammer. Und hat die Idee, dass er seinen Nachbarn bitten könnte, ihm seinen auszuleihen. Es fällt ihm allerdings auch gleich ein, dass der Nachbar ihn gestern auf der Straße nur ganz kurz gegrüßt hat. Schnell weitergegangen ist er und hat keine Mine verzogen. Mag sein, dass er in Eile war. Aber wenn der Mann so darüber nachdenkt, hat der Nachbar schon öfter mal komisch geschaut, wahrscheinlich hat er irgendetwas gegen ihn. Eine richtige Gedankenspirale startet. Was könnte das nur sein, unser Mann war doch immer freundlich zu ihm? Wirklich unmöglich von dem Nachbarn, er wird ihm den Hammer nicht leihen und das ganz ohne Grund. Wenn er selbst um einen solchen Gefallen gebeten würde, er würde den Hammer sofort verleihen. Langsam, aber sicher ist unser Mann so richtig aufgebracht und schließlich läuft er rüber zum Nachbarn, klingelt Sturm, der Nachbar öffnet und unser Mann schreit ihn an: „Behalten Sie doch Ihren blöden Hammer!!!“.


Eine Frage gegen Gedankenspiralen

Wenn wir uns nicht zu viel umsonst ärgern möchten, womöglich überhaupt das Ärgern nicht zu unserer Hauptbeschäftigung machen wollen, ist eine Sache sehr nützlich. Ganz genau zu schauen nämlich: Was nehme ich gerade wahr? Und was ist Interpretation? Denn wir haben alle diese fünf Sinne, wir können hören, sehen, riechen, fühlen und schmecken. Es kann sein, dass einige von uns noch über einen sechsten Sinn verfügen, aber das ist es dann auch. Mit diesen Sinnen können wir Dinge wahrnehmen. Der Rest: Interpretation. Vielleicht sehen Sie den Kollegen mit 5 dicken Ordnern in der Verhandlung aufschlagen, während Sie nur mit einer dünnen Akte gekommen sind. Und vermuten, dass er wohl viel besser vorbereitet ist als Sie. Oder Sie sehen Ihre Mitarbeiterin mit finsterer Miene am Computer sitzen und denken, sie ärgert sich über Sie.


Die meisten Auslegungsmöglichkeiten sind falsch

Wenn solche Gedankenspiralen erst einmal losgehen, ist es gut, kurz innezuhalten und zu prüfen: Was habe ich hier jetzt wirklich wahrgenommen und was ist meine Interpretation? Denn in den allermeisten Fällen gibt es ja mehrere Auslegungsmöglichkeiten und die meisten sind falsch. Vielleicht braucht der Kollege einfach immer einiges, woran er sich festhalten kann in der Verhandlung. Oder er hat schon alles für die nächsten drei Termine dabei.


Wann ist es gut, genau hinzuschauen?

Es ist nicht immer wichtig für uns zu wissen, ob unsere Interpretation wahr ist oder nicht. Es ist sogar nützlich, dass unsere Lebenserfahrung es uns ermöglicht, unsere Erlebnisse des Tages ein wenig zu sortieren. Es kann nicht das Ziel sein, jeden Passanten auf der Straße in seinem innersten Wesen wahrzunehmen, darum geht es nicht. Es würde zu lange dauern und uns über einen längeren Zeitraum komplett überfordern. Interpretieren Sie ruhig, was das Zeug hält! Aber seien Sie sich dessen bewusst. Denn nur über die Dinge, die uns bewusst sind, können wir dann auch aktiv entscheiden. Zum Beispiel darüber, ob es sich an der einen oder anderen Stelle doch lohnt, genauer nachzufragen. Wenn es um Menschen und unsere Beziehung zu ihnen geht. Um Menschen, mit denen wir mehr zu tun haben als den Kontakt in einer kurzen Begegnung oder auch in einer kurzen rechtlichen Beratung.

Lohnen kann es sich deshalb, wenn es um die Mitarbeiterin geht, die vielleicht mit gerunzelter Stirn und finsterem Blick dasitzt. Sie können vermuten, dass sie sich über Sie oder Ihre Arbeit ärgert. Oder Sie können nachfragen und hören, dass sie sich nur konzentriert. Dass das Computersystem gerade Probleme macht. Oder, dass sie sich wirklich über Sie ärgert und das bietet dann die Gelegenheit, diesen Punkt zu klären.

Also kurz checken, wenn so eine Gedankenspirale losgeht: Ist das Wahrnehmung oder Interpretation? Lohnt sich ein Nachfragen? Denken Sie doch immer mal daran, wenn Sie sich durch Ihren Alltag bewegen. Auch wenn Sie sowieso selbst einen Hammer besitzen.

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