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Verweigerte Auslagenerstattung im Bußgeldverfahren wegen nicht rechtzeitigem Vorbringen?

Für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG ist nur Raum, wenn das nicht rechtzeitige Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen ist. (Leitsatz des Verfassers)

AG Oranienburg, Beschl. v. 1.6.202313g OWi 264/23

I. Sachverhalt

Bußgeldbescheid kann nicht zugestellt werden

Dem Betroffenen wurde eine angeblich am 27.7.2022 begangene Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen. Mit Schreiben vom 31.8.2022 wurde er als Halter des Fahrzeuges unter der Anschrift pp. angehört. Eine Reaktion auf das Anhörungsschreiben erfolgte nicht. Ohne weitere Ermittlungen wurde dann am 27.10.2022 der Bußgeldbescheid erlassen und Zustellungsauftrag an diese Adresse erteilt. Der Bußgeldbescheid konnte nicht zugestellt werden, da nach Auskunft des Zustellers kein Briefkasten vorhanden war. Die Zustellung des Bußgeldbescheides über die örtliche Polizei verlief ebenfalls ergebnislos. Der tatsächliche Aufenthaltsort des Betroffenen konnte nicht ermittelt werden. Lediglich eine Erreichbarkeit des Betroffenen über Postfach wurden bekannt. Daher wurde die öffentliche Zustellung des Bußgeldbescheides angeordnet.

Verwaltungsbehörde stellt (letztlich) ein

Mit Schreiben vom 30.1.2023 wurde dem Betroffenen erneut unter der Anschrift eine kostenpflichtige Mahnung übersandt. Mit Schriftsatz vom 9.2.2023 zeigte sein Rechtsanwalt seine Bevollmächtigung durch den Betroffenen an, beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legte gleichzeitig Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein. Der Betroffene bestritt, Fahrer des Fahrzeuges zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein. Dem Wiedereinsetzungsantrag des Betroffenen wurde stattgegeben. Ein Foto des Betroffenen wurde vom Einwohnermeldeamt angefordert. Mit Schreiben vom 2.3.2023 wurde das Verfahren gegen den Betroffenen eingestellt und der Bußgeldbescheid vom 27.10.2022 aufgehoben.

Keine Auslagenübernahme durch die Verwaltungsbehörde

Der Verteidiger hat beantragt, eine Kostenentscheidung gemäß §§ 46 Abs. 1, 105 OWiG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO zu treffen und die Kosten festzusetzen. Das hat die Verwaltungsbehörde mit der Begründung abgelehnt, dass der Betroffene nicht rechtzeitig entlastende Umstände vorgebracht habe, insbesondere, dass er nicht der verantwortliche Fahrzeugführer zum Feststellungszeitpunkt gewesen sei, ab. Dagegen ist dann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt worden, der Erfolg hatte:

II. Entscheidung

Grundsätze

Nach Auffassung des AG war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zulässig und begründet. Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a Abs. 1 StPO habe die Verwaltungsbehörde bei Einstellung des Verfahrens nach Rücknahme eines Bußgeldbescheides durch sie über notwendigen Auslagen des Betroffenen zu entscheiden. Die Verwaltungsbehörde habe den Bußgeldbescheid zurückgenommen und das Verfahren sodann aufgrund des fehlenden hinreichenden Tatverdachtes eingestellt. Gemäß § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a Abs. 1 StPO seien in diesem Fall in der Regel die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzulegen. Gemäß § 109a Abs. 2 OWiG könne davon abgesehen werden, die Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen, welche durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätten vermieden werden können. Dies gelte jedoch nicht, wenn die Verwaltungsbehörde die verschwiegenen Umstände bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung selbst hätte erkennen können (AG Aschaffenburg DAR 2002, 136). Zudem sei für eine Ermessensentscheidung nach § 109a Abs. 2 OWiG nur Raum, wenn das nicht rechtzeitige Vorbringen als missbräuchlich oder unlauter anzusehen sei (BVerfG NJW 2013, 3569).

Konkreter Fall

Im vorliegenden Fall sei – so das AG – bereits angesichts der Unzustellbarkeit des Bußgeldbescheides des Betroffenen sowohl postalisch als auch durch die Polizei nicht nachweisbar, dass der Betroffene vor der Mahnung überhaupt von dem Bußgeldverfahren Kenntnis hatte und daher vor Erlass des Bußgeldbescheides und vor Beauftragung seines Verteidigers den tatsächlichen Fahrzeugführer hätte benennen können. Darüber hinaus wäre es der Verwaltungsbehörde auch vor dem Erlass des Bußgeldbescheides durch Abgleich eines Fotos des Betroffenen mit dem Foto der Messung möglich gewesen, die Nichtidentität des Halters festzustellen. Das Vorbringen entlastender Umstände hätte es also nicht bedurft.

III. Bedeutung für die Praxis

Zutreffend

1. Die Entscheidung ist zutreffend. Sie reiht sich ein in der Reihe der doch recht häufigen Entscheidungen zu dieser Problematik. Denn die Verwaltungsbehörden versuchen gern, die beim Betroffenen entstandenen Verteidigerkosten auf den Betroffenen abzuwälzen und lege die „Äußerungslatte“ für die Betroffenen hoch. Dass sie hier zu hoch gelegt worden ist, liegt auf der Hand. Denn wie soll der Betroffene sich äußern, wenn er überhaupt nicht weiß, dass ein Ermittlungsverfahren gegen ihn anhängig ist. Sein „zu spätes“ Vorbingen war also auf keinen Fall unlauter, sondern den Umständen geschuldet, u.a. auch der Untätigkeit der Verwaltungsbehörde, die nichts unternommen hat, um den Bußgeldbescheid zustellen zu können.

Antragsfrist

2. Das richtige Rechtsmittel in vergleichbaren Fällen ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 108 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 62 OWiG. Der ist nach § 108 Abs. 1 S. 2 OWiG fristgebunden. Die Antragsfrist beträgt zwei Wochen.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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