Beitrag

Erstattung der Aktenversendungspauschale

Die im Zuge der Akteneinsichtnahme entstandene Aktenversendungspauschale ist keine notwendige Auslage der Prozessführung und wird damit nicht erstattet. (Leitsatz des Verfassers)

AG Tiergarten, Beschl. v. 12.7.2023(327 Ds) 232 Js 312/19 29207 V (10/19)

I. Sachverhalt

Aktenversendungspauschale wird nicht erstattet

Der Rechtsanwalt war Verteidiger des Beschuldigten. Der in Berlin ansässige Rechtsanwalt hat nach Beendigung die Erstattung der zu ersetzenden Kosten in Höhe von 844,00 EUR beantragt. Darin waren 12,00 EUR für die Übersendung der Ermittlungsakte enthalten. Die Rechtspflegerin hat diese als nicht erstattungsfähig angesehen. Die dagegen eingelegte Erinnerung des Rechtsanwalts hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Kosten der Akteneinsicht in der Grund- und Verfahrensgebühr enthalten

Das AG sieht die Auffassung der Rechtspflegerin als zutreffend an. Im Rahmen der notwendigen Kosten der Verteidigung seien die Kosten der Akteneinsicht nicht gesondert anzusetzen, sondern in der Grund- und Verfahrensgebühr des RVG enthalten. Es bleibe dem insbesondere ortsansässigen Anwalt überlassen, ob er sich die Akte bei Gericht zur Einsicht abholt und wieder zurückbringt, ohne dass er Zeit, Fahrt und Parkaufwand hierfür gesondert in Rechnung stellen kann oder sich dies als persönlichem und bereits abgegoltenem Vorteil ersparen möchte und das Gericht bittet, die Akte ausnahmsweise entgegen der ansonsten üblichen Praxis und unter Zusage der Kostenübernahme übersenden zu lassen. Notwendig sei dies aus der vorgenannten Alternativmöglichkeit allerdings schon sprachnotwendig nicht (dazu auch LG Berlin, Beschl. v. 30.8.2022 – 528 Qs 53/22). Auch die Kosten der Rücksendung der Akte seien über die pauschalen Postauslagen hinaus übrigens nicht in Ansatz zu bringen.

III. Bedeutung für die Praxis

Man mag es nicht glauben

1. Wenn man es gelesen hat, mag man es nicht glauben. Die Aktenversendungspauschale Nr. 9003 KV GKG soll beim ortsansässigen Verteidiger nicht erstattungsfähig sein. Man fühlt sich zurückgesetzt ins vorige Jahrhundert, als um diese Frage gestritten worden ist. was bei dem Beschluss vor allem sauer aufstößt, ist der Umstand, dass der entscheidende Amtsrichter offenbar die Rechtsprechung anderer Abteilungen des AG Tiergarten nicht kennt, die die Frage genau anders lösen (vgl. AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18). Und noch schlimmer: Abgesehen davon, dass ihn, aber auch die Rechtspflegerin und den Bezirksrevisor die andere Auffassung der h.M. in Rechtsprechung und Literatur (dazu III, 3) nicht zu interessieren scheint, erwähnt er mit keinem Wort den VerfGH Berlin, Beschl. v. 18.5.2022 – 91/21 (StraFo 2023, 27 = AGS 2022, 557 = StRR 12/2022, 33 = VRR 2/2023, 27); „mia san eben mia“: Vielleicht kennt er den Beschluss aber auch nicht, was die Sache nicht besser macht. Das VerfGH hat die Nichterstattung der Aktenversendungspauschale mit der Begründung, es handle sich um eine Serviceleistung des Gerichts als willkürlich angesehen. Die einzige andere Möglichkeit, Akteneinsicht zu erlangen, sei nämlich eine Einsichtnahme in den Räumen der Ermittlungsbehörden, was aber eine deutlich zeit- und kostenaufwändigere Alternative darstelle.

Gebühren/Auslagen

2. Zudem: Der Amtsrichter scheint auch den Unterschied zwischen anwaltlicher Vergütung und Auslagen nicht zu kennen (vgl. § 1 Abs. 1 RVG). Gebühren sind das Entgelt für die Anwaltstätigkeit. Davon zu unterscheiden sind die Auslagen. Die Auslagen, die nicht zu den allgemeinen Geschäftskosten gehören, kann der Rechtsanwalt geltend machen. Dies ist ausdrücklich in Vorbem. 7 Abs. 1 S. 2 VV geregelt. Die Gebühren, die dem Rechtsanwalt zustehen, decken die von ihm gezahlten Auslagen nicht ab. Im Übrigen ist es Unsinn, wenn das AG meint, die Kosten der Akteneinsicht seien nicht gesondert anzusetzen, sondern in der Grund und Verfahrensgebühr enthalten. Das ist nicht der Fall, weil diese Frage mit „anwaltlicher Tätigkeit“ nicht zu tun hat. Das wird bisher, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten.

Keine „Serviceleistung

3. Für die Frage der Erstattung gilt: Bei der Übersendung der Akten zur Akteneinsicht handelt es sich nicht um eine „Serviceleistung“ des Gerichts. Das bedeutet, dass der Wahlverteidiger, und zwar auch der ortsansässige (AG Köln, Beschl. v. 8.6.2018 – 707 Ds 101/15, Beschl. v. 8.6.2018 – 707 Ds 101/15, RVGreport 2018, 347 m. Anm. Burhoff VRR 7/2018, 22; Beschl. v. 5.7.2018 – 707 Ds 101/15) die ihm insoweit entstandenen Kosten im Innenverhältnis von seinem Mandanten ersetzt verlangen (BVerfG NJW 1995, 3177; BGH NJW 2011, 304; KG RVGreport 2009, 154; LG Potsdam NStZ-RR 2013, 31; LG Zweibrücken RVGreport 2012, 218). Wird der Mandant später freigesprochen, kann er Erstattung aus der Staatskasse verlangen (u.a. VerfGH Berlin, a.a.O.; OLG Naumburg AGS 2011, 598 = RVGreport 2012, 70; LG Ravensburg AnwBl 1995, 153; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319; AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18; vgl. auch AG Lemgo RVGreport 2014, 238; SG Fulda RVGreport 2016, 386; VG Regensburg RVGreport 2015, 198). Der Pflichtverteidiger kann die von ihm gezahlte Aktenversendungspauschale gem. § 46 RVG als Auslagen ersetzt verlangen (s.a. AG Köln StraFo 2013, 526; AGS 2014, 103; AG Geesthacht AnwBl 1996, 476 [zur entsprechenden Anwendung des § 27 BRAGO]; AG Leipzig NStZ-RR 2000, 319; AG Tiergarten, Beschl. v. 21.2.2023 – 336 Cs 209/18; zu allem eingehend Burhoff/Volpert/Volpert, Teil A Rn 212 ff.). Die zum Pflichtverteidiger teilweise vertretene a.A. ist durch die Entscheidung des BGH v. 6.4.2011 (IV ZR 232/08, NJW 2011, 3041) überholt.

Verfassungsbeschwerde

4. Man kann angesichts dieser Rechtslage, dem betroffenen Verteidiger nur empfehlen, noch einmal den Weg zum VerfGH Berlin zu wählen. Die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde sind m.E. groß. Diesen Weg sollte er allein schon deshalb wählen, weil solche falschen Entscheidungen sonst schnell Schule machen. Eine (unheilige) Allianz zwischen Rechtspfleger, Bezirksrevisor und AG ist, wie die Entscheidung zeigt, schnell gebildet. Die Landeskasse (Berlin) wird es freuen, die Verteidiger weniger. Zwar handelt es sich nur um einen Betrag von 12,00 EUR, aber: „Auch Kleinvieh macht Mist.“

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

Diesen Beitrag teilen

Facebook
Twitter
WhatsApp
LinkedIn
E-Mail

Unser KI-Spezial

Erfahren Sie hier mehr über Künstliche Intelligenz – u.a. moderne Chatbots und KI-basierte…