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Verteidigung in Bußgeldverfahren bei der Fahrerlaubnis auf Probe

In der anwaltlichen Praxis wird man immer wieder von Fahranfängern konsultiert, die sich mit dem Vorwurf einer im Straßenverkehr begangenen Ordnungswidrigkeit konfrontiert sehen. Ist der Mandant Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe, sind gegenüber den „normalen“ Bußgeldmandaten einige Besonderheiten zu beachten. Denn während der Probezeit kann bereits eine erste, ggf. auch geringfügige Ordnungswidrigkeit zu unangenehmen Konsequenzen führen. Eine qualifizierte Verteidigung ist dementsprechend empfehlenswert.

I.

Erwerb der Fahrerlaubnis auf Probe

Bei erstmaligem Erwerb einer Fahrerlaubnis wird diese auf Probe erteilt; die Probezeit dauert gemäß § 2a Abs. 1 Satz 1 StVG zwei Jahre vom Zeitpunkt der Erteilung an. Die Sätze 2 bis 7 dieses Absatzes betreffen die Fristberechnung in Fällen mit Auslandsberührung bzw. ausländischen Fahrerlaubnissen sowie bei (ggf. vorläufiger) Entziehung. Die Erteilung der Fahrerlaubnis auf Probe soll den besonderen Risiken durch die Teilnahme von Fahranfängern am Straßenverkehr entgegenwirken (vgl. Freymann/Wellner/Trésoret, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 2a StVG, Stand: 25.1.2022, Rn 24); auf das Alter des Fahrerlaubniserwerbers kommt es nicht an. § 32 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) nimmt die Fahrerlaubnisklassen AM („Rollerführerschein“), L und T (bestimmte land- bzw. forstwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge) von den Regelungen über die Probezeit aus, so dass keine zeitliche Anrechnung bei späterer Erweiterung der Fahrerlaubnis auf andere Klassen, etwa Pkw, stattfindet. Das Begleitete Fahren ab 17 (§ 48a FeV) geht mit der Erteilung einer – lediglich unter bestimmten Auflagen stehenden – Fahrerlaubnis und damit dem Beginn der zweijährigen Probezeit einher (Trésoret, a.a.O., Rn 31).

II.

Zuwiderhandlungen während der Probezeit

1. Einteilung

Für mögliche Maßnahmen gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis auf Probe unterscheidet § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG zwischen schwerwiegenden und weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen. Die Bewertung einzelner Ordnungswidrigkeiten als schwerwiegend oder weniger schwerwiegend ergibt sich aus Anlage 12 zur FeV. Zu den schwerwiegenden Zuwiderhandlungen (aufgrund der Überschrift in der Verordnung auch als A-Verstöße bezeichnet) zählen neben einigen dort aufgezählten Straftaten Ordnungswidrigkeiten u.a. im Zusammenhang mit der Geschwindigkeit, dem Abstand, der (Nicht-)Beachtung von Lichtzeichen, dem Überholen, der Vorfahrt, der Benutzung elektronischer Geräte sowie dem Gebrauch von Fahrzeugen ohne die erforderliche Zulassung, aber auch Verstöße gegen die §§ 24a, 24c StVG. Als weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen (B-Verstöße) werden wiederum verschiedene Straftaten, soweit im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen und nicht als schwerwiegende Zuwiderhandlung eingestuft, genannt; außerdem Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG, die nicht bereits als schwerwiegende Zuwiderhandlungen gelten. In allen Fällen gilt, dass nur diejenigen Zuwiderhandlungen eine Rolle spielen, die in das Fahreignungsregister einzutragen sind. Darüber hinaus kommt eine Einzelfallprüfung hinsichtlich des Gewichts des Verstoßes auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich nicht in Betracht (Trésoret, a.a.O., Rn 136).

