1. Ob eine Fahrzeugführer gemäß § 1 Abs. 2 StVO in Verbindung mit § 16 StVO verpflichtet ist, an einem Stauende eine Warnblickanlage einzuschalten und ihn deswegen bei einem Verkehrsunfall einer Mithaftung treffen kann hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist nicht bei jedem Stauende zu fordern.
2. Eine solche Verpflichtung besteht nicht, wenn ein möglicher Rückstau nur auf der rechten Fahrspur aufgetreten ist, gute Sichtverhältnisse geherrscht haben und wegen eines zähfließenden Verkehrs immer wieder ein Rückstau auf der rechten Fahrspur zu verzeichnen war.
3. Dagegen haftet der auffahrende Verkehrsteilnehmer für die Unfallfolgen wegens eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO alleine, wobei gegen ihn schon der Beweis der erste Anschein spricht.
I. Sachverhalt
Streit über Verpflichtung der Einschaltung der Warnblinkanlage
Die Klägerin nahm die Beklagten als Fahrer und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eines LKWs in Anspruch, der im zähfließenden Verkehr an einem Stauende die Geschwindigkeit verlangsam hat und auf den dann der bei der Klägerin als Krankenversicherung versicherte Fahrzeugführer aufgefahren ist und dabei schwer verletzt wurde. Die Klägerin war der Auffassung, dass die Beklagtenseite eine Mithaftung von 25 % tragen würden, da der dortige Fahrzeugführer eine Warnblickanlage in dieser konkreten Situation zur Vermeidung eines Auffahrens des nachfolgenden Verkehrsteilnehmers nicht rechtzeitig eingeschaltet habe. Die Beklagtenseite verteidigte sich dagegen mit dem Argument, dass eine solche Verpflichtung in dieser Situation nicht bestanden hätte und im Übrigen gar nicht feststehen würde, dass die unterlassene Einschaltung der Warnblickanlage sich unfallübersichtlich ausgewirkt hätte. Vielmehr wäre der auf der Klägerseite beteiligte Fahrzeugführer allein verantwortlich für das Unfallgeschehen gewesen.
II. Entscheidung
Im Einzelfall hier keine Verpflichtung zur Einschaltung der Warnlinkanlage
Das LG ist dieser Auffassung der Beklagtenseite gefolgt. Zwar könne grundsätzlich das unterlassene Betätigen eines Warnzeichens nach § 16 Abs. 1 StVO als Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO zu einer entsprechenden Mithaftung führen. Wegen des Sichtfahrgebots müsste ein Verkehrsteilnehmer als nachfolgender Fahrzeugführer allerdings auf Autobahnen jederzeit mit einer Gefahr rechnen sowie einem Notfall, um seine Geschwindigkeit unter Umständen bis zum Stillstand abbremsen zu müssen. Selbst bei einer viel befahrenen Strecke würde dagegen alleine das Anhalten im Rahmen einer solchen Rückstaus im Bereich einer Autobahnausfahrt nicht zwingend einer besonderen Warnung bedürfen. Im Übrigen stand bei diesem Fall lediglich über den Fahrtenschreiber fest, dass der Lkw der Beklagtenseite über einen längeren Zeitraum von 29 Sekunden von 60 km/h auf bis zu 11 km/h langsam abgebremst wurde. Unter Berücksichtigung der vor Ort herrschenden guten Sichtverhältnisse und der Tatsache, dass nur die rechte Fahrspur ein solchen Rückstau aufwies, hat das Landgericht einen entsprechenden Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO und für den § 16 StVO auf der Beklagtenseite verneint.
Beweisfälligkeit auf der Klägerseite
Im Übrigen hätte die Klägerin auch nachweisen müssen, dass ein solcher Verstoß ursächlich auf den Unfall ausgewirkt habe – dafür wäre weder Anknüpfungstatsachen gegeben noch ein solcher Beweis gelungen. Insbesondere wäre unklar geblieben, ob der bei der Klägerin versicherte Fahrzeugführer auch tatsächlich rechtzeitig bei dem Einschalten einer Warnblickanlage dies bemerkt hätte und nicht aufgefahren wäre. Vielmehr wäre erst einmal davon auszugehen, dass der Fahrzeugführer auf der Klägerseite die entscheidende Unfallursache durch ein unachtsames Auffahren und einen dadurch begründeten Verstoß gegen § 4 Abs. 1. S. 1 StVO gesetzt habe. Dies würde dann zur alleinigen Haftung führen und dies kann der Klägerseite bei einem gesetzlichen Forderungsübergang entgegen gehalten werden.
III. Bedeutung für die Praxis
Unterlassene Einschaltung der Warnblinkanlage muss ursächlich für den Unfall sei
Das LG hatte über eine alltägliche Situation beim Befahren der Autobahn zu entscheiden und legt anschaulich da, dass eine Verpflichtung zur Einschaltung einer Warnblickanlage nicht in jeder Situation besteht. Im Übrigen wäre dies bei der Haftungsabwegung als möglicher Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot des § 1 Abs. 2 StVO auch nur dann zu beachten, wenn sich dieser Umstand unfallursächlich ausgewirkt hat und auch dafür trägt vorliegend die Klägerseite die Beweislast. Denn es dürfen im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge indessen ausschließlich solche Umstände Berücksichtigung finden, die nach Grund und Gewicht erwiesen sind und sich auf den Unfall ausgewirkt, d.h. zur Entstehung des Schadens bzgl. der Haftung dem Grunde als haftungsbegründende oder der Höhe nach als haftungsausfüllende Kausalität beigetragen haben (BGH, Urt. v. 28.4.2015 – VI ZR 206/14; BGH, Urt. v. 21.11.2016 – VI ZR 115/05 – im Überblick Nugel DAR 2022, 438). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit haben dagegen außer Betracht zu bleiben (OLG Saarbrücken, Urt. v. 3.8.2017 – 4 U 156/16; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.0.2019 – I 1 U 148/18).
Anscheinsbeweis zu Lasten des Auffahrenden
Im Übrigen zeigt dieser Unfall auch, dass zulasten des auffahrenden Fahrzeugführers im Regelfall der Anscheinsbeweis wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO spricht, der grundsätzlich zu einer alleinigen Haftung führt. Fährt nämlich jemand wie hier der Fahrer er Klägerseite auf ein vor ihm befindliches Fahrzeug auf, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass er entweder nicht den notwendigen Sicherheitsabstand eingehalten bzw. nicht die gebotene Sorgfalt bei der Beobachtung des vor ihm fahrenden Verkehrs beachtet hat, ggf. auch einfach zu schnell gefahren ist. Im Wege des Anscheinsbeweises wird ein schuldhafter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO (BGH, Urt. v. 13.12.2016 – VI ZR 32/16) und hinter diesem groben Fehlverhalten tritt üblicherweise die einfache Betriebsgefahr des davor befindlichen Fahrzeugs im vollen Umfang zurück (OLG Köln, Urt. v. 29.6.2004 – 9 U 176/03). Dieser Anscheinsbeweis ist auch nicht dadurch erschüttert, dass das vorausfahrende Kfz eine Vollbremsung durchführt, denn ein plötzliches scharfes Bremsen muss ein Kraftfahrer einkalkulieren (BGH, Urt. v. 16.1.2007 – VI ZR 248/05).
RA Dr. Michael Nugel, FA für Verkehrsrecht und Versicherungsrecht, Essen