Beitrag

Praxisforum 2024_03

Medizinal-Cannabis im Straßenverkehr

I.

Rechtlicher Rahmen

In der aktuellen Diskussion um die geplante Legalisierung des Umgangs mit Cannabis gerät in den Hintergrund, dass Cannabis im Bereich der Schmerzbehandlung erlaubt eingesetzt werden kann. Durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6.3.2017 (BGBl I, 2017, 403) wurde die Vorschrift des § 31 Abs. 6 SGB-V eingeführt. Versicherte haben hiernach einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn

  • sie eine schwerwiegende Erkrankung haben,

  • eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Arztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, und

  • eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (eingehend zu diesen sozialrechtlichen Anforderungen und ihrem Nachweis BSG NJW 2023, 2217 m. Bespr. Knispel NZS 2023. 337).

In diesem Rahmen ist der Erwerb und Besitz dieses sog. Medizinal-Cannabis betäubungsmittelrechtlich erlaubt und damit insofern nicht strafbar. Eigenanbau und Erwerb auf anderem Weg zur Schmerzlinderung ist hiervon nicht erfasst. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung der vorherigen Genehmigung der Krankenkasse (§ 31 Abs. 6 S. 2 SGB-V). Danach darf jeder Haus- oder Facharzt bei Vorliegen der Voraussetzungen medizinisches Cannabis auf einem BtM-Rezept verschreiben. Der Arzt darf einem Patienten im Monat bis zu 100 Gramm Cannabis in Form getrockneter Blüten oder bis zu 1 Gramm bezogen auf den THC-Gehalt als Extrakt in standardisierter pharmazeutischer Qualität verschreiben (§ 13 BtMG i.V.m. § 2 Abs. 1 Ziff. 2a und B BtMVV). Allerdings kann der an sich zulässige Konsum von Medizinal-Cannabis Auswirkungen auf den Straßenverkehr haben, was die Frage der Anwendung straf-, bußgeldrechtlicher und veraltungsrechtlicher Normen führt.

II.

Tatsächliche Grundlagen

Medizinisches Cannabis besteht hauptsächlich aus zwei pharmakologisch wirksamen Substanzen: Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). Es wird in erster Linie bei chronischen Schmerzen, multipler Sklerose, Krebserkrankungen und Spastiken eingesetzt. Medizinal-Cannabis kann auf verschiedene Arten verabreicht werden: Getrocknete Blüten und Extrakte können geraucht oder verdampft und inhaliert werden. Tabletten und Dragees können eingenommen werden, und es können Inhalatoren zur Anwendung kommen (eingehend zur Historie und zu Wirkungen www.wikipedia.de: Cannabis und Cannabinoide als Arzneimittel). Die Praxis hat gezeigt, dass die Hürden für die zulässige Verschreibung von Medizinal-Cannabis vielfach nicht überwunden werden. So hat es eine Ablehnungsquote von ca. 40 % durch die Krankenkassen gegeben, die in erster Linie auf ungenügenden Diagnosen oder bestehende Therapie-Alternativen zurückzuführen ist (Steinert SVR 2022, 15, 17 m. N.; zur Entwicklung s. die Begleiterhebung vom 31.3.2022 nach § 31 Abs. 6 S. 5 SGB-V, https://­www.bfarm.de/­DE/­Bundesopiumstelle/­Cannabis-­als-­Medizin/­Begleiterhebung/­_node.html).

Bei der Behandlung mit Medizinal-Cannabis sind drei Gruppen an Pateinten zu unterscheiden (nach Pause-Münch, in: Freymann/Wellner, jurisPK-StV R, 2. Aufl., § 14 FeV Rn 34:

  • Patienten, bei denen der behandelnde Arzt erstmals die Indikation stellt und Cannabis als Medikament verschreibt. Insoweit sind Aufklärung und Behandlungscompliance des Patienten sowie die Fahrsicherheit von Belang,

  • Patienten, die in der Krankenvorgeschichte Erfahrung mit Cannabis-Eigentherapie gemacht haben und nun auf eine Verschreibung durch den Arzt wechseln,

  • Konsumenten, die eine Missbrauchsvorgeschichte und/oder eine drogenbezogene Delinquenz aufweisen und die eine Cannabisverschreibung aus medizinischen Gründen anstreben, um missbräuchlichen Konsum zu legalisieren.

III.

Strafrecht: §§ 315c Abs. 1 S. Nr. 1, 316 StGB

Hier ergeben sich beim Führen eines Fahrzeugs unter Einfluss von Medizinal-Cannabis keine Besonderheiten gegenüber der Auswirkung unerlaubt besessenen Cannabis.

Hinweis:

E-Scooter sind Kfz i.S.d. § 1 StVG. Fahrten unter dem Einfluss von Medizinal-Cannabis weisen daher straf- und bußgeldrechtlich keine Besonderheiten gegenüber Drogenfahrten mit anderen Kfz oder Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern auf. Allenfalls die Entziehung der Fahrerlaubnis ist insofern streitig (näher Deutscher StRR 8/2023, 6 und VRR 10/2023, 5).

Da es anders als bei Alkohol nach wie vor keine wissenschaftlich gesicherten Grenzwerte für die absolute Fahruntüchtigkeit gibt, verbleibt in diesem Bereich nur die Möglichkeit einer relativen Fahruntüchtigkeit, belegt durch drogenbedingte Ausfallerscheinungen. Der Nachweis einer drogenbedingten Fahrunsicherheit im Sinne von § 316 StGB kann nicht allein durch einen bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden. Es bedarf weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen, die im konkreten Einzelfall belegen, dass die Gesamtleistungsfähigkeit des Kfz-Führers soweit herabgesetzt war, dass er nicht mehr fähig gewesen ist, sein Fahrzeug im Straßenverkehr eine längere Strecke, auch bei Eintritt schwieriger Verkehrslagen, zu steuern. Dies hat das Tatgericht anhand einer Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände zu beurteilen. Die Anforderungen an Art und Ausmaß drogenbedingter Ausfallerscheinungen können umso geringer sein, je höher die im Blut festgestellte Wirkstoffkonzentration ist (BGHSt 44, 219 = NJW 1999, 226: jüngst BGH NStZ 2022, 741 = StRR 12/2022, 20 = VRR 10/2022, 14 [jew. Burhoff] = NZV 2022, 573 m. Anm. Ternig; OLG Düsseldorf DAR 2019, 578 m. Bespr. Staub 593; näher Fischer, StGB, 71. Aufl. 2024, § 316 Rn 39 ff.; Deutscher VRR 2011, 8). Angesichts der nicht exakt vorhersehbaren Abbauzeiten von (Medizinal-)Cannabis im Körper wird auch nach längerem Zeitablauf der Fahrzeugnutzung Fahrlässigkeit vorliegen, zumal es eine gesetzliche festgelegte Karenzzeit nicht gibt (zu § 24a Abs. 2 StVG OLG Zweibrücken NStZ 2002, 95; KG NZV 2003, 250 m. Anm. Stein).

Hinweis:

Keine Besonderheiten gibt es bei der fahrlässigen Tötung oder Körperverletzung im Straßenverkehr. Insbesondere bei der fahrlässigen Tötung stellt sich in solchen Fällen allerdings unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Falls die Frage, ob bei Einnahme von ärztlich verschriebenen Cannabis die Verteidigung der Rechtsordnung noch der Aussetzung der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nach § 56 Abs. 3 StGB entgegensteht (hierzu Deutscher StRR 11/2023, 5, 12 m.Nw.)

IV.

Ordnungswidrigkeitenrecht: § 24a Abs. 2 StVG

1. Grundlagen

Nach § 24a Abs. 2 S. 1 StVG handelt ordnungswidrig, wer unter der Wirkung eines in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten berauschenden Mittels, wozu Cannabis (Tetrahydrocannabinol, THC) gehört, im Straßenverkehr ein Kfz. führt. Rechtsfolge ist eine Geldbuße bis zu 3.000 EUR (§ 24a Abs. 4 StVG) sowie ein Regelfahrverbot abgestuft nach einschlägigen Vorbelastungen bis zu drei Monaten (Nrn. 242 – 242,2 BKat). Ob das berauschende Mittel Medizinal-Cannabis oder unerlaubt besessenes Cannabis ist, hat an dieser Stelle keine Bedeutung.

2. Medikamentenklausel

§ 24a Abs. 2 S. 1 StVG gilt nicht, wenn die Substanz aus der bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels herrührt (§ 24a Abs. 2 S. 3 StVG). Diese sog, Medikamentenklausel schließt bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen bereits den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit in Satz 1 aus (näher zur Medikamentenklausel Rebler NZV 2020, 405). Dies betrifft auch die Fahrlässigkeit (OLG Oldenburg DAR 2023, 584; zfs 2023, 591).

a) Voraussetzungen

Zunächst muss es sich um für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenes Arzneimittel handeln. Das dürfte angesichts der Verschreibungsvoraussetzungen in § 31 Abs. 6 SGB-V der Fall sein, wenn ein Kfz unter dem Einfluss von Medizinal-Cannabis von demjenigen geführt wird, dem das Cannabis verschrieben worden ist (König, in: Hentschel/König/Dauer, StVR, 47. Aufl. 2023, § 24a StVG Rn 22a; dort auch Kritik an der Auswirkung auf die Verkehrssicherheit). Erfasst wird auch die Verschreibung von Cannabis für eine ADHS-Erkrankung (OLG Oldenburg DAR 2023, 584; zfs 2023, 591). Eine Selbstmedikation wird nicht erfasst.

Weiterhin muss das verschriebene Cannabis bestimmungsgemäß eingenommen worden sein. Eine Dosierung außerhalb der Vorgaben für Art und Frequenz der Einnahme, Tagesmenge und Zeiten der Einnahme schließt die Anwendung der Medikamentenklausel aus (BayObLG NStZ 2019, 528 = DAR 2019, 390). Das gilt auch bei Mischkonsum mit unerlaubt erworbenem Cannabis, anderen Betäubungsmitteln oder Alkohol (AG Trier Blutalkohol 59 (2022), 149 = NZV 2022, 254 [Balschun)]. Das OLG Koblenz (Blutalkohol 59 (2022), 367 = 741 = StRR 7/2022, 33 = VRR 6/2022, 22 [jew. Burhoff]) hat das Urteil des AG Trier mit der Begründung aufgehoben, die die Einnahme von Medikamenten vom Konsum illegaler Drogen – etwa bei gleichem Wirkstoff im Blut – lasse sich mit sachverständiger Hilfe unterscheiden (ebenso KG VRS 129, 220). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Konsum von illegalen Drogen neben Medizinal-Cannabis die Anwendung der Medikamentenklausel grundsätzlich nicht entfallen lässt. Ein ordnungswidriges Verhalten des Betroffenen läge jedenfalls dann vor, wenn nachzuweisen wäre, dass auch ohne die Einnahme der verordneten Menge des Medikaments der analytische Grenzwert überschritten worden wäre und die Medikation über dem verordneten Bereich läge. KG und OLG Koblenz belassen es allerdings bei der bloßen Behauptungen ohne Nachweise, dass eine solche sachverständige Unterscheidung tatsächlich möglich ist (abl. auch König, in: Hentschel/König/Dauer, § 24a StVG Rn 22b). Die Anwendung der „Medikamentenklausel“ ausschließender Mischkonsum mit „illegalem“ Cannabis kann dabei mit sachverständiger Hilfe auch angenommen werden, wenn sich der gemessene Befund nicht allein mit dem gem. der Dosierungsanleitung erfolgten Konsum erklären lässt (König a.a.O.).

b) Erforderliche Feststellungen

Sofern sich nicht vorrangig die Behauptungen des Betroffenen im Rahmen der Beweiswürdigung als bloße Schutzbehauptung darstellen, erfordert die Medikamentenklausel als Ausnahmevorschrift vom Tatrichter exakte Feststellungen zu den Voraussetzungen der ärztlichen Verordnung und der bestimmungsgemäßen Einnahme (OLG Bamberg NStZ 2019, 528 = DAR 2019, 390; KG VRS 129, 220; OLG Koblenz (Blutalkohol 59 (2022), 367 = 741 = StRR 7/2022, 33 = VRR 6/2022, 22 [jew. Burhoff]). Neben der ärztlichen Verordnung ist auch der Inhalt des Cannabinoidausweises festzustellen und im Urteil wiederzugeben. Das Vorliegen der Voraussetzungen der Medikamentenklausel darf bei Schweigen des Betroffenen nicht unter Anwendung des Zweifelssatzes einfach unterstellt werden. Bringt der Betroffene aber vor, die nachgewiesene berauschende Substanz beruhe auf der bestimmungsgemäßen Einnahme als Arzneimittel gem. einer für ihn ausgestellten ärztlichen Verordnung, hat sich das Tatgericht hiermit näher zu befassen, sofern es nicht von einer reinen Schutzbehauptung ausgeht. Die tatrichterliche Beweiswürdigung erweist sich deshalb als lückenhaft, wenn sich aus dem Urteil nicht ergibt, aus welchen Gründen der Einwand des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen des § 24a Abs. 2 S. 3 StVG als unbeachtlich angesehen worden ist (BayObLG a.a.O.).

c) Anfangsverdacht für eine sanktionierte Drogenfahrt

Ein bei einer polizeilichen Kontrolle durch entsprechende Anzeichen begründeter Verdacht auf ein Fahren unter Drogeneinfluss bleibt in einschlägigen Fällen bestehen, wenn der Nachweis einer ärztlichen Verordnung nicht oder nicht rechtzeitig erbracht werden kann, etwa wenn

  • der Betroffene keinerlei Bescheinigungen (Rezeptkopie, ärztliches Attest) vorweisen kann, die seine Behauptung stützen, zumal der Verzicht auf eine Blutprobe Beweismittelverlust bedeuten würde oder

  • Anhaltspunkte für eine nicht „bestimmungsgemäße Einnahme“ der verordneten Cannabisarznei vorliegen (näher Laub SVR 2017, 378, 379).

Hinweis:

Mandanten mit diesem Hintergrund ist daher seitens des Verteidigers oder Rechtsanwalts dringend anzuraten, die entsprechenden Belege bei jeder Fahrt im Fahrzeug mitzuführen.

d) Folgen bei Nichtvorliegen der Medikamentenklausel

Greift die Medikamentenklausel in konkreten Fall aus den genannten Gründen nicht ein, bleibt es bei dem Verstoß gegen § 24a Abs. 2 S. 1 StVG. Insofern gelten die allgemeinen Grundsätze (eingehend König, in: Hentschel/König/Dauer, § 24a StVG Rn 19 ff; Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 7. Aufl. 2024, Rn 756 ff.; zur Fahrlässigkeit o. III. und Burhoff, a.a.O., Rn 776 ff. m. N.).

Hinweis:

Wenn bei der Fahrt Cannabis oberhalb der medizinisch verschriebene Dosis oder andere Betäubungsmittel mitgeführt werden, liegt zugleich ein strafbarer Besitz von Betäubungsmitteln gem. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BtMG vor. Zur materiellen Konkurrenz der beiden Straftaten und dem prozessualen Tatbegriff (Strafklageverbrauch) gelten die allgemein hierzu entwickelten Grundsätze (näher m.N. Krenberger, in Burhoff, a.a.O., Rn 3452).

V.

Verwaltungsrecht: Fahreignung

1. Rechtliche Grundlagen

Die Berechtigung zum Führen von Kfz bedarf zum einen der Befähigung durch Nachweis der erforderlichen Kenntnisse (§ 2 Abs. 5 StVG). Zum anderen ist die Eignung zum Führen von Kfz erforderlich. Geeignet zum Führen von Kfz ist nach § 2 Abs. 4 S. 1 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Eine bestehende Fahrerlaubnis ist zu entziehen, wenn sich der Inhaber der Fahrerlaubnis als ungeeignet erweist (§§ 3 Abs. 1 S. 1 StVG, 46 Abs. 1 S. 1 FeV). Das gilt nach § 46 Abs. 1 S. 2 FeV insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach der Anlage 4 zu den §§ 11, 13 und 14 FeV („Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen“) vorliegen oder erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen wurde und dadurch die Eignung zum Führen von Kfz ausgeschlossen ist. § 11 FeV macht dabei grundsätzliche Vorgaben zur Eignung und deren Nachweis bei auftretenden Zweifeln am Vorliegen der Eignung (Stichwort: MPU). § 14 FeV regelt die Voraussetzungen für die Anordnung der Beibringung eines Gutachtens zur Klärung von Eignungszweifeln im Hinblick auf Betäubungsmittel. Die Grundlagen für das Vorliegen eines solchen Eignungszweifels regelt die Anlage 4. Ist einer der Tatbestände der Anlage erfüllt, die die Fahreignung verneinen, fehlt es an der Eignung.

Nr. 9 der Anlage 4 erfasst „Betäubungsmittel, andere psychoaktiv wirkende Stoffe und Arzneimittel“. Nach Nummer 9.2 der Anlage 4 ist derjenige ungeeignet zum Führen von Kfz, der

  • regelmäßig Cannabis einnimmt (Nr. 9.2.1) oder

  • Cannabis gelegentlich konsumiert und den Konsum und das Fahren nicht trennen kann (sog. Trennungsvermögen), zusätzlich Alkohol oder andere psychoaktiv wirkende Stoffe gebraucht oder bei einer Störung der Persönlichkeit oder bei einem Kontrollverlust (Nr. 9.2.2.).

Regelmäßiger Cannabiskonsum schließt die Fahreignung ohne weiteres aus. Regelmäßiger Konsum ist gegeben, wenn Cannabis täglich oder nahezu täglich eingenommen wird, was auch bei nur einem kurzen Zeitraum der Fall sein kann (eingehend m.N. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, § 2 StVG Rn 54 ff.; Rebler SVR 2023, 207)

2. Fahreignung bei Medizinal-Cannabis

a) Ausgangspunkt

Für der Beurteilung der Fahreignung bei der regelmäßigen Einnahme von Medizinal-Cannabis ist zu beachten, dass die Fahreignung nach Nr. 9.4 Anlage 4 nur bei missbräuchlicher Einnahme (regelmäßig übermäßiger Gebrauch) von psychoaktiv wirkenden Arzneimitteln und anderen psychoaktiv wirkenden Stoffen fehlt. Maßgeblich ist auch Nr. 9.6.2 Anlage 4, wonach bei der Dauerbehandlung mit Arzneimitteln die Fahreignung fehlt, wenn dies zu einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zum Führen von Kfz unter das erforderliche Maß führt. Diese Regelungen gehen insoweit der allgemeinen Vorgabe in Nr. 9.2. Anlage 4 vor. Bestimmungsgemäßer Konsum von für einen bestimmten Krankheitsfall ärztlich verordnetem Cannabis ist als Dauerbehandlung mit Arzneimitteln (Nr. 9.6 Anl. 4 FeV) einzuordnen (OVG Münster VRS 137, 52 = NZV 2019, 599; VGH Mannheim zfs 2021, 534; OVG Saarlouis zfs 2018, 719 = SVR 2019, 113). Die sich hieraus ergebende Ungleichbehandlung von illegalem Cannabis und Medizinal-Cannabis ist trotz Identität des Wirkstoffs kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG (VGH München Beschl. v. 22. 4. 2020 – 11 CS 19.2434; a.A. Koehl DAR 2022, 6, 8).

b) Folgerungen

Eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis bewirkt nach herrschender Rechtsprechung nicht den Verlust der Fahreignung,

  • wenn die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist und nur entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, mithin keine missbräuchliche Einnahme erfolgt (u. aa und bb),

  • keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind,

  • die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und

  • nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (u. cc).

(OVG Münster VRS 137, 52 = NZV 2019, 599; VGH München Blutalkohol 59 (2022) 516 = VRR 9/2022, 27 [Deutscher]; Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, § 2 StVG Rn 62a m.w.N.). Mit Blick auf die Verkehrssicherheit sind an das Vorliegen dieser Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen (VGH Mannheim NJW 2023, 465 = NZV 2023 ,190; zfs 2021, 534). Der Betroffene muss die entsprechenden Tatsachen glaubhaft machen und belegen (OVG Saarlouis zfs 2022, 57 = SVR 2021, 477 [Koehl]).

aa) Indikation

Eine Indikation zur Behandlung mit Medizinal-Cannabis ist nur gegeben, wenn ihre Anwendung zur Erreichung des Therapieziels unerlässlich (ultima ratio) ist. Kommen andere Maßnahmen in Betracht, die zur Erreichung des Ziels geeignet sind, wie etwa eine Änderung der Lebensweise, physiotherapeutische Behandlungen, eine Psycho- oder Verhaltenstherapie oder die Anwendung nicht den Vorschriften des BtMG unterliegender Arzneimittel, ist diesen der Vorrang zu geben (VGH Mannheim NJW 2023, 861; VGH München, Beschl. v. 5.1.2024 – 11 CS 23.818, demnächst VRR 2024 [Deutscher]). Für die Beurteilung dieser Fragen kann auf die in der Rechtsprechung des BSG (etwa NJW 2023, 2217 m. Bespr. Knispel NZS 2023. 337, o. I.) entwickelten Maßstäbe zu § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V zurückgegriffen werden. Wird im Straßenverkehr ein drogentypischer Fahrfehler begangen und dabei ein THC-Wert festgestellt, der ein Vielfaches den Wert von 1,0 ng/ml übersteigt, bei dem für die nicht vom Arzneimittelprivileg umfasste gelegentliche Einnahme von Cannabis eine betäubungsmittelbedingte Beeinträchtigung der Fahrsicherheit nicht ausgeschlossen werden kann, begründet dies Zweifel, ob bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis die Leistungsfähigkeit zum Führen von Kfz unter das erforderliche Maß beeinträchtigt wird (VGH Mannheim DAR 2024, 38 m. Anm. Koehl = zfs 2024, 53).

bb) Zuverlässige Einnahme

Eine zuverlässige Einnahme nach ärztlicher Verordnung liegt nur vor, wenn das Medizinal-Cannabis auf Grundlage eines ärztlichen Rezepts i.S.v. §§ 13 BtMG i.V.m. 1, 2, BtMVV in einer deutschen Apotheke erworben und entsprechend der verordneten Dosierung eingenommen wird (VG Köln Blutalkohol 57 (2020), 137). Das Rezept muss die Anzahl der an einem Tag einzunehmenden Einzelgaben aufführen (VGH München zfs 2019, 414 = NZV 2019, 543;). Erfolgt die ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis erst nach einem Verstoß gegen das Trennungsgebot gem. Nr. 9.2.2 Anl. 4 FeV, ist zu prüfen, ob durch die Verordnung die Fahreignungszweifel ausgeräumt sind; ggf. sind entsprechende Aufklärungsmaßnahmen einzuleiten (VGH München a.a.O.). Bei einem Beikonsum mit unerlaubt verschafften Cannabis oder fahreignungsrelevantem Mischkonsum mit Alkohol ist die Fahreignung nicht nach der für die Dauerbehandlung mit Arzneimitteln vorgesehenen Spezialregelung in Nr. 9.6 und Nr. 9.6.2 Anl. 4 FeV zu beurteilen. Es gelten dann die Vorgaben in Nr. 9.2 und Nr. 9.4 (VGH Mannheim VRS 131, 207 = NZV 2017, 291). Gleiches gilt bei einer Dosierung oberhalb der ärztlichen Vorgabe. Zweifel an der Fahreignung sind auch bei einem früheren illegalen Konsum angebracht (OVG Saarlouis zfs 2021, 239).

cc) Prognose

Wenngleich das Erfordernis des Trennungsvermögens bei gelegentlichen Konsum von Cannabis in Nr. 9.2.2. Anlage 4 bei Medizinal-Cannabis nicht unmittelbar einschlägig ist, so ist es der Sache nach doch von Belang bei der Prognose, dass nicht zu erwarten sein darf, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (OVG Lüneburg NZV 2013, 263; DAR 2013, 288 = zfs 2013, 238; VG Oldenburg DAR 2020 347 m. Anm. Koehl; a.A. VG Düsseldorf Blutalkohol 57 (2020), 61).

Hinweis:

Denkbar sind auch Auflagen zur Fahrerlaubnis, um den Gefahren aus dem Konsum von Medizinal-Cannabis entgegenzuwirken (VG München zfs 2023, 117). Weiterführend zu Medizinal-Cannabis und Fahrerlaubnis Koehl DAR 2020, 74; 2021, 5.

VI.

Auswirkungen der geplanten Teillegalisierung von Cannabis

1. Gesetzesentwurf

Die regierende Ampelkoalition hat sich auf die Fahnen geschrieben, die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu legalisieren (Koalitionsvertrag 2021, S. 87, https://­www.bundesregierung.de/­resource/­blob/­974430/­1990812/­93bd8d9b17717c351633635f9d7fba09/­2021-­12-­10-­koav2021-­data.pdf?download=1). Auf dieser Grundlage wurde von der Bundesregierung unter dem 9.10.2023 der Entwurf eines „CannabisG“ (CanG) vorgelegt (BT-Drucks 20/8704). Dieser sieht im Kern zwei neue Gesetze vor. Zum einen soll das KonsumcannabisG (KCanG; näher Oglakcioglu/Sobota ZRP 2023,194) Personen ab 18 Jahren den Besitz von bis zu 25 gr. Cannabis im öffentlichen Raum und bis zu 50 gr. in der privaten Wohnung zum Eigenkonsum und bis zu drei Cannabispflanzen erlauben (§ 3 Abs. 1 und 2 KCanG-E). Der öffentliche Konsum von Cannabis ist u.a. verboten in Schulen, Kinderspielplätzen und Kinder- und Jugendeinrichtungen und in einem Bereich von 200 Metern um deren Eingangsbereich sowie in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr (§ 5 Abs. 2 KCanG-E). Zum anderen wird im Medizinal-Cannabisgesetz (MedCanG) der Verkehr mit Medizinal-Cannabis geregelt. Nach § 15 MedCanG-E darf Cannabis zu medizinischen Zwecken nur von befugten Teilnehmerinnen und Teilnehmern am Verkehr mit Cannabis zu medizinischen Zwecken abgegeben und erworben werden. Cannabis zu medizinischen Zwecken darf an Endverbraucherinnen und Endverbraucher nur im Rahmen des Betriebs einer Apotheke gegen Vorlage einer ärztlichen Verschreibung abgegeben werden (§ 3 S. 1 MedCanG-E). Beide Gesetze weisen flankierende Strafvorschriften auf.

Hinweis:

Die Verabschiedung hat sich verzögert. Nachdem sich Experten bei der Anhörung mit erheblicher Kritik an dem Entwurf geäußert haben, wird im Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses erwogen (Stand 19.3.2024). Das Inkrafttreten zum 1.4.2024 dürfte daher kaum erreichbar sein.

Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes verbleibt es bei der jetzigen Rechtlage des strafbewehrten Cannabisverbots (jüngst BVerfG NJW 2023, 3072).

2. Auswirkungen

a) Umgang mit Medizinal-Cannabis

Das geplante MedCanG sieht in §§ 3, 15 lediglich formelle Voraussetzungen für den Erwerb von Medizinal-Cannabis vor. § 31 Abs. 6 SGB-V bleibt unverändert (BT-Drucks 20/8704, S. 3) mit der Folge, dass die materiellen Voraussetzungen für den Erwerb von Medizinal-Cannabis bestehen bleiben wie gehabt (o. I).

b) Straßenverkehrsrecht

Erst recht enthält der Entwurf keinerlei Änderung der einschlägigen Normen des Straf- und Bußgeldrechts sowie des Fahrerlaubnisrechts. Wie bei Alkohol erlaubt der legale Besitz von Cannabis nicht das Führen von Kfz unter dessen Einfluss. Daran ändert sich nichts. Lediglich § 21 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 KCanG-E verlangt von Anbauvereinen, auf die Einschränkungen der Straßenverkehrstauglichkeit hinzuweisen. Allerdings ist bei einer Legalisierung faktisch eine Zunahme von Fahrten unter dem Einfluss von Cannabis zu befürchten. Der Bundesrat hat Vorschläge zur Stärkung der Verkehrssicherheit durch schärfere Sanktionierung gemacht ((BT-Drucks 20/8704, S. 167). Der Bundesverkehrsminister wird die für die Zulässigkeit des Führens von Kfz auf öffentlichen Straßen maßgeblichen Grenzwerte für THC im Rahmen des § 24a StVG auf wissenschaftlicher Grundlage durch eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe untersuchen und ermitteln, auch mit Blick auf einen ggf. gesetzlich festzulegenden THC-Grenzwertes. Ergebnisse der Arbeitsgruppe sollen im Frühjahr 2024 vorliegen (BT-Drucks 20/8704, S. 90; eingehend zur Auswirkung des Entwurfs auf die Verkehrssicherheit Wagner NZV 2023, 385).

Richter am Amtsgericht Dr. Axel Deutscher, Bochum

Regierungsentwurf zu einem „Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz“ – Die wichtigsten geplanten Änderungen

I.

Allgemeines

Die Justiz ist in den vergangenen Jahren mit Blick auf die Erfordernisse der Praxis umfassend „digitalisiert“ worden. Insbesondere der elektronische Rechtsverkehr mit den Gerichten ist ausgebaut worden. Nun hat die Bundesregierung am 6.3.2024 einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der durch weitere Rechtsanpassungen im Bereich des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Aktenführung die bereits fortgeschrittene Digitalisierung in der Justiz in allen Verfahrensordnungen weiter fördern soll (https://­www.bmj.de/­SharedDocs/­Downloads/­DE/­Gesetzgebung/­RegE/­RegE_weitere_Digitalisierung_Justiz.pdf?__blob=publicationFile&v=3). Wir stellen Ihnen in einem Überblick die wesentlichen geplanten Änderungen vor.

II.

Allgemeine Änderungen

Allgemein ist vorgesehen, dass Papierakten, die vor dem 1.1.2026 angelegt wurden, als Hybridakte derart weitergeführt werden dürfen, dass in Papier angelegte Aktenteile weiterhin in Papier geführt werden, die Weiterführung der Akte elektronisch jedoch möglich ist (vgl. dazu z.B. § 32 Abs. 1a StPO-E).

Bestimmten Verfahrensbeteiligten soll es in allen Verfahrensordnungen ermöglicht werden, die prozessuale Schriftform für von Naturalbeteiligten oder Dritten in Papierform unterzeichnete Anträge oder Erklärungen, z.B. Insolvenzanträge, durch elektronische Übermittlung als Scan zu wahren. Die Regelung im Straf- und Bußgeldverfahren soll auf professionelle Verfahrensbeteiligte, Verteidiger und Rechtsanwälte, beschränkt werden.

III.

Änderungen in der StPO

Die Nutzungspflicht des § 32d S. 2 StPO soll auf die Rücknahme der Berufung und der Revision sowie den Einspruch gegen den Strafbefehl und dessen Rücknahme erstreckt werden. Die Nutzungspflicht wird jedoch nicht auf den Verzicht auf Berufung oder Revision (in der Hauptverhandlung) erstreckt.

Für die Stellung eines Strafantrages/einer Strafanzeige soll in Zukunft gelten:

  • Entsprechend der bisherigen Praxis soll die einfache Strafanzeige i.S. des § 158 Abs. 1 StPO auch elektronisch formlos gestellt werden können; sie ist lediglich durch die die Anzeige aufnehmende Person entsprechend zu protokollieren oder in sonstiger Weise zu dokumentieren. Bei schriftlich oder elektronisch eingereichten Strafanzeigen oder -anträgen erfolgt dies dadurch, dass sie zum Ermittlungsvorgang oder zur Akte genommen werden.

  • Ist ein förmlicher Strafantrag für die Strafverfolgung erforderlich (bisheriger Fall des § 158 Abs. 2 StPO), soll entsprechend der bisherigen Rechtsprechung zum nicht digitalen Strafantrag die Schriftform und ihr elektronisches Äquivalent nach § 32a StPO künftig nicht mehr erforderlich sein, sofern die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person aus der Erklärung und den Umständen ihrer Abgabe eindeutig ersichtlich sind.

Die derzeit u.a. noch für die Einwilligungen in Maßnahmen nach den §§ 81f, 81g und 81h StPO, die Bestätigung des Erhalts der Belehrung nach § 114b Abs. 1 StPO oder der Verzicht auf Einwendungen gegen die Einziehung nach § 424 Abs. 2 StPO geltenden Schriftformerfordernisse sollen in der StPO entfallen. Künftig soll die Möglichkeit bestehen, dass die Dokumentation der Abgabe der Erklärung durch die Strafverfolgungsbehörden eine Unterschrift entbehrlich macht. Durch die zu dokumentierende Anwesenheit der erklärenden Person kann sichergestellt werden, dass die Identität der Person verlässlich festgestellt wird.

An der Revisionshauptverhandlung (§ 350 StPO) sollen künftig Angeklagte, ihre gesetzlichen Vertreter, Verteidiger sowie die Sitzungsvertretung der Staatsanwaltschaft auf ihren jeweiligen Antrag hin durch die Nutzung von Videokonferenztechnik auch von einem anderen Ort aus teilnehmen können. Das Gleiche soll gelten für Nebenkläger, Nebenklageberechtigte sowie die Personen, die nach § 397 Abs. 2 S. 3, § 404 Abs. 3 und § 406h Abs. 2 S. 2 sowie § 429 Abs. 1 und § 444 Abs. 2 S. 1 StPO von dem Termin zu benachrichtigen sind.

IV.

Änderungen im OWiG

In der Praxis hatte es um den Anwendungsbereich des § 110c OWiG Streit gegeben. Dabei ist es insbesondere um die Frage gegangen, ob § 32d S. 2 StPO, auf den § 110c OWiG verweist, auch für den durch einen Rechtsanwalt eingelegten Einspruch gegen den Bußgeldbescheid gilt.

Diese Rechtsunsicherheit soll dadurch beseitigt werden, dass die Regelung in § 110c OWiG besser an die Besonderheiten des Bußgeldverfahrens angepasst wird. Künftig soll ausdrücklich geregelt werden, dass auch der Einspruch gegen den Bußgeldbescheid unter die Nutzungspflicht fällt. Entsprechendes soll für die Rücknahme und den Verzicht auf den Einspruch gelten.

V.

Änderung im RVG

Nach § 10 Abs. 1 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt seine Vergütung bisher nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Diese Form des „Einforderns“ ist in der Praxis unter Hinweis darauf, dass seitens der Anwalt- und auch der Mandantschaft ein Bedürfnis nach einer möglichst einfachen und barrierefreien elektronischen Übermittlung der Berechnung besteht und nicht der Einsatz einer qualifizierten elektronischen Signatur erforderlich sein soll, kritisiert worden.

Vor diesem Hintergrund soll für die Vergütungsberechnung künftig die Textform genügen. Die zivil-, straf- und standesrechtliche Verantwortung von Rechtsanwälten für die Richtigkeit der Vergütungsberechnung bleibt von der vorgeschlagenen Änderung unberührt. Dies soll in der Formulierung in § 10 Abs. 1 S. 1 RVG-E zum Ausdruck kommen, wonach (nur) der Rechtsanwalt die Vergütung fordern kann, und er die Mitteilung der Berechnung an den Auftraggeber veranlassen muss, sofern er sie nicht selbst vornimmt. Einer eigenhändigen Unterschrift des Rechtsanwalts unter die Berechnung bedarf es jedoch zur Dokumentation der Verantwortungsübernahme nicht mehr.

VI.

Änderungen in der ZPO und im ArbGG

Durch einen neuen § 130e ZPO-E bzw. § 46h ArbGG-E sollen die wirksame Abgabe und der wirksame Zugang von empfangsbedürftigen Willenserklärungen erleichtert werden, die in bei Gericht elektronisch eingereichten Schriftsätzen enthalten sind.

Eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die der gesetzlich oder rechtsgeschäftlich bestimmten materiell-rechtlichen Schriftform (§§ 126, 127 Abs. 1 und 2 BGB) oder elektronischen Form (§§ 126a, 127 Abs. 1 u. 3 BGB) bedarf, soll als in dieser Form zugegangen gelten, wenn sie in einem Schriftsatz nach Maßgabe der prozessualen Vorgaben des § 130a ZPO als elektronisches Dokument bei Gericht eingereicht und dem Empfänger zugestellt oder formlos mitgeteilt (vergleiche § 270 ZPO) wird.

Die Regelung ist tatbestandlich auf vorbereitende Schriftsätze i.S.d. §§ 129, 130 ZPO bezogen. Über die Verweise insbesondere in §§ 70 Abs. 2, 253 Abs. 4, 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 549 Abs. 2 § 551 Abs. 4 und § 575 Abs. 4 ZPO ist sie aber auch auf bestimmende Schriftsätze anwendbar.

Vergleichbare Regelungen finden sich im ArbGG.

VII.

Ausblick

Der Entwurf befindet sich derzeit im Gesetzgebungsverfahren.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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