2. Maßnahmenstufen

Die einzelnen Stufen von gegen den Fahrerlaubnisinhaber zu ergreifender Maßnahmen sind in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 StVG:

  • Stufe 1: Bereits nach der ersten schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlung(en) während der Probezeit hat die Fahrerlaubnisbehörde unter Fristsetzung die Teilnahme an einem Aufbauseminar (vgl. § 2b StVG, §§ 35 ff. FeV) anzuordnen. Diese Anordnung führt zugleich zu einer Verlängerung der Probezeit um zwei Jahre, § 2a Abs. 2a Satz 1 StVG:

  • Stufe 2: Bei einer weiteren schwerwiegenden Zuwiderhandlung oder zwei weiteren weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen nach Teilnahme an dem Aufbauseminar (Stufe 1) hat die Fahrerlaubnisbehörde den Fahrerlaubnisinhaber schriftlich zu verwarnen und ihm nahe zu legen, innerhalb von zwei Monaten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Weitere Konsequenzen erfolgen zunächst nicht; insbesondere ist die Teilnahme an der Beratung freiwillig und es kommt nicht nochmals zu einer Verlängerung der Probezeit, da eine Verlängerung nur einmalig (im Rahmen von Stufe 1) stattfindet.

  • Stufe 3: Kommt es nach Ablauf der Frist von zwei Monaten (Stufe 2) zu einer weiteren schwerwiegenden Zuwiderhandlung oder zwei weiteren weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen innerhalb der Probezeit, wird die Fahrerlaubnis entzogen.

Dem Wortlaut des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG ist zu entnehmen, dass ein Ermessen der Fahrerlaubnisbehörde nicht besteht, sondern sie die einzelnen Maßnahmen bei Erreichen der jeweiligen Stufe zu ergreifen „hat“. Wichtig bezüglich der Stufen 2 und 3 ist, dass diese nicht „automatisch“ bei der Verwirklichung weiterer Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten erreicht werden, sondern nur unter den genannte Voraussetzungen eingreifen. Dem Fahrerlaubnisinhaber soll so ermöglicht werden, die durch die ersten Zuwiderhandlungen hervorgetretenen Defizite zunächst durch die Teilnahme an dem Aufbauseminar bzw. an der verkehrspsychologischen Beratung zu beseitigen, bevor er erneut „unter Bewährung“ steht (Freymann/Wellner/Trésoret, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 2a StVG, Stand: 25.1.2022, Rn 245, 267 f.). Kommt es daher nach einer ersten schwerwiegenden oder zwei weniger schwerwiegenden Zuwiderhandlungen zu weiteren Verstößen, die zeitlich vor der Teilnahme am Aufbauseminar lagen, wird die 2. Stufe nicht ausgelöst. Entsprechendes gilt für die 3. Stufe, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die 2. Stufe erreicht hat und er danach wiederum Zuwiderhandlungen begeht, bevor die in § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG genannte Frist von zwei Monaten abgelaufen ist. Außerhalb des Stufensystems des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG bleiben der Fahrerlaubnisbehörde ggf. Maßnahmen gemäß § 2a Abs. 4 StVG.

Entscheidend ist jeweils der Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen wurde, nicht das Datum ihrer Ahndung oder des Rechtskrafteintritts (sog. Tattagprinzip, vgl. Trésoret, a.a.O., Rn 140 sowie den Wortlaut des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG: „[…] auch wenn die Probezeit zwischenzeitlich abgelaufen […] ist […]“). Die Fahrerlaubnisbehörde sowie die ihre Entscheidung prüfenden Verwaltungsgerichte sind gemäß § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden; eine Abweichung ist allenfalls in seltenen Ausnahmefällen (z.B. Person auf dem Messfoto passt eindeutig nicht zum Geschlecht des Betroffenen) denkbar (vgl. dazu VG Neustadt/Weinstraße, Beschl. v. 28.92012 – 1 L 738/12.NW –, juris m.w.N.; Trésoret, a.a.O., Rn 147 ff.; Koehl, SVR 2016, 412, 420).

