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VRRKompakt 2023_10

Mietwagenkosten: Unverhältnismäßigkeit

Mietwagenkosten sind unverhältnismäßig, wenn sie jeden Maßstab einer wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung sprengen. Im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht obliegt es einem verständigen Geschädigten, der diese wirtschaftliche Unverhältnismäßigkeit erkennt, einen Gebrauchtwagen als Interimsfahrzeug anzuschaffen oder zunächst eine Notreparatur vorzunehmen.

OLG Celle, Urt. v. 13.9.2023 – 14 U 19/23

Ersatzeinreichung: Rechtzeitigkeit der Glaubhaftmachung

Die nach § 130d Satz 3 ZPO erforderliche Darlegung und Glaubhaftmachung ist rechtzeitig, wenn sie am gleichen Tag wie die Ersatzeinreichung bei Gericht eingeht (Ergänzung zu BGH, Beschl. v. 17.11.2022 – IX ZB 17/22, NJW 2023, 456; Beschl. v. 26.1.2023 – V ZB 11/22, WRP 2023, 833). Eine vorübergehende Unmöglichkeit im Sinne von § 130d Satz 2 ZPO liegt jedenfalls dann vor, wenn eine elektronische Übersendung über einen längeren Zeitraum hinweg nicht möglich und nicht abzusehen ist, wann die Störung behoben sein wird.

BGH, Urt. v. 25.7.2023 – X ZR 51/23

beA-Versand durch Kanzleimitarbeitende: Voraussetzungen an die Kontrolle

Wer die Einhaltung von Fristen an Mitarbeitende delegiert, muss diese genau anweisen. Dazu gehört insbesondere, dass sichergestellt ist, dass Fristen nicht gestrichen werden, obwohl noch keine Übermittlung erfolgt ist.

BGH, Beschl. v. 6.9.2023 – IV ZB 4/23

beA-Versand eines bestimmenden Schriftsatzes: Anforderungen

Bei der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im elektronischen Rechtsverkehr mittels beA ist es unerlässlich den Versandvorgang zu überprüfen. Dabei ist auch eine Prüfung erforderlich, ob die richtige Datei versandt worden ist. Der Rechtsanwalt müsse durch eine Organisationsanweisung oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass jeder fristgebundene Schriftsatz mit einem individuellen Dateinamen versehen wird, der später anhand von Prüfprotokoll und Eingangsbestätigung die Kontrolle auf Fehlversendungen ermöglicht.

BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – VIa ZB 24/22

Trunkenheitsfahrt: Nachtrunkbehauptung

Wird vom Angeklagten ein Nachtrunk behauptet, hat das Gericht – vor der Rückrechnung – zunächst zu prüfen, ob die Nachtrunkbehauptung als glaubhaft zu bewerten ist. Kann die Behauptung eines Nachtrunks nicht mit der erforderlichen Sicherheit widerlegt werden, so muss es klären, welche Alkoholmenge der Angeklagte maximal nach der Tat zu sich genommen haben kann. Bei der Berechnung des Nachtrunks ist zugunsten des Angeklagten mit dem nach medizinischen Erkenntnissen jeweils niedrigsten Abbauwert, Resorptionsdefizit und Reduktionsfaktor zu rechnen.

BayObLG, Beschl. v. 15.8.2023 – 203 StRR 317/23

Fahrverbot: Isolierte Sperrfrist

Die Anordnung eines Fahrverbots und die Festsetzung einer isolierten Sperrfrist schließen einander regelmäßig aus. Ein Fahrverbot kommt neben der Festsetzung einer isolierten Sperrfrist nur in Betracht, wenn das Gericht dem Täter auch das Fahren mit fahrerlaubnisfreien Fahrzeugen verbieten oder bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen von der Sperre ausnehmen will (§ 69a Abs. 2 StGB).

OLG Hamm, Beschl. v. 8.8.2023 – 5 ORs 46/23

Unerlaubtes Entfernen: Bedeutender Schaden

Derzeit ist ein bedeutender Schaden i.S. des § 69 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht unter 1.800 EUR anzunehmen.

LG Dresden, Beschl. v. 15.9.2023 – 17 Qs 66/23

Dauerrot: Tatbestandsirrtum

Die irrtümliche Annahme einer zum „Dauerrot“ führenden Funktionsstörung der Lichtzeichenanlage ist als Fehlvorstellung im tatsächlichen Bereich als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu qualifizieren.

OLG Hamburg, Beschl. v. 11.9.2023 – 5 ORbs 25/23

Geschwindigkeitsüberschreitung: „Dichtes Auffahren“ des Hintermanns

Es gibt keinen Rechtssatz, ein dichtes Auffahren durch das nachfolgende Fahrzeug rechtfertige oder entschuldige eine Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Hält das Tatgericht eine Geschwindigkeitsüberschreitung gleichwohl für „nicht vorwerfbar“, so hat es die konkreten Umstände in tatsächlicher Hinsicht in einer Weise darzustellen, die den inneren Zusammenhang zwischen dem dichten Auffahren und der Geschwindigkeitsüberschreitung erkennen lässt.

KG, Beschl. v. 2.8.2023 – 3 ORbs 158/23 – 122 Ss 71/23

Standardisiertes Messverfahren: Messprotokoll

Die Einhaltung der Bedingungen für ein standardisiertes Messverfahren kann auch anders als durch das Messprotokoll (hier: Vernehmung des Messbeamten) nachgewiesen werden.

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.8.2023 – 2 ORbs 37 Ss 506/23

beA: Weitergabe von beA-Karte und Zugangsdaten

Der Rechtsanwalt darf seine beA-Karte und die Zugangsdaten nicht weitergeben. Nach § 26 Abs. 1 Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV) darf der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikates dieses keiner anderen Person überlassen und muss auch die PIN geheim halten.

BGH, Beschl. v. 20.6.2023 – 2 StR 39/23

beA: Rechtsanwalt als Betroffener

Die Pflicht zur Begründung der Rechtsbeschwerde durch ein elektronisches Doument (§ 32d S. 2 StPO i.V.m. § 110c Satz 1 OWiG) gilt zumindest dann auch für den Rechtsanwalt, der selbst Betroffener ist, wenn dieser als Rechtsanwalt auftritt. Wird die Rechtsmittelbegründung ausnahmsweise nicht in elektronischer Form übersandt, ist darzulegen und glaubhaft zu machen, dass im Zeitpunkt der Übersendung eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur zur elektronischen Übermittlung von anwaltlichen Schriftsätzen an die Gerichte existierte und eine nur vorübergehende technische Störung gegeben war (Anschl. an BGH, Beschl. v. 30.8.2022 – 4 StR 104/22).

BayObLG, Beschl. v. 14.7.2023 – 201 OBOWi 707/23

Pflichtverteidiger: Sachverständiger für Nachtrunkbeurteilung

Eine schwierige Sachlage im Sinne von § 140 Abs. 2 StPO ist nicht allein mit dem Umstand zu begründen, dass ein Sachverständiger am Verfahren beteiligt ist. Die Notwendigkeit der sachverständigen Beurteilung eines behaupteten Nachtrunks ist kein Grund für die Bestellung eines Pflichtverteidigers.

LG Hannover, Beschl. v. 5.9.2023 – 63 Qs 38/23

Zustellung: Scheinwohnsitz

Ein Scheinwohnsitz, an dem gem. § 37 Abs. 1, § 180 ZPO eine Zustellung wirksam erfolgen könnte, ist nicht bei der aufgegebenen Wohnung anzunehmen, wenn der unter laufender Bewährung stehende Zustellungsadressat entgegen der Anordnung im Bewährungsbeschluss dem Gericht den Wohnsitzwechsel nicht mitgeteilt hat.

LG Nürnberg-Fürth, Beschl. v. 22.9.2023 – 12 Qs 66/23

Verbindung von Verfahren: Terminsgebühren

Voraussetzung für die sich durch eine Verbindung ergebenden Folgen, nämlich ein einheitliches Verfahren, ist, dass der Verbindungsbeschluss nicht nur „aktenmäßig“ erlassen ist. Er muss auch schon „ergangen“ sein. Das ist aber erst der Fall, wenn er für das Gericht unabänderlich ist. Das ist ggf. erst mit der Verkündung in der HV der Fall, so dass bis dahin selbstständige Verfahren vorliegen, in denen ggf. Gebühren entstehen können, wie z.B. die Terminsgebühr.

LG Kiel, Beschl. v. 21.6.2023 – 2 Qs 41/23

Zusätzliche Verfahrensgebühr; Fehlende Verfahrenshandlung des Verteidigers

Der Verteidiger ist nicht verpflichtet, auf eine Fortsetzung des Bußgeldverfahrens gegen seinen Mandanten in unverjährter Zeit hinzuwirken. Unterlässt er daher für die Fortsetzung des Verfahrens erforderliche Verfahrenshandlungen, kann ihm das nicht im Rahmen der Geltendmachung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr entgegengehalten werden.

LG Freiburg, Beschl. v. 21.8.2023 – 16 Qs 30/23

Zusätzliche Verfahrensgebühr: Fehlende Verfahrenshandlung des Verteidigers

Wartet der Verteidiger mit einer Tätigkeit, auf die das Verfahrensfortgang zwingend angewiesen ist, bis die Verfolgungsverjährung eingetreten war, führt er somit absichtlich die Verfolgungsverjährung herbei und kann deshalb nicht die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5115 VV RVG geltend machen.

AG Freiburg, Beschl. v. 10.5.2023 – 76 OWi 48/23

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