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Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das beA

Zu den Anforderungen an die Versendung eines bestimmenden Schriftsatzes über das besondere elektronische Anwaltspostfach. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschl. v. 31.8.2023VIa ZB 24/22

I. Sachverhalt

Falsche Berufungsbegründung übersandt

Das OLG hat die Berufung des Klägers gegen eine Klageabweisung verworfen. Der Kläger hatte fristgemäß Berufung eingelegt. Innerhalb der bis zum 8.9.2022 verlängerten Frist zur Begründung der Berufung ist ausweislich des bei der Akte befindlichen Transfervermerks bei dem OLG unter dem Dateinamen „Berufungsschriftsatz.pdf“ aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Prozessbevollmächtigten des Klägers und unter dessen Nutzer-ID ein auf den 17.11.2021 datierter, an ein anderes OLG adressierter und eingangs andere Parteien anführender Schriftsatz eingegangen.

Organisation beim Prozessbevollmächtigen

Nach einem Hinweis des OLG sind dort am 12.9.2022 die Berufungsbegründung und ein Wiedereinsetzungsantrag eingegangen, zu dem der Kläger vorgetragen hat, die Berufungsbegründungsfrist sei unverschuldet versäumt worden. In der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten werde eine Frist erst nach wirksamer Postausgangskontrolle und erst dann gestrichen, wenn der fristerledigende Schriftsatz vollständig nebst Anlagen geprüft, „signiert“ und der Sendebericht kontrolliert worden sei. Ferner sehe die Büroorganisation vor, dass eine Kanzleikraft zum Nachmittag/Abend eines jeden Tages eine abschließende Fristenkontrolle aller zum jeweiligen Tag ablaufenden Fristen unter Nutzung der Übersicht des Anwaltsprogramms durchführe, um die ordnungsgemäße Erstellung und den Versand von fristwahrenden Schriftsätzen zu überprüfen. Im konkreten Fall habe die Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte versucht, die Berufungsbegründung über das Anwaltsprogramm zu versenden. Da dies nicht funktioniert habe, habe sie, nachdem sie zuvor nochmals kontrolliert habe, dass es sich um den richtigen Schriftsatz handle, um 16:28 Uhr den Versand per beA vorgenommen. Das Prüfprotokoll habe die Übersendung per beA als „erfolgreich“ ausgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte habe die Versendung des Schriftsatzes noch am gleichen Tag überprüft.

Wiedereinsetzungsantrag ohne Erfolg

Das OLG hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers. Die hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Keine Weitergabe der beA-Karte

Nach Auffassung des BGH muss sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers so behandeln lassen, als habe er selbst um 16:28 Uhr den nicht zum Verfahren gehörenden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung an das OLG versandt, dessen Übermittlung die Frist zur Berufungsbegründung nicht wahren konnte. Nach § 26 Abs. 1 RAVPV dürfe der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ein für ihn erzeugtes Zertifikat keiner weiteren Person überlassen und habe die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten. Möglich sei nach § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV zwar, unter den dort genannten Voraussetzungen anderen Personen Zugang zum beA zu gewähren und von einem Rechtsanwalt qualifiziert signierte elektronische Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu übersenden. Voraussetzung sei aber, dass für die anderen Personen ein Zugangskonto angelegt sei und der Zugang der anderen Personen über ihr Zugangskonto unter Verwendung eines ihnen zugeordneten Zertifikats und einer zugehörigen Zertifikats-PIN erfolge. Handele der Inhaber eines beA dem zuwider und überlasse er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, müsse er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben (vgl. BSG, Urt. v. 14.7.2022 – B 3 KR 2/21 R).