3. Exkurs: Konsequenzen neuerer Änderungen der Bußgeldkatalog-Verordnung

Nach der Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) durch die Erste Verordnung zur Änderung der Bußgeldkatalog-Verordnung vom 13.10.2021 (BGBl I S. 4688) mit Erhöhung der Geldbußen insbesondere bei Geschwindigkeitsverstößen herrschte in der Praxis mitunter Verunsicherung darüber, ob es – wie bisher – bei einem „normalen“ Pkw (ohne Anhänger etc.) erst bei Geschwindigkeitsüberschreitungen von 21 km/h oder mehr zur Eintragung von Punkten im Fahreignungsregister (und damit den genannten Konsequenzen in der Probezeit) kommt oder bereits ab 16 km/h. Hintergrund ist, dass in der Geschwindigkeitsüberschreitungen von 16 bis 20 km/h betreffenden lfd. Nr. 11.3.3 im Anhang (zu Nummer 11 der Anlage) BKatV – anders als nach früherer Rechtslage – nunmehr Regelsätze von 70 EUR (innerhalb geschlossener Ortschaften) bzw. 60 EUR (außerhalb geschlossener Ortschaften) vorgesehen sind. Dies führt dazu, dass die Erhebung eines Verwarnungsgeldes nicht mehr möglich ist, da der Höchstbetrag hierfür gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG bei 55 EUR liegt; stattdessen erfolgt die Ahndung stets durch Bußgeldbescheid. Davon unabhängig beurteilt sich die Frage, ob eine Eintragung in das Fahreignungsregister zu erfolgen hat, nach § 28 Abs. 3 Nr. 3 lit. a sublit. bb StVG: Neben der Geldbuße von mindestens 60 EUR muss die Ordnungswidrigkeit in einer Rechtsverordnung (Anlage 13 zur FeV) explizit als eintragungspflichtig bezeichnet werden. In der lfd. Nr. 2.2.3 sowie 3.2.2 der Anlage 13 zur FeV wird die lfd. Nr. 11.3.3 des Anhangs der BKatV aber nicht erwähnt, sondern weiterhin nur solche Verstöße ab 21 km/h. Da der Maßnahmenkatalog des § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG, wie bereits ausgeführt, nur solche Ordnungswidrigkeiten betrifft, die in das Fahreignungsregister einzutragen sind, wirken sich die genannten Änderungen nicht auf die Fahrerlaubnis auf Probe aus und führen insbesondere nicht zu „früher“, also schon ab 16 km/h, einsetzenden Maßnahmen.

Zudem ist in der aktuellen Fassung der BKatV bei deutlich mehr Halte- und Parkverstößen als bisher die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister vorgesehen, etwa im Zusammenhang mit dem Halten bzw. Parken in „zweiter Reihe“ oder auf Geh- bzw. Radwegen. Einschlägig sind hier die lfd. Nr. 3.2.7, 3.2.7a, 3.2.7b, 3.2.7c und 3.2.7d der Anlage 13 zur FeV. In Anlage 12 zur FeV, welche die Einteilung von Zuwiderhandlungen als schwerwiegend oder weniger schwerwiegend vornimmt, werden Halte- und Parkverstöße nicht explizit erwähnt; allerdings gelten als weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen (sämtliche) Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG, soweit nicht in Abschnitt A (schwerwiegende Zuwiderhandlungen) aufgeführt. Ein Halte- oder Parkverstoß, welcher die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister bewirkt, stellt somit zugleich eine weniger schwerwiegende Zuwiderhandlung im Sinne von § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG dar.

III.

Verteidigungsmöglichkeiten

Aus den vorstehenden Überlegungen folgt, dass vorrangiges Ziel der Verteidigung bei bestehender Fahrerlaubnis auf Probe die Vermeidung einer Eintragung in das Fahreignungsregister sein sollte. Angesichts der drohenden Anordnung eines Aufbauseminars sowie der Probezeitverlängerung gilt dies bereits beim ersten Verstoß, gerade unter Berücksichtigung der für junge Menschen verhältnismäßig hohen Kosten eines Aufbauseminars (aktuell meist zwischen 200 und 500 EUR, vgl. https://­www.adac.de/­verkehr/­rund-­um-­den-­fuehrerschein/­erwerb/­aufbauseminar-­fahranfaenger, abgerufen am 15.6.2023). Wegen der Bindungswirkung gemäß § 2a Abs. 2 Satz 2 StVG sind nicht nur Einwendungen gegen die Tat oder Tatbegehung als solche, sondern auch in Bezug auf die Höhe der Geldbuße bzw. die Schwere des konkreten Vorwurfs bereits im Bußgeldverfahren zu verfolgen und nicht erst gegenüber der Fahrerlaubnisbehörde vorzutragen. Zu den „üblichen“ Verteidigungsstrategien bei Verkehrsordnungswidrigkeiten kommen gerade bei Betroffenen in der Probezeit bzw. Jugendlichen oder Heranwachsenden bestehende Besonderheiten.

1. Allgemeines

Zunächst sind die Verteidigungsansätze zu prüfen, die auch bei einem regulären Fahrerlaubnisinhaber außerhalb der Probezeit in Betracht kommen: Nachweis der Fahrereigenschaft, Ordnungsmäßigkeit der Messung, der Beschilderung, Verjährung, sonstige mildernde Umstände des Einzelfalls, etwa das Vorliegen von nur leichter Fahrlässigkeit etc. Insoweit bestehen zu Mandaten ohne Probezeitbezug keine großen Unterschiede; verfahrensrechtlich ist zu beachten, dass über § 46 Abs. 1 OWiG im Bußgeldverfahren – je nach Alter des Betroffenen – sinngemäß zudem die Vorschriften des Jugendgerichtsgesetzes gelten (hierzu BeckOK OWiG/Meyberg, 38. Ed. 1.4.2023, JGG § 1 Rn 5 ff.; vgl. zudem Gieg/Krenberger, in Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 6. Aufl. 2021, Rn 2700). Bei Heranwachsenden ergeben sich in der Regel aber keine Besonderheiten (Meyberg, a.a.O., Rn 4). Hinsichtlich der Kosten des Verfahrens gilt § 105 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 74 JGG, wonach bei Jugendlichen und Heranwachsenden von der Auferlegung von Kosten und Auslagen abgesehen werden kann (dazu Gieg/Krenberger, a.a.O., Rn 2721).

2. Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 OWiG

a) Allgemeines

Das Bußgeldverfahren kann „in jeder Lage“, wie es in § 47 Abs. 2 Satz 1 OWiG heißt, und sowohl von der Verwaltungsbehörde, der Staatsanwaltschaft (vgl. § 69 Abs. 4 Satz 1 OWiG) als auch dem Gericht eingestellt werden, wenn die Ahndung der Ordnungswidrigkeit nicht geboten erscheint. Dies ist Ausdruck des im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsprinzips und weit zu verstehen; die Grenze des Ermessens wird im Wesentlichen nur durch das Willkürverbot gezogen (BeckOK OWiG/A.  Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 47 Rn 9; Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549, 552). Durch die Einstellung wird zugleich die Eintragung von Punkten in das Fahreignungsregister vermieden. Gerade bei Jugendlichen und Heranwachsenden erscheint in geeigneten Fällen eine großzügige Anwendung des § 47 OWiG sinnvoll (Burhoff/Gieg/Krenberger, a,a.O., 2700).

Anders als im Strafverfahren bestimmt § 47 Abs. 3 OWiG ausdrücklich, dass die Einstellung des Verfahrens nicht von der Zahlung eines Geldbetrages an eine gemeinnützige Einrichtung oder sonstige Stelle abhängig gemacht oder damit in Zusammenhang gebracht werden darf. Deshalb wird im Umkehrschluss häufig angenommen, dass ein Zusammenhang mit der Erbringung sonstiger Leistungen durch oder Erteilung von Auflagen an den Betroffenen zulässig ist (Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 47 Rn 33; Klesczewski/Krenberger/Krenberger, OWi-Recht, 3. Aufl. 2023, § 10, Rn 204; A. Bücherl, a.a.O., Rn 56). Insoweit soll im Bußgeldverfahren stets § 47 OWiG – ggf. unter Berücksichtigung besonderer Erziehungszwecke – vorrangig und nicht etwa die §§ 45, 47 JGG oder § 153a StPO (jeweils i.V.m. § 46 OWiG) anzuwenden sein (Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 47 Rn 34; Burhoff/Gieg/Krenberger, a,a.O., Rn 2707; Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549, 550, 552).

Eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG ist noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz möglich, selbst wenn die Rechtsbeschwerde noch nicht zugelassen worden sein oder keine Zulassungsgründe bestehen sollten (OLG Saarbrücken, 3.9.2019 – Ss Rs 34/2019 (43/19 OWi)), obgleich die Oberlandesgerichte hier tendenziell zurückhaltend agieren. Rechtsbeschwerde und Zulassungsantrag können nicht allein mit dem Wunsch auf Einstellung des Verfahrens begründet werden. Es muss, da die Möglichkeit nach § 47 Abs. 2 OWiG dem Oberlandesgericht nur bei zulässig erhobener und begründeter (vgl. § 344 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG bzw. § 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG) Rechtsbeschwerde bzw. Zulassungsantrag offensteht (BeckOK OWiG/A. Bücherl, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 47 Rn 32), zumindest die allgemeine Sachrüge erhoben und ersichtlich sein, dass auch eine Nachprüfung des amtsgerichtlichen Urteils – und nicht lediglich die Verfahrenseinstellung – begehrt wird (vgl. KG NZV 1996, 124).

b) Erbringung von Leistungen

Eine Einstellung des Verfahrens gegen die Erbringung von (nicht durch § 47 Abs. 3 OWiG ausgeschlossenen) Leistungen bzw. ein Hinwirken auf eine solche bietet sich vor allem dann an, wenn eine Ahndung des Verstoßes zwar grundsätzlich geboten erscheint und damit einer unbedingten Einstellung entgegensteht (so für Geschwindigkeitsüberschreitungen Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549, 552 f.), eine Verurteilung für den Betroffenen indes mit gravierenden Folgen – etwa, weil er Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe ist – einherginge (Klesczewski/Krenberger/Krenberger, OWi-Recht, 3. Aufl. 2023, § 10, Rn 204). Die Mitwirkung des Betroffenen ist stets freiwillig. Da in der gerichtlichen Praxis häufig – nach hiesiger Auffassung unzutreffend – davon ausgegangen wird, dass eine solche Vorgehensweise in Bußgeldverfahren etwa wegen § 47 Abs. 3 OWiG oder einer fehlenden Anwendbarkeit des § 153a StPO generell nicht möglich sei (vgl. Gutt/Krenberger, a.a.O., S. 552), bietet es sich an, zu der gegenteiligen Auffassung unter Angabe von Fundstellen vorzutragen. Um zu vermeiden, dass der Betroffene Leistungen erbringt, die letztendlich nicht zum gewünschten Erfolg (Verfahrenseinstellung) führen, kann ggf. schon vor einem Hauptverhandlungstermin Rücksprache mit dem Gericht gehalten werden. Idealerweise dokumentiert das Gericht in einem Beschluss oder auf andere Weise die zu erfüllenden Auflagen oder stellt das Verfahren zunächst vorläufig ein (so AG Landstuhl, Beschl. v. 29.5.2020 – 1 OWi 4396 Js 280/20 jug –, Verkehrsrecht Blog, allerdings in analoger Anwendung des § 47 JGG; Krenberger/Krumm, a.a.O., § 47 Rn 19; Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549, 552), um für den Betroffenen hinsichtlich des weiteren Vorgehens Rechtssicherheit zu schaffen.

Ob im Einzelfall eine solche Vorgehensweise nach § 47 OWiG in Betracht kommt und, wenn ja, welche konkreten Auflagen oder Leistungen angemessen sind, ist anhand der Schwere der im Raum stehenden Ordnungswidrigkeit zu prüfen, aber auch des Bedarfs an Einwirkung auf den Betroffenen und unter Berücksichtigung des Schutzgutes der Bußgeldnorm (in der Regel die Verkehrssicherheit). Hierbei scheint es möglich, sich an § 98 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG zu orientieren, welcher im Vollstreckungsverfahren gegen Jugendliche und Heranwachsende die Auferlegung der Erbringung von Arbeitsleistungen, der Wiedergutmachung des Schadens, der Teilnahme an einem Verkehrsunterricht sowie der Erbringung einer sonstigen bestimmten Leistung (BeckOK OWiG/Nestler, 38. Ed. 1.4.2022, OWiG § 98 Rn 23.1 nennt insoweit „kreative“ Möglichkeiten wie das Schreiben eines Aufsatzes oder den Besuch eines Krankenhauses) vorsieht. In der gerichtlichen Praxis wird häufig die Ableistung gemeinnütziger Arbeit (meist im Bereich zwischen 20 und 30 Stunden) für angemessen erachtet, etwa in einem Krankenhaus, Altenheim, Gemeindebauhof oder Jugendzentrum, ebenso die Organisation und Mitarbeit bei einer