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Überlassung der beA-Karte und der PIN an Dritte

Die Überlassung der beA-Karte und der PIN des Rechtsanwalts an Dritte (hier: Kanzleimitarbeiter) ist nicht zulässig. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschl. v. 20.6.20232 StR 39/23

I. Sachverhalt

Revision der Nebenklägerin per Telefax

Das LG hat den Angeklagten am 24.8.2022 freigesprochen. Dagegen hat die Nebenklägerin mit einem am 25.8.2022 per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihres anwaltlichen Vertreters, Revision eingelegt. Das LG hat das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil die Form des § 32d Satz 2 StPO in der Frist zur Einlegung der Revision gemäß § 341 StPO nicht gewahrt wurde.

Wiedereinsetzung mit der Begründung: Kanzleimitarbeiterin hatte beA-Karte und Pin

Nach Zustellung des Beschlusses an den anwaltlichen Vertreter der Nebenklägerin hat dieser am gleichen Tag durch Übermittlung im beA Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die Revisionseinlegung auf diesem Wege nachgeholt. Den Wiedereinsetzungsantrag hat er damit begründet, er habe am 24.8.2022 mit der Nebenklägerin die Einlegung der Rechtsmitteleinlegung besprochen, am Folgetag den Rechtsmittelschriftsatz der Kanzleiangestellten S. diktiert und ihr die Anweisung erteilt, den Schriftsatz durch Übermittlung im besonderen elektronischen Anwaltspostfach und durch Telefax an das LG zu übersenden. Sendeberichte habe diese am nächsten Tag einem ebenfalls in der Kanzlei tätigen Rechtsanwalt zur Kontrolle vorlegen sollen. Er selbst sei am 25.8.2022 zu einer Reise aufgebrochen. Erst nach Zugang des Revisionsverwerfungsbeschlusses der Strafkammer sei erkannt worden, dass die Rechtsmittelschrift nicht im beA übermittelt wurde. Da er im Home-Office arbeite und die Kanzlei nur zur Wahrnehmung von Besprechungsterminen aufsuche, habe er die Angestellte S. gebeten, seine beA-Karte und den PIN in ihrem Schreibtisch zu verwahren; diese wäre daher in der Lage gewesen, den Übermittlungsauftrag auszuführen. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hatte keinen Erfolg.

II. Entscheidung

Kein Wiedereinsetzungsgrund

Der BGH hat das Vorliegen eines Wiedereinsetzungsgrundes verneint. Wenn jemand ohne Verschulden verhindert gewesen sei, eine Frist einzuhalten, sei ihm auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 44 Satz 1 StPO). Das sei hier nicht der Fall. Der Nebenklägerin sei, anders als einem Angeklagten bei der Verteidigung gegen einen Schuld- und Rechtsfolgenausspruch, auch das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters zuzurechnen (vgl. BGHSt 30, 309, 310). Dieser habe hier eine fristwahrende Übersendung der Rechtsmittelschrift in der Form des § 32d Satz 2 StPO versäumt, ohne für ausreichende Abhilfemöglichkeiten zu sorgen. Die Übergabe seiner beA-Karte und der zugehörigen PIN an die Kanzleiangestellte zu deren Verwendung seien dazu nicht geeignet gewesen.

Persönliche Versendung durch die den Schriftsatz verantwortende Person erforderlich

Die einfache Signatur der Rechtsmittelschrift setze die persönliche Versendung durch die den Schriftsatz verantwortende Person voraus (vgl. u.a. BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 2 StR 162/22). Nach § 24 der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPN) können andere Personen als der bevollmächtigte Rechtsanwalt, insbesondere Kanzleimitarbeiter, sich nur mit einem ihnen selbst zugeordneten Zertifikat und der zugehörigen Zertifikats-PIN in einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach anmelden. Das sei hier nicht geschehen.

Die Überlassung des eigenen Zertifikats des Rechtsanwalts an die Kanzleimitarbeiterin sei nicht zulässig. Nach § 26 Abs. 1 RAVPN dürfe der Inhaber eines für ihn erzeugten Zertifikates dieses keiner anderen Person überlassen; er habe auch die zugehörige PIN geheim zu halten. Dadurch solle sichergestellt werden, dass die einfache Signatur von der den Schriftsatz verantwortenden Person stamme. Eine Überlassung des Zertifikats an eine nicht angemeldete Person würde es einem Unbefugten ermöglichen, anwaltliche Schriftsätze eigenmächtig zu erstellen oder abzuändern, um sie dann mit einer einfachen Signatur des Rechtsanwalts zu versenden.

Rechtsanwalt muss tatsächlicher Versender sein

Bei einer Übermittlung über das besondere elektronische Anwaltspostfach müsse die Übertragung in das Postfach dieses Verteidigers oder Rechtsanwalts erfolgen und dieser – also nicht etwa ein Kanzleimitarbeiter – der tatsächliche Versender sein (vgl. BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 89/22, StraFo 2022, 276 = StRR 7/2022, 16). Die Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer bestimme, dass das Recht, nicht qualifiziert-elektronisch signierte Dokumente alternativ formwahrend über das besondere elektronische Anwaltspostfach zu versenden, nicht auf Dritte übertragen werden dürfe (§ 23 Abs. 3 Satz 5 RAVPV); denn das Vertrauen in die Authentizität der mit einfacher Signatur übermittelten elektronischen Dokumente stütze sich auf die Erwartung, dass dieser sichere elektronische Übermittlungsweg ausschließlich von den Inhabern des Anwaltspostfachs selbst genutzt werde und die das Dokument einfach signierende Person mit der des Versenders übereinstimme. Sei das nicht der Fall, werden die Formerfordernisse nach § 32a Abs. 3 Var. 2, Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 StPO nicht gewahrt (vgl. BGH, Beschl. v. 7.2.2023 – 2 StR 162/22).

III. Bedeutung für die Praxis

Ungeeignetes Wiedereinsetzungsvorbringen

1. Durch Überlassung der anwaltlichen Zertifizierung an die Kanzleiangestellte hatte der Rechtsanwalt dieser also keine Möglichkeit zur wirksamen Übersendung der Rechtsmittelschrift auf einem sicheren Übermittlungsweg eröffnet. Daher war das Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag nicht geeignet, eine auch vom anwaltlichen Bevollmächtigten der Nebenklägerin nicht verschuldete Versäumung der Frist zur formgerechten Einlegung der Revision darzulegen.

Wortlaut verbietet Weitergabe

2. Die Entscheidung entspricht dem Wortlaut – „von der verantwortenden Person signiert und (…) – eingereicht“ – in § 32a Abs. 3 StPO (vgl. zum wortgleichen § 130a Abs. 3 StPO OLG Braunschweig, Beschl. v. 8.4.2019 – 11 U 146/18) als auch der systematischen Gleichstellung der sicheren Übermittlungswege mit der qualifizierten elektronischen Signatur (dazu auch BAG, Beschl. v. 5.6.2020 – 10 AZN 53/20 [zu § 130a ZPO]) sowie dem Sinn und Zweck der Regelung des § 32a Abs. 3 Alt. 2 StPO, die Funktion der Schriftform, die Identität des Urhebers und der Authentizität des Dokuments zu gewährleisten, durch „funktionssichere“ Übermittlungswege zu ersetzen (BGH, Beschl. v. 3.5.2022 – 3 StR 89/22, StraFo 2022, 276 = StRR 7/2022, 16 m.w.N.). Fazit aus der Entscheidung kann daher nur sein, dass beA-Karte und/oder PIN des Rechtsanwalts eben nicht weitergegeben werden. Und wenn man es dennoch tut, sollte man es zumindest nicht offenlegen.

Ausnahme

3. Nach § 26 Abs. 1 RAVPV darf der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ein für ihn erzeugtes Zertifikat keiner weiteren Person überlassen und hat die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten. Möglich ist nach § 23 Abs. 2 und 3 RAVPV zwar, unter den dort genannten Voraussetzungen anderen Personen Zugang zu dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach zu gewähren und von einem Rechtsanwalt qualifiziert signierte elektronische Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu übersenden. Voraussetzung ist aber, dass für die anderen Personen ein Zugangskonto angelegt ist und der Zugang der anderen Personen über ihr Zugangskonto unter Verwendung eines ihnen zugeordneten Zertifikats und einer zugehörigen Zertifikats-PIN erfolgt. Handelt der Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs dem zuwider und überlässt er das nur für seinen Zugang erzeugte Zertifikat und die zugehörige Zertifikats-PIN einem Dritten, muss er sich so behandeln lassen, als habe er die übermittelte Erklärung selbst abgegeben (vgl. BGH, Beschl. v. 31.8.2023 – VIa ZB 24/22; BSG, Urt. v. 14.7.2022 – B 3 KR 2/21 R).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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