Falsche Übersendung dem Prozessbevollmächtigten zuzurechnen

Entsprechend muss sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Rahmen der Prüfung der Wiedereinsetzungsvoraussetzungen nach § 233 ZPO die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes am Spätnachmittag des letzten Tages der Berufungsbegründungsfrist so zurechnen lassen, als habe er den verfahrensfremden Schriftsatz anstelle der Berufungsbegründung selbst auf den Weg gebracht. Zu diesem Zeitpunkt habe er auch nicht mehr erwarten können, dass die Übersendung eines mit dem Berufungsverfahren nicht in Zusammenhang stehenden Schriftsatzes innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs noch so rechtzeitig bei dem OLG bemerkt werden würde, dass die Nachreichung der Berufungsbegründung noch am 8.9.2022 hätte gewährleistet werden können (vgl. BGH NJW 2018, 165).

Aber auch ohne Zurechnung Verschulden

Aber auch dann, wenn sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übersendung des verfahrensfremden Schriftsatzes anstelle der Berufungsgründung nicht als selbst veranlasst zurechnen lassen müsste, wäre – so der BGH – die Fristversäumung mit der Folge der Anwendung des § 85 Abs. 2 ZPO durch ihn verschuldet. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mittels beA entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen (vgl. BGH NJW 2021, 2201; 2021, 2471; 2022, 3715; NJW-RR 2023, 425). Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich u.a. darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (vgl. BGH NJW 2021, 2021; NJW 2023, 351). Dabei sei für das Vorliegen einer Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments i.S.v. § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versendung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genüge nicht. Vielmehr seit anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte (BGH NJW 2020, 1809, 2022, 3715). Dies rechtfertige sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann (BGH NJW 2023, 1668).

Wurde die richtige Datei übersandt?

Diese Sorgfaltspflichten habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands führe nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung. Wie das OLG zutreffend und ohne Überspannung der Anforderungen an die den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten angenommen habe, lasse sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine ordnungsgemäße Überprüfung der automatisierten Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO dahingehend, ob die richtige Datei übermittelt wurde, sichergestellt war. Das hätte einen in der Kanzlei zuvor vergebenen sinnvollen Dateinamen vorausgesetzt, der in der Eingangsbestätigung erscheint und ohne Weiteres die Prüfung erlaubt, ob der richtige Schriftsatz übersandt wurde. Zu einer dahingehenden Organisationsanweisung sei nichts vorgetragen. Der hier verwendete Dateiname „Berufungsschriftsatz.pdf“ war – wie das OLG zu Recht annehme – nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen, da er weder die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren noch eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ermöglicht.

Kausalität

Der Organisationsmangel könne als Ursache für die Fristversäumnis nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH, Beschl. v. 8.10.2020 – XI ZB 17/19 m.w.N.). Hätte in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Anordnung zur sinnvollen, eine Verwechslung mit anderen Dokumenten ausschließenden Benennung der mittels beA versandten Dateien bestanden, wäre die Übermittlung des falschen Schriftsatzes an das Berufungsgericht rechtzeitig erkannt worden und hätte die richtige Datei noch am gleichen Tag fristwahrend an das Berufungsgericht übersandt werden können.

III. Bedeutung für die Praxis

Keine Weitergabe der beA-Karte und eindeutige Dateibezeichnung

Eine der derzeit vielen Entscheidung des BGH zum beA-Versand. Sie zeigt, dass es so einfach mit dem beA nicht ist. Auf der Grundlage dieser Entscheidung sollte man als Rechtsanwalt „seine“ beA-Karte auf keinen Fall weitergeben (dazu auch BGH, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 StR 39/23, VRR 10/2023, 18). Und: Wo „Berufungsschriftsatz“ drauf steht, muss auch ein „Berufungsschriftsatz drin sein. D.h., die zu versendenden Dateien müssen so eindeutig bezeichnet werden, dass ein Irrtum bzw. eine Verwechselung ausgeschlossen ist. Es ist also jeder Partei ein eindeutiger Namen zu geben, aus dem sich ergibt, für welches Verfahren diese Datei gefertigt worden ist. Dann sollten solche Verwechselungen wie hier ausgeschlossen sein.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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