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Einstellung des Bußgeldverfahrens wegen Verjährung

Zur Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse, wenn das Bußgeldverfahren wegen Verjährung eingestellt wird. (Leitsatz des Gerichts)

AG Büdingen, Beschl. v. 30.5.202360 OWi 48/23

I. Sachverhalt

Verfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung wird eingestellt

Der Betroffenen wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt. Im Laufe des Verfahrens beantragte der Verteidiger gerichtliche Entscheidung bezüglich verschiedener, ihm seitens der Verwaltungsbehörde nicht zur Verfügung gestellter, Beweismittel. Mit Beschluss des AG wurde dem Antrag teilweise stattgegeben. Zu diesem Zeitpunkt war dem AG nicht bekannt, dass die Verwaltungsbehörde das Verfahren gegen die Betroffene bereits gemäß § 46 OWiG i.V.m. § 170 StPO eingestellt und den erlassenen Bußgeldbescheid zurückgenommen hatte.

Kostenbescheid zugunsten des Betroffenen…

Der Verteidiger hat der Verwaltungsbehörde seine Kostenrechnung übermittelt. Mit selbstständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 hat die Verwaltungsbehörde entschieden, dass „nach Rücknahme des Bußgeldbescheides … und nach Einstellung des Verfahrens auf Antrag des Betroffenen die ihm entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse auferlegt“ werden. In der Begründung wird darauf abgestellt, dass das Verfahren eingestellt worden sei, weil nach Erlass des Bußgeldbescheides Verfolgungsverjährung eingetreten und gleichzeitig der Bußgeldbescheid zurückgenommen worden sei. Nach Aktenlage bestehe, wenn man die Verjährung außer Betracht lässt, ein dringender Tatverdacht dahingehend, dass die Betroffene die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit begangen habe. Die Geschwindigkeitsmessung sei ordnungsgemäß erfolgt, das Gerät sei geeicht gewesen, die mit der Messung beauftragten Personen seien entsprechend geschult und in staatlicher Anstellung. Die Messunterlagen seien vollständig gewesen. Das Fahrerfoto entspreche dem Lichtbild des Betroffenen bei der Personalausweisbehörde. Und weiter: „Da der Betroffene folglich nur nicht belangt wurde, weil ein Verfahrenshindernis bestand, konnte die Verwaltungsbehörde gemäß § 105 Abs. 1 OWiG, §§ 467a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 StPO davon absehen, die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. AG FFM, 981 OWi 75/21, AG Lampertheim 53 AR 70/22).“ Hierauf hat der Verteidiger „sich für die Auslagenerstattung bedankt und den Bescheid vom 7.3.2023 „insoweit angenommen“. Weiterhin hat er endgültige Festsetzung und Ausgleichung der Kosten beantragt.

…wird zurückgenommen

Mit erneuten selbstständigen Kostenbescheid vom 6.4.2023 hat die Verwaltungsbehörde den Antrag, die notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen, zurückgewiesen und den selbstständigen Kostenbescheid vom 7.3.2023 für nichtig erklärt. Dieser Bescheid enthält dieselbe Begründung wie der Kostenbescheid vom 7.3.2023.

Rechtsmittel der Betroffenen/Nichtabhilfe der Verwaltungsbehörde

Hiergegen hat der Verteidiger Rechtsmittel eingelegt. Die Verwaltungsbehörde hat eine Nichtabhilfeentscheidung getroffen und das wie folgt begründet: „In analoger Anwendung der verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsätze ist mein Bescheid vom 7.3.2023 als nichtig anzusehen. Nichtigkeit eines Bescheides liegt bei besonders schwerwiegenden und offenkundigen Fehlern vor. Mein o.g. Bescheid enthält keine inhaltlich konsistente Kostenentscheidung, hier in der Form einer Auslagenentscheidung. Zwar erlegt der Tenor des Bescheids der Staatskasse die Auslagen auf, die Gründe tragen jedoch diese Entscheidung nicht, da sie in sich widersprüchlich sind. So wird an einer Stelle zur Auferlegung an die Staatskasse verwiesen, an anderer Stelle wiederum an die Betroffene. Der Verweis auf § 467 Abs. 3 S. 1 StPO schon nicht zum Sachverhalt des vorliegenden Ordnungswidrigkeitsverfahrens. Die damit vorliegenden Fehler sind schwerwiegend und offensichtlich und ohne weiteres erkennbar. Es entspricht zudem der ständigen Veraltungspraxis, in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen von der Auferlegung der Kosten/Auslagen zum Nachteil der Staatskasse abzusehen, wenn lediglich die Zustellurkunde zum Bußgeldbescheid nicht in Rücklauf kommt und damit ein Fall des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO vorliegt.“

Antrag auf gerichtliche Entscheidung erfolgreich

Der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung hatte Erfolg. Das AG hat den selbstständige Kostenbescheid vom 6.4.2023 aufgehoben und festgestellt, dass die Staatskasse die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.

II. Entscheidung

Rücknahme des (ursprünglichen) Kostenbescheides zulässig?

Eine ausdrückliche Entscheidung, ob die Rechtsauffassung der Verwaltungsbehörde, wonach der Kostenbescheid vom 7.3.2023 nichtig sei, hat das AG nicht getroffen. Dagegen würde – so jedenfalls sprechen –, dass der Tenor der Entscheidung eindeutig formuliert sei, auch wenn die Gründe hierzu und auch in sich zum Teil widersprüchlich seien. Darüber hinaus korrespondiere der Tenor im selbstständigen Kostenbescheid mit der grundlegenden Entscheidung des Gesetzgebers, wonach regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen habe (vgl. § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a StPO und § 467 Abs. 2 bis 5 StPO). Deshalb dürfte auch eine Berichtigung wegen offensichtlicher Unrichtigkeit ausscheiden.

Ebenfalls offen gelassen hat das AG die Frage, ob die Verwaltungsbehörde, unabhängig davon, zur Abänderung dieser, die Betroffene begünstigenden Entscheidung (analog §§ 48, 49 VwVfG) befugt gewesen sein.

Jedenfalls Auslagenerstattung

Denn das AG ist der Ansicht, dass auch, wenn man von der Befugnis der Behörde, erneut über die Frage der Auslagenerstattung zu entscheiden, ausgehe, sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als begründet erweise. Die notwendigen Auslagen der Betroffenen seien zu erstatten.

§ 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 467a Abs. 1 StPO regele sinngemäß, dass die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse nach Einstellung aufzuerlegen seien, wobei § 467 Abs. 2 bis 5 StPO ebenfalls sinngemäß gelte (Grommes, in: BeckOK OWiG, Graf, 38. Edition, Stand: 1.4.2023 Rn 8 ff.). Daraus ergebe sich die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, dass regelmäßig bei Rücknahme des Bußgeldbescheides und Einstellung des Verfahrens die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen habe. Die hier einzig in Betracht kommende Ausnahme hiervon regele § 467 Abs. 3 Nr. 2 StPO, wonach von der Auslagenerstattung abgesehen werden könne, wenn es nur deshalb nicht zu einer Verurteilung kommt, weil ein Verfahrenshindernis bestehe. Diese Ausnahmevoraussetzung hat das AG verneint.

Keine sichere Verurteilung zu erwarten

Zum Zeitpunkt der Rücknahme des Bußgeldbescheides habe zwar Verfolgungsverjährung vorgelegen (§ 31 OWiG). Allerdings habe es an der weiteren Voraussetzung gefehlt, dass es nur wegen des Verfahrenshindernisses nicht zu einer Verurteilung gekommen sei. Hierbei sei nämlich stets dem Ausnahmecharakter der Bestimmung Rechnung zu tragen. Bei Hinwegdenken des Verfahrenshindernisses müsse deshalb mit Sicherheit von einer Verurteilung auszugehen sein. Sei diese zweifelhaft, seien auch die notwendigen Auslagen des Beschuldigten bzw. Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen (Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 9. Aufl. 2023, § 467 Rn 10 f. m.w.N.).

Von einer sicheren Verurteilung könne aber bereits deshalb nicht ausgegangen werden, weil eine Identifizierung der Betroffenen als Fahrerin durch den Tatrichter nicht stattgefunden habe. Zwar lege ein Abgleich der Messbilder mit den in der Akte befindlichen Lichtbildern der Betroffenen nahe, dass diese das Fahrzeug zur Tatzeit geführt habe. Die Fahrereigenschaft sei allerdings nicht eingeräumt worden und es könne nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass nicht ein ähnlich aussehender Familienangehöriger das Fahrzeug gesteuert habe. Jedenfalls wäre das Gericht im Rahmen einer Hauptverhandlung gehalten gewesen, einem solchen – möglichen – Einwand nachzugehen.

Darüber hinaus könne auch nicht mit hinreichender Sicherheit von dem vorgeworfenen Höchstgeschwindigkeitsverstoß ausgegangen werden. Das AG habe die Verwaltungsbehörde dazu verpflichtet, dem Verteidiger verschiedene Beweismittel zur Verfügung zu stellen und darüber hinaus sei in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass weitere Fragen des Verteidigers im Rahmen einer Hauptverhandlung durch Zeugenvernehmung geklärt werden können. Auch wenn bislang nach Aktenlage von einer ordnungsgemäßen Messung auszugehen sei, sei es, wie sich gelegentlich zeige, gerade nicht auszuschließen, dass sich dies u.a. durch Vernehmung des Messbeamten in der Hauptverhandlung ausnahmsweise anders darstelle. Im Übrigen wäre es – so das AG – inkonsequent, wenn nun von einer zu erwartenden sicheren Verurteilung ausgegangen würde, wenngleich dem Antrag des Verteidigers auf Überlassung von Beweismitteln teilweise stattgegeben und darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass weitere, vom Verteidiger aufgeworfene Fragen, in der Hauptverhandlung zu klären seien.

III. Bedeutung für die Praxis

Schöne Entscheidung

1. Eine schöne Entscheidung, die hinsichtlich der Auslagenerstattung in diesen Fällen noch einmal ins Gedächtnis ruft, dass es sich die Verwaltungsbehörde manchmal doch recht einfach machen, wenn es um die Auferlegung der notwendigen Auslagen des Betroffenen auf die Staatskasse nach einer Einstellung geht. „Übersehen“ wird nämlich häufig, dass in der Regel die Staatskasse diese zu tragen hat und sie nur in Ausnahmefällen dem Betroffenen selbst auferlegt werden können. Dieses „Regel-Ausnahme-Verhältnis“ wird von den Verwaltungsbehörden „gern“ umgekehrt (vgl. dazu jüngst auch LG Trier, Beschl. v. 30.5.2023 – 1 Qs 24/23). Treffend ist in dem Zusammenhang der Hinweis des Gerichts auf eine potenzielle Widersprüchlichkeit, wenn man im Rahmen der Auslagenerstattung von einer sicheren Verurteilung des Betroffenen ausgeht, dem aber im Vorverfahren die Einsicht und das Zurverfügungstellen weiterer Unterlagen zur Überprüfung der Messung zugebilligt hat. So sicher war die Verurteilung dann wohl doch nicht (ähnlich LG Trier, a.a.O.).

Richtige Rechtsmittel

2. In vergleichbaren Fällen ergibt sich das für den Betroffenen zulässige Rechtsmittel gegen für ihn nachteilige Entscheidungen der Verwaltungsbehörde aus § 108 Abs. 1 S. 2 OWiG. es ist der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 62 OWiG, der innerhalb von zwei Wochen einzulegen ist. Die ergehende amtsgerichtliche Entscheidung ist gem. § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG nicht mehr anfechtbar.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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