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Festsetzung der Tagessatzhöhe aufgrund einer Schätzung des Einkommens

1. Im Falle der Verhängung einer Geldstrafe hält die Schätzung der Tagessatzhöhe nach § 40 Abs. 3 StGB der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, wenn das tatrichterliche Urteil die konkreten Schätzgrundlagen nicht mitteilt.

2. Ein Strafurteil muss aus sich heraus verständlich sein, sodass fehlende Feststellungen nicht durch Bezugnahmen auf Schriftstücke ersetzt werden können. (Leitsätze des Gerichts)

BayObLG, Beschl. v. 18.10.2023202 StRR 76/23

I. Sachverhalt

Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 EUR

Das AG hat den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das PflVG zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 50 EUR verurteilt. Die hiergegen jeweils auf die Höhe des verhängten Tagessatzes beschränkten Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das LG als unbegründet verworfen. Mit seiner gegen das Berufungsurteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Revision hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Keine Darlegungen, sondern nur vage Hinweise

Die Berufungskammer habe, so das BayObLG, die Tagessatzhöhe auf 50 EUR festgesetzt, ohne dies rechtsfehlerfrei zu begründen. Die Darlegungen des LG beschränken sich auf den vagen Hinweis, dass der Angeklagte „zuletzt in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen, auch von Ersparnissen, lebte“. Weshalb sich hieraus unter Berücksichtigung des § 40 Abs. 2 StGB eine Tagessatzhöhe von 50 EUR ergeben soll, bleibe im Dunkeln.

Das Landgericht unternehme nicht den Versuch, das nach § 40 Abs. 2 Satz 1 StGB erzielbare Nettoeinkommen zu bestimmen, sondern schätze ein solches in Höhe von 1.500 EUR pro Monat, ohne auch nur ansatzweise die konkreten Schätzgrundlagen, von denen es ausgeht, darzulegen. Dies stelle nicht nur ein einfach gesetzliches Begründungsdefizit dar, weil das Revisionsgericht nicht in die Lage versetzt werde, die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung nachzuprüfen (KG, Beschl. v. 19.11.2019 – [3] 121 Ss 143/19, StraFo 2020, 300; OLG Köln, Beschl. v. 23.3.2021 – III-1 RVs 50/21, StV 2022, 390 [Ls.]; MüKo-StGB/Radtke 4. Aufl. § 40 Rn 121), sondern auch einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Willkürverbot (BVerfG, Beschl. v. 1.6.2015 – 2 BvR 67/15, NStZ-RR 2015, 335).

Das erzielbare Nettoeinkommen in Höhe von 1.500 EUR, das das LG zugrunde gelegt habe, verstehe sich auch nicht etwa von selbst. Das LG habe von vornherein nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass das erzielbare Nettoeinkommen mit Blick auf die allgemein bekannte, äußerst prekäre Einkommenssituation in dem Heimatland des Angeklagten nicht mit der in der Bundesrepublik Deutschland vorherrschenden durchschnittlichen Einkommenssituation gleichgesetzt werden kann.

III. Bedeutung für die Praxis

Häufiger Fehler

1. Sicherlich ein Fehler/Manko im Berufungsurteil, der häufig vorkommen wird. Denn auf eine vernünftige und ausreichende Ermittlung des Einkommens wird bei der Festsetzung der Tagessatzhöhe meist nicht so viel Mühe aufgewandt.

Kein Verweis auf anderes Urteil

2. Die Berufungskammer hatte in den Urteilsgründen zusätzlich auf ein anderes AG-Urteil verwiesen, ohne die sich daraus ergebenden Fakten mitzuteilen. Das BayObLG weist insoweit darauf hin, dass dies schon deswegen rechtsfehlerhaft sei, weil ein Strafurteil aus sich heraus verständlich sein müsse (st.Rspr., vgl. BGH, Beschl. v. 17.8.2023 – 2 StR 215/23; Beschl. v. 13.6.2023 – 1 StR 126/23, NZWiSt 2023, 376; Urt. v. 22.3.2023 – 6 StR 324/22, NStZ-RR 2023, 141) und deshalb Bezugnahmen auf Schriftstücke oder andere Urteile außerhalb des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht zulässig seien (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.3.2023 – 6 StR 324/22, NStZ-RR 2023, 141; Urt. v. 10.8.2022 – 6 StR 519/21; Beschl. v. 28.6.2022 – 6 StR 511/21, StraFo 2022, 367). Auch das ist ein nicht seltener Fehler.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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