In der Praxis kommt es sehr oft vor, dass ein Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft bestimmt wurde, sich der Schuldner allerdings mit einem ärztlichen Attest krankmeldet und daraufhin der Gerichtsvollzieher das Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft einstellt.
Der Artikel beschäftigt sich im Wesentlichen damit, ob der Gerichtsvollzieher berechtigt ist, aufgrund eines privatärztlichen Attests die Zwangsvollstreckung einzustellen und die Unterlagen den Gläubigern zurückzuschicken.
Maßgeblich zur Beantwortung dieser Frage dürfte immer noch die etwas ältere Entscheidung des Thüringer OLG vom 13.3.1997, 6 W 131/97 sein, welche sich mit folgenden Orientierungssätzen zusammenfassen lässt:
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Bei der Beurteilung der Frage, ob die Wahrnehmung eines Termins zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung für den Schuldner zu einer Gesundheitsgefährdung führen kann, ist ein strenger Maßstab anzulegen.
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Selbst Haftunfähigkeit schließt keineswegs eine Verpflichtung, die eidesstattliche Versicherung abzugeben, aus. Der Termin zur Abgabe dieser eidesstattlichen Versicherung kann durchaus in der Wohnung des Schuldners oder aber auch im Krankenhaus durchgeführt werden.
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Ein ärztliches Zeugnis muss deshalb diese Möglichkeit ausdrücklich ausschließen und konkret und nachvollziehbar begründen, weswegen und in welcher Art Gesundheitsschäden für den Schuldner zu erwarten sind. Privatärztlichen Attesten kommt dabei nur eine vorläufige Beweisfunktion zu. Sie rechtfertigen allenfalls eine Vertagung des Termins mit der Auflage, ein amtsärztliches Zeugnis beizubringen.
Bereits aus dieser Entscheidung wird deutlich, dass aufgrund eines privatärztlichen Attestes eine Einstellung des Verfahrens zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht in Betracht kommt, sondern allenfalls eine Vertagung des Termins angezeigt ist, bis der Schuldner ein amtsärztliches Attest beibringt.
Dieser Rechtsauffassung sind bereits zahlreiche Gerichte gefolgt, so beispielsweise
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LG Köln mit Beschl. v. 28.3.2017, 34 T 202/16;
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LG Stuttgart, DGVZ 2004, 44;
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AG Göttingen, Beschl. v. 4.10.2005, 1 M 1354/05;
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AG München MDR 1993, 471.
Und auch inhaltlich sind sowohl an ein privatärztliches als auch an ein amtsärztliches Attest hohe Anforderungen zu stellen. So genügt es nicht, dass sich aus einem ärztlichen Attest ergibt, der Schuldner sei „aufgrund einer Gesundheitsstörung“ „arbeits- und verhandlungsunfähig“. Maßgeblich ist vielmehr allein die Fähigkeit, die Vermögensauskunft abzugeben sowie deren Richtigkeit und Vollständigkeit zumindest mit minimalen Schreibfähigkeiten an Eides statt zu versichern. Die Abgabe eines Vermögensverzeichnisses und die Versicherung an Eides statt sind mit einer gerichtlichen Vernehmung im Rahmen eines Erkenntnisverfahrens bzw. mit einer „Verhandlung“ vor Gericht nicht zu vergleichen.
Ein ärztliches Attest muss deshalb konkret und nachvollziehbar begründen, weswegen und in welcher Art Gesundheitsschäden für den Schuldner zu erwarten sind. Außerdem muss sich aus dem ärztlichen Attest ergeben, dass der Arzt weiß, dass der Schuldner auch bei sich zuhause die eidesstattliche Versicherung abgeben kann und nicht zu einem „Gerichtstermin“ erscheinen muss, ferner, dass der Arzt ein zutreffendes Verständnis über die Relevanz der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat.
Zu diesem inhaltlichen Ergebnis kam das LG Saarbrücken mit Beschl. v. 22.4.2009, 5 T 136/09 und LG Osnabrück hat sich in einer aktuellen Entscheidung mit Beschl. v. 26.4.2023, 3 T 175/23 angeschlossen.
Ebenso haben wir im Infobrief Zwangsvollstreckung 04/2022 die Entscheidung des LG Berlin vom 19.4.2022, 51 T 152/22 besprochen, welche sich ebenfalls mit den Anforderungen an ein ärztliches Attest auf Grundlage einer Räumungsvollstreckung auseinandersetzt.
Auch in Zeiten von Corona war die Vertagung des Termins zur Vermögensauskunft Thema: Der Schuldner wandte sich gegen einen Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft mit der Begründung, er gehöre zur Corona-Risikogruppe und die Inzidenz im Gerichtsbezirk sei überdurchschnittlich hoch. Das LG Oldenburg sah mit Beschl. v. 11.2.2021, 6 T 75/21 einen wichtigen Grund zur Aufhebung des Termins gemäß § 227 Abs. 1 ZPO, zumal die Risikogruppe durch ärztliches Attest belegt wurde. Das LG Oldenburg vertritt aber die interessante Auffassung, dass der wichtige Grund dann entfällt, wenn der Gerichtsvollzieher dem Schuldner ermöglicht, den Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft im Wege der Bild- und Tonübertragung wahrzunehmen, was auch die eidesstattliche Versicherung beinhaltet (vgl. § 128a ZPO).
Das OLG Karlsruhe hat sich mit Beschl. v. 23.2.1999, 4 W 151/98 mit der Frage befasst, ob eine gegebenenfalls fehlende Haftfähigkeit bereits dem Erlass eines Haftbefehls entgegensteht. Es kam zu dem Ergebnis, dass dem Erlass eines Haftbefehls eine eigenständige Funktion im System der zur Bewirkung der eidesstattlichen Versicherung nach dem Gesetz vorgesehenen Zwangsmittel zukommt und deshalb sein Erlass keine Haftfähigkeit des Schuldners voraussetzt.
Natürlich ist eine fehlende Haftfähigkeit sodann ein Hindernis bei der Vollstreckung des Haftbefehls und sind sodann wiederum auf die oben aufgestellten Kriterien im Hinblick auf die inhaltlichen Anforderungen eines ärztlichen Attests abzustellen. Es ist aber auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es Aufgabe des Schuldners ist ein amtsärztliches Attest beizubringen.
Und schließlich werden ärztliche Atteste in der Praxis oft zeitlich befristet und eine Verhandlungsunfähigkeit oftmals auf einen gewissen Zeitraum beschränkt. Für diesen Fall hat das AG München in einer aktuellen Entscheidung vom 13.10.2023, 1507 M 6441/23 entschieden, dass der Gerichtsvollzieher sodann den Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft auf einen Zeitpunkt zu verlegen hat, der außerhalb der im ärztlichen Attest angegebenen Verhandlungs- und Haftunfähigkeit für das Vollstreckungsverfahren liegt.
Auch darf nicht außer Acht gelassen werden, dass bei dauerhafter Erkrankung, welche durch substantiierte Atteste des Schuldners darzulegen ist, gegebenenfalls von Amts wegen ein Betreuungsverfahren bezüglich des Schuldners einzuleiten ist. Ein derartiges Betreuungsverfahren dient einerseits dem Schutz des Schuldners und verhilft gleichzeitig dem Gläubiger seinem Ziel, der Abgabe der Vermögensauskunft ein Stück näher zu kommen, da sodann der Betreuer für den Schuldner die Vermögensauskunft abgeben kann (BGH, Beschl. v. 14.8.2008, I ZB 20/08; BGH, Beschl. v. 23.10.2019, I ZB 60/18).
Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass zumindest die obergerichtliche Rechtsprechung hohe Anforderungen an ein ärztliches Attest definiert und darüber hinaus dem Schuldner aufbürdet ein amtsärztliches Attest beizubringen, da privatärztliche Atteste regelmäßig nur Indizwirkung haben und eine Vertagung des Termins zur Abgabe der Vermögensauskunft bis zur Beibringung eines amtsärztlichen Attestes durch den Schuldner rechtfertigen.
Die gelebte Praxis zeigt allerdings, dass eine Vielzahl von Gerichtsvollziehern hier relativ leichtfertig aufgrund eines ärztlichen Attestes, welches oftmals nicht einmal ansatzweise die von der Rechtsprechung entwickelten inhaltlichen Anforderungen erfüllt, Termine aufheben und Verfahren einstellen – eine Vorgehensweise also, die nicht in Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung steht.
In diesen Fällen bleibt dem betroffenen Gläubiger nichts anderes übrig, als gegen die unrechtmäßige Einstellung des Gerichtsvollziehers Erinnerung gemäß § 766 ZPO beim Vollstreckungsgericht einzulegen.