Werden über das beA Schriftsätze versendet, muss sichergestellt sein, dass Fristen nicht versehentlich gestrichen werden. (Leitsatz des Verfassers)
I. Sachverhalt
Frist von Kanzleimitarbeiter versehentlich gestrichen
Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat fristgerecht Berufung über das beA eingelegt. Nachdem die Berufung nicht innerhalb der Frist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO begründet worden war, hat das KG die Klägerin mit Schreiben vom 22.11.2022 auf diesen Umstand sowie die beabsichtigte Verwerfung der Berufung als unzulässig hingewiesen. Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 28.11.2022 unter Beifügung einer auf den 16.11.2022 datierten Berufungsbegründung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und ausgeführt, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung rechtzeitig am 16.11.2022 gefertigt und über eine Schnittstelle der hauseigenen Kanzleisoftware in das beA versandt. Die Kontrolle, ob das Befüllen des beA erfolgreich gewesen sei, obliege in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin den gesondert geschulten Büromitarbeitern. Im konkreten Fall habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin verfügt, dass die zuständige Büroangestellte kontrolliere, ob die Berufungsbegründung erfolgreich in das beA habe „geschoben“ werden können. Ausweislich einer Fehlermeldung habe das beA den Empfänger jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht finden können. Deshalb sei der Posteingang nicht befüllt worden. Die Büroangestellte habe die Fehlermeldung wegen eines eigenen Versäumnisses nicht bemerkt, die Frist aber dennoch als erledigt eingetragen und den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, der auf die Richtigkeit der „erledigten Fristenliste“ habe vertrauen dürfen, nicht auf die fehlerhafte Schnittstellenübermittlung hingewiesen.
Abgleich Fristenliste mit den erfolgreichen „beA-Versandprotokollen
Auf einen weiteren Hinweis des KG hat die Klägerin ergänzend ausgeführt, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten bestehe im Zusammenhang mit der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze auch die Anweisung, am Ende eines jeden Arbeitstages die Fristenliste mit den erfolgreichen „beA-Versandprotokollen“ abzugleichen und eine endgültige Erledigung nur zu notieren, wenn das „Versandprotokoll“ auf Existenz und Inhalt geprüft worden sei. Tagesfristen dürften erst nach einem zweifachen „Erledigungsvermerk“ (erstens: beA befüllt, zweitens: „Versandprotokoll“ liegt abgeglichen mit der Fristenliste vor) endgültig auf „erledigt“ gestellt werden. Nachdem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im konkreten Fall die zuständige Büroangestellte angewiesen habe, die „Versandprotokolle“ mit der Fristenliste abzugleichen, habe diese objektiv wahrheitswidrig mitgeteilt, dass alle Fristen erledigt seien.
Berufung verworfen
Das KG hat Berufung als unzulässig verworfen. Der BGH hat diese Entscheidung bestätigt.
II. Entscheidung
Die Klägerin hat nach Auffassung des BGH nicht dargelegt, dass ihr Prozessbevollmächtigter in seiner Kanzlei über eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle verfügt. Dazu nimmt der BGH wie folgt Stellung:
beA-Versand wie Telefax-Versand zu behandeln
Ein Rechtsanwalt habe nach der ständigen Rechtsprechung des BGH durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb laufender Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (u.a. BGH NJW 2020, 1809; 2023, 1668; 2023, 1969; NJW-RR 2023, 425, jeweils m.w.N.). Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA entsprächen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax (BGH NJW-RR 2023, 425; VersR 2023, 200). Unerlässlich sei die Überprüfung des Versandvorgangs. Dies erfordere die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erteilt worden ist (BGH NJW-RR 2023, 425; NJW 2023, 1668). Diese Eingangsbestätigung solle dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (vgl. BT-Drucks 17/12634 S. 26). Habe der Rechtsanwalt eine Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO erhalten, bestehe Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war (BGH NJW 2022, 3715; 2023, 2433 m.w.N.). Bleibe sie dagegen aus, müsse dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (BGH NJW 2022, 31715 m.w.N.).
Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung stets zu kontrollieren
Der Rechtsanwalt dürfe hierbei nicht von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes per beA an das Gericht ausgehen, wenn in der Eingangsbestätigung im Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und unter dem Unterpunkt „Übermittlungsstatus“ nicht die Meldung „erfolgreich“ angezeigt wird (BGH NJW 2023, 2433 m.w.N.). Es falle deshalb in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts, das in seiner Kanzlei für die Versendung fristwahrender Schriftsätze über das beA zuständige Personal dahingehend anzuweisen, Erhalt und Inhalt der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs stets zu kontrollieren (BGH NJW-RR 2023, 425; NJW-RR 2022, 1069).
Grundsätze nicht beachtet
Ausgehend von diesen Grundsätzen hatte die Klägerin nach Auffassung des BGH bereits nicht schlüssig dargelegt, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein Schriftsatz fristwahrend aus dem beA übersandt werden sollte. Den Ausführungen der Klägerin lasse sich schon nicht entnehmen, dass in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine Anweisung bestanden habe, wonach die Frist zur Berufungsbegründung im Fristenkalender erst nach Überprüfung der erfolgreichen Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift an das Gericht unter Berücksichtigung der Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO gestrichen werden dürfe. Zudem fehlen dem BGH einer solcherart gefassten Anordnung auch hinreichende Anweisungen dazu, wie der zuständige Mitarbeiter die Kontrolle im Einzelfall vorzunehmen hat.
III. Bedeutung für die Praxis
Anforderungen an die Postausgangskontrolle
Das Fazit aus dieser BGH-Entscheidung: Wenn nach einer Fristversäumung (in Zusammenhang mit dem beA) Wiedereinsetzung beantragt wird, ist eine ausreichende Kanzleiorganisation erforderlich und muss vorgetragen werden. Die Anforderungen lassen sich in etwa wie folgt zusammenfassen:
1. Der Rechtsanwalt muss seine Kanzleimitarbeiter angewiesen haben, eine Frist erst nach Kontrolle von Erhalt und Inhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nach Abschluss des Übermittlungsvorgangs zu streichen.
2. Der Unterschied zwischen Eingangsbestätigung und Übermittlungsprotokoll verdeutlich werden/worden sein. Eine Überprüfung des Protokolls genügt für eine Ausgangskontrolle nicht. Der verwendete Begriff „Versandprotokoll“ ist nicht eindeutig.
3. Die Kanzleimitarbeiter müssen hinsichtlich der technischen Voraussetzungen informiert und intensiv geschult werden. Dies gilt nicht nur bei einem Versand über die beA-Anwendung selbst, sondern auch für die Bedienung eines etwaig verwendeten Kanzleiprogramms.
4. Die Einhaltung der entsprechenden Anweisungen muss der Rechtsanwalt durch eigene, stichprobenartige Kontrollen sicherstellen.
RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg