Beitrag

Neue Zuständigkeiten der Gerichtsvollzieher für Zustellungen nach § 16 GVO seit 1.6.2023

Still und heimlich wurde die Zuständigkeitsregelung für Zustellungen über die Gerichtsvollzieher geändert. Während die alte Fassung des § 16 GVO noch ermöglichte, einen Gerichtsvollzieher mit der Zustellung am Sitz einer Partei oder am Sitz des Zustellungsempfängers zu beauftragen, entfällt nunmehr diese Wahlmöglichkeit.

Zum Vergleich

Gültige Fassung des § 16 GVO bis zum 31.5.2023:

§ 16 GVO Zustellungen durch die Post

Für Zustellungen durch die Post ist der Gerichtsvollzieher zuständig, in dessen Gerichtsvollzieherbezirk der Auftraggeber (Partei, Prozessbevollmächtigter) oder ein Zustellungsempfänger seinen Wohnsitz, Geschäftssitz, Amtssitz, Sitz der Niederlassung oder Aufenthaltsort hat.

Nunmehr gültige Fassung des § 16 GVO seit 1.6.2023:

§ 16 GVO Zustellungen

(1) Für Zustellungen ist der Gerichtsvollzieher zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner oder in Ermangelung eines solchen der Zustellungsempfänger seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.

(2) Persönliche Zustellungen darf der Gerichtsvollzieher nur in dem ihm zugewiesenen Gerichtsvollzieherbezirk ausführen. Bei gerichtlichen Pfändungsbeschlüssen mit mehreren Drittschuldnern kann der für die persönliche Zustellung (§ 840 Absatz 3 Satz 2 ZPO) an den im Pfändungsbeschluss zuerst genannten Drittschuldner zuständige Gerichtsvollzieher auch die persönliche Zustellung an die anderen in demselben Amtsgerichtsbezirk ansässigen Drittschuldner vornehmen. Zudem kann er sämtliche elektronisch durchführbaren Zustellungen vornehmen.

Dies bedeutet, dass für postalische Zustellungen nur noch der Gerichtsvollzieher im Bezirk des Schuldners zuständig ist.

Handelt es sich um eine anderweitige Zustellung (z.B. eine Kündigung) ist der Gerichtsvollzieher am allgemeinen Gerichtsstand des Zustellungsempfängers zuständig. Damit entfällt die Möglichkeit, beispielsweise seinen Gerichtsvollzieher in der Nähe der Kanzlei mit den Zustellungen zu beauftragen.

Soweit eine persönliche Zustellung erforderlich ist – so beispielsweise bei Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses nebst Aufforderung zur Abgabe einer Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO – darf nunmehr der für den Drittschuldner zu 1) zuständige Gerichtsvollzieher auch an sämtliche weitere Drittschuldner im selben Amtsgerichtsbezirk zustellen. Diese Ausnahme gilt aber nur für Pfändungsbeschlüsse.

Die praktische Umsetzung darf bereits jetzt ganz erheblich angezweifelt werden, vor allem in größeren Amtsgerichtsbezirken. Ein Gerichtsvollzieher mit zugewiesenen Bezirk München-Feldmoching wird sicherlich nicht nach München-Obersendling fahren, um einen Pfändungsbeschluss zuzustellen. Unter dem Gesichtspunkt zeitnaher Zustellungen wäre dies aus Sicht des Gläubigers zwar sicherlich wünschenswert, wenn man umgekehrt jedoch womöglich beachtliche Wegegelder gegenrechnet, dämpft dies wiederum die Euphorie des Gläubigers.

Nachdem es sich darüber hinaus um eine „Kann-Vorschrift“ handelt, kann die Zustellung über den gleichen Gerichtsvollzieher innerhalb eines Amtsgerichtsbezirks vom Gläubiger nicht erzwungen werden. Es wird die künftige Praxis zeigen, wie relevant diese Änderung im Bereich des Pfändungsbeschlusses wird.

Wesentlich bedeutender für die Praxis dürfte die Änderung nach § 16 Abs. 2 Satz 3 GVO sein, da die elektronisch durchführbaren Zustellungen i.S.d. § 193a ZPO sodann ebenfalls von dem für den Drittschuldner zu 1) zuständigen Gerichtsvollzieher vorgenommen werden können – und zwar losgelöst vom jeweiligen Amtsgerichtsbezirk.

Die bisherige Praxis zeigt, dass bereits einige Zustellungen an Banken und Finanzämter auf elektronischem Wege nach § 193a ZPO erfolgen. Dies würde tatsächlich den Zustellungsprozess bei mehreren Drittschuldnern beschleunigen, soweit sich der für den Drittschuldner zu 1) zuständige Gerichtsvollzieher tatsächlich die Mühe macht, an sämtliche weitere Drittschuldner zuzustellen, bei denen eine elektronische Zustellung durchführbar ist.

Auch wird die Praxis zeigen, ob der Nutzen oder das Chaos überwiegt und am Ende auch tatsächlich eine Zustellung an sämtliche Drittschuldner mit der beabsichtigten Beschleunigung erfolgt.

Isolierte Drittauskunft bei unbekannt verzogenem Schuldner

Bereits im IB Zwangsvollstreckung 02/2022 haben wir auf die Änderungen des § 802l ZPO hingewiesen und auf S. 7 die Auffassung vertreten, dass nunmehr auch isoliert die Drittauskünfte bei unbekannt verzogenem Schuldner (§ 802l Abs. 1, S. 2, Nr. 1c ZPO) möglich sein müssten.

Erfreulicherweise hat sich nunmehr das LG Nürnberg-Fürth in seinem aktuellen Beschluss vom 14.2.2023 – 15 T 799/23 dieser von uns vertretenen Auffassung angeschlossen. Diese Entscheidung ist mehr als praxisrelevant für die Gläubiger:

  • Einerseits können dadurch unnötige Kosten für das Verfahren auf Abgabe der Vermögensauskunft vermieden werden und

  • darüber hinaus sollte dies auch die Einholung von Drittauskünften erheblich beschleunigen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich diese Entscheidung auch bei den skeptischeren Gerichtsvollziehern herumsprechen wird.

Im Folgenden finden Sie den Beschluss wörtlich wiedergegeben:

A.

Die Gläubigerin vollstreckt gegen den Schuldner Zahlungsansprüche aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Nürnberg vom 13.6.1991.

Am 20.9.2022 beauftragte die Gläubigerin den zuständigen Gerichtsvollzieher mit einer Drittstellenauskunft gern. § 802l ZPO sowie Aufenthaltsermittlungen gern. § 755 ZPO. Neben dem Titel reichte sie die Auskunft der R. GmbH vom 20.9.2022 über eine Melderegisterauskunft ein, wonach der Schuldner „unbekannt verzogen“ sei.

Der Gerichtsvollzieher forderte von der Gläubigerin am 6.10.2022, die Voraussetzungen der Drittstellenauskunft nachzuweisen. Auf Nachfrage erläuterte der Gerichtsvollzieher am 11.10.2022, dass die Gläubigerin die Abnahme der Vermögensauskunft nicht beauftragt und keine Nachweise darüber vorgelegt habe, dass eine Ladung zum Termin nicht zugestellt werden konnte. Hiergegen wandte sich die Gläubigerin mit ihrer Erinnerung vom 12.10.2022. Da der Schuldner unbekannten Aufenthalts sei, würde ein nochmaliger Zustellversuch nur unnötige Kosten verursachen.

Der Gerichtsvollzieher half der Erinnerung am 12.10.2022 nicht ab und legte die Akten dem Vollstreckungsgericht vor. Auf den Inhalt seiner Entscheidung wird verwiesen.

Das Vollstreckungsgericht beschloss am 23.12.2022, der Erinnerung der Gläubigerin nicht abzuhelfen. Der bloße unbekannte Aufenthalt des Schuldners sei für die begehrten Drittauskünfte nicht ausreichend.

Gegen diesen ihr am 16.1.2023 förmlich zugestellten Beschluss legte die Gläubigerin mit Schriftsatz vom 25.1.2023 sofortige Beschwerde ein. Ein nochmaliger Zustellversuch wäre bloße Förmelei.

Das Amtsgericht half der Beschwerde durch Beschl. v. 23.12.2022 nicht ab und legte die Akten der Kammer zur Entscheidung vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

B.

Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet.

I. Die sofortige Beschwerde ist der statthafte Rechtsbehelf, §§ 793, 567 I ZPO. Zwar lautet der Tenor der angegriffenen Entscheidung vom 23.12.2022 dahingehend, der Erinnerung nicht abzuhelfen, vgl. Bl. 6 d.A. (vgl. zum Tenor der Erinnerungsentscheidung Anders/Gehle/Vogt-Beheim, ZPO, Kommentar, 81. Auflage 2023, § 766 Rn 38 – Zurückweisung). Indes zeigen die Gründe und die Rechtsbehelfsbelehrung unzweifelhaft, dass das Amtsgericht über die Erinnerung in der Sache zu entscheiden beabsichtigte. Die sofortige Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hielt die Gläubigerin die zweiwöchige Beschwerdefrist ein, § 569 I, II ZPO.

II. In der Sache hat die sofortige Beschwerde Erfolg und führt zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses. Die begehrten Drittauskünfte dürfen gemäß § 802l I 2 Nr. 1c) ZPO nicht verweigert werden. Auf die beiden weiteren alternativen Antragsrechte stützt die Gläubigerin ihren Vollstreckungsauftrag ersichtlich nicht, § 802l I 2 Nr. 2, 3 ZPO.

Zunächst müssen die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung erfüllt und die Datenerhebung zur Vollstreckung erforderlich sein, § 802l I 1 Hs. 1 ZPO. Daneben ist die Einholung von Drittauskünften nur zulässig, wenn die Ladung, zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht zustellbar ist und zusätzlich die Meldebehörde innerhalb von drei Monaten vor Erteilung des Auftrags die Auskunft erteilt hat, dass ihr keine derzeitige Anschrift des Schuldners bekannt ist.

1. Die allgemeinen Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung sind erfüllt, insbesondere legte die Gläubigerin einen ordnungsgemäßen Titel vor. Da ihr weitere Informationen über den Verbleib des Schuldners unbekannt und Forderungsteile offen sind, stellen sich die Drittauskünfte auch als für die Zwangsvollstreckung erforderlich dar.

2. Auch die besonderen Voraussetzungen der Drittauskunft nach § 802l I 2 Nr. 1c) ZPO sind erfüllt. Zutreffend weist das Amtsgericht noch darauf hin, dass der vollstreckende Gläubiger nicht – selbst – einen Antrag auf Abnahme der Vermögensauskunft, § 802a II 1 Nr. 2 ZPO, gestellt haben muss, um einen Drittauskunftsanspruch geltend zu machen (vgl. bereits zum alten Recht ausdrücklich BGH, DGVZ 2021, 116 (117 ff)).

Anders als das Ausgangsgericht meint, ist indes ein – erfolgloser – Zustellversuch der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft gerade keine Voraussetzung für einen Drittauskunftsanspruch nach § 802l I 2 Nr. 1c) ZPO. Dieses Erfordernis lässt sich weder dem Wortlaut der Norm, noch dem systematischen Gesamtzusammenhang entnehmen.

a) Einleitend stellt die Vorschrift in § 802l I 2 Hs. 1 ZPO darauf ab, dass die Ladung zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht zustellbar ist. Die Verwendung des Präsens zeigt, dass nicht zwingend ein Zustellversuch unternommen worden und erfolglos geblieben sein muss. Andernfalls hätte das Gesetz eine Vergangenheitsform genutzt.

b) Dieses Ergebnis bestätigen systematische Betrachtungen: § 802l I 2 Nr. 1a) und b) liegt die Erwägung zu Grunde, dass sich erst anlässlich des Zustellversuchs – nicht notwendigerweise durch den die Drittauskunft begehrenden Gläubiger – herausstellt, dass der Schuldner nicht mehr an der bekannten Zustelladresse anzutreffen Ist. Im Rahmen von § 802l I 2 Nr. 1a) ZPO war der Meldebehörde zunächst nicht bekannt, dass der Schuldner verzogen ist, bei § 802l I 2 Nr. 1b) ZPO indes schon, sie kennt nur keine neue Adresse. Den dritten – hier einschlägigen – Fall notwendiger Drittauskünfte normiert Buchstabe c): Es ist von vorneherein – also vor einem etwaigen Zustellversuch – aufgrund von Auskünften nach § 755 I, II ZPO bekannt, dass der Schuldner bereits vor Erteilung des Vollstreckungsauftrages unbekannt verzogen war.

Sind die definierten Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm erfüllt, ist eine Zustellung überhaupt nicht möglich und demgemäß auch nicht erforderlich, um Drittauskünfte zu beantragen (vgl. ebenso IWW Institut, VE 2022, 15-19).

c) Vorliegend hat die Gläubigerin zusammen mit ihrem Vollstreckungsauftrag vom 20.9.2022 eine R.-Auskunft – ebenfalls datierend auf den 20.9.2022 – beim Gerichtsvollzieher eingereicht, wonach der Schuldner unbekannt verzogen sei. Damit sind die Voraussetzungen des Drittauskunftsanspruchs gemäß § 802l I 2 Nr. 1c ZPO erfüllt (ebenso Anders/Gehle/Nober, ZPO, Kommentar, 81. Auflage 2023, § 802l Rn 4, der nur für Buchstaben a) und b) einen Zustellversuch fordert; BeckOK-ZPO/Fleck, Kommentar, Stand: 1.12.2022, § 802l Rn 13, der den Zustellversuch im Rahmen von Buchstabe c) für „evident sinnlos” hält).

III. Damit ist auf die sofortige Beschwerde hin der Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom 23.12.2022 aufzuheben und der Gerichtsvollzieher anzuweisen, die Erholung von Drittauskünften nicht mit der Begründung zu verweigern, dass die Gläubigerin den Nachweis einer erfolglosen Ladung nicht erbracht hat.

C.

Da für erfolgreiche Beschwerden keine gerichtlichen Gebühren anfallen, war eine Kostenentscheidung nicht veranlasst, vgl. Ziffer 2121 der Anlage 1 zu § 3 II GKG.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, da deren Voraussetzungen nicht vorliegen, § 574 II, III ZPO.

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…