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Vorschadenproblematik in der Kasko-Versicherung

1. Auch in der Kasko-Versicherung ist für eine sichere Bestimmung des Wiederbeschaffungswertes ein Vortrag durch die Versicherungsnehmerin zu erbringen, in welchem Umfang ein Vorschaden bestanden hat und wie dieser repariert worden sein soll.

2. Nur soweit die Versicherungsnehmerin als Geschädigte behauptet, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis und das Fahrzeug in einem unbeschädigten Zustand erworben zu haben, kann ihr nicht verwehrt werden, eine tatsächliche Aufklärung über einen möglichen Vorschaden und dessen Reparatur zu verlangen, auch wenn sie darüber kein zuverlässiges eigenes Wissen hat.

3. Dies ist allerdings anders, wenn zwei der drei wertrelevanten Vorschäden, die den Wiederbeschaffungswert bestimmen, in der Vorbesitzzeit des Sohnes bzw. des Ehemannes der Klägerin eingetreten sind, sie aber behauptet, trotz dieses Näheverhältnisses hierzu nicht weiter vortragen zu können.

LG Duisburg, Urt. v. 6.3.20236 O 137/21

I. Sachverhalt

Vorschaden aus Vorbesitzzeit bestimmt den Wieder- beschaffungswert

Die Klägerin begehrte einen Leistungsanspruch aus der Kasko-Versicherung wegen der behaupteten Entwendung ihres Fahrzeuges als Versicherungsfall, wobei sowohl der Eintritt dieses Versicherungsfalls wie auch die Aktivlegitimation der Klägerin streitig gewesen ist und die beklagte Vollkaskoversicherung sich zusätzlich mit dem Argument verteidigt hat, dass der Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeuges wegen dreier wertrelevanter Vorschäden, die sich auf den Wiederbeschaffungswert auswirken, nicht sicher zu bestimmen gewesen wäre. Die Klägerin verwies allerdings darauf, dass die sie das Fahrzeug erst kurz vor dem behaupteten Versicherungsfall erworben habe und deshalb zum Umfang der Vorschäden und ihrer Reparatur, die in der Vorbesitzzeit eingetreten wären, über kein sicheres Wissen verfügen würde und daher auch insoweit in die Beweisaufnahme einzutreten wäre. Sie würde jedenfalls davon ausgehen, dass die Schäden vollständig und fachgerecht repariert worden seien.

II. Entscheidung

Sonderfall: Vorschäden in der Zeit des „Familienbesitzes“

Diesem ist das LG nicht gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Dabei war insbesondere zu beachten, dass zwei der drei wertrelevanten Vorschäden in der Besitzzeit eingetreten waren, in welcher der Ehemann bzw. der Sohn der Klägerin vor der Klägerin selbst das Fahrzeug in ihrem eigenen Gewahrsam und behaupteten Eigentum gehabt haben. Nur soweit allerdings der Geschädigte behaupten würde, von einem eventuellen Vorschaden selbst keine Kenntnis gehabt zu haben, könne ihm nicht verwehrt bleiben, eine tatsächliche Aufklärung hinsichtlich solcher Punkte zu verlangen, über die der Anspruchsteller selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann. Dies wäre vorliegend allerdings anders zu bewerten, da die relevanten Vorschäden in der Vorbesitzzeit des Ehemannes der Klägerin bzw. des Sohnes eingetreten wären und nicht nachzuvollziehen wäre, wieso sie von diesen keine weiteren Informationen zum Umfang des Vorschadens und einer möglichen Reparatur erhalten könnte. Zumindest hätte die Klägerin im Rahmen der bei ihr liegenden Darlegungs- und Beweislast hierzu weiter vortragen müssen, was vorliegend aber nicht in einer ausreichend substantiierten Form aus Sicht der Kammer erfolgt ist. Folgerichtig wurde die Klage abgewiesen, da ohne diese Angaben der Wiederbeschaffungswert des klägerischen Fahrzeuges auch in der Kaskoversicherung nicht sicher bestimmt werden könnte.

III. Bedeutung für die Praxis

Vortragslast auch in der Kaskoversicherung

Die Entscheidung des LG Duisburg knüpft an die aktuelle Vorgabe des BGH an, die allerdings im Einzelfall immer gesondert zu prüfen ist. Dieser hatte noch betont, dass ein Geschädigter grundsätzlich nicht gehindert ist, die von ihm nur vermutete fachgerechte Reparatur eines Vorschadens zu behaupten und unter Zeugenbeweis zu stellen, wenn der Vorschaden sich in der Vorbesitzzeit ereignet hat und der Anspruchsteller hierüber getäuscht worden ist (BGH, Beschl. v. 15.9.2019 – VI ZR 377/18 = VRR 1/2020, 10). Insoweit ist allerdings auch zu beachten, dass die ansonsten verbleibenden Anforderungen an die Darlegung eines Vorschadens und seiner Reparatur auch in der Kasko-Versicherung von Bedeutung sein können und den Versicherungsnehmer auch insoweit die Obliegenheit trifft, sich beim Vorbesitzer über den Umfang des Vorschadens zu erkundigen und entsprechend weiter vorzutragen (OLG Koblenz, Beschl. v. 28.7.2021 – 12 U 353/21, VRR 8/2022,16).

Prüfung der Vortragslast immer im Einzelfall

Welche weiteren Anforderungen hier im Einzelfall gestellt werden, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Sachverhaltes ab (im Überblick: Nugel VRR 11/2021, 13 ff.). Wenn wie hier das Fahrzeug im Kreise der Familie einen Vorschaden erlitten hat, von anderen Familienmitgliedern wieder repariert wurde oder diese zumindest eine Reparatur in Auftrag gegeben haben und sodann das Fahrzeug an den neuen Anspruchsteller weitergegeben wird, kann von diesem zumindest erwartet werden, dass er nach Rücksprache mit anderen Familienmitgliedern sowohl zum Umfang des Vorschadens als auch einer Reparatur weiter vorträgt oder substantiiert darlegt, warum ihm diese trotzdem nicht möglich ist. Diesen Anforderungen ist augenscheinlich die Klägerin im Bereich der Kasko-Versicherung nicht ausreichend nachgekommen, sodass konsequent die Klage abgewiesen wurde – die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2019 ist also kein „Selbstläufer“, der immer zu einem Eintritt in die Beweisaufnahme führt.

RA Dr. Michael Nugel, FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Essen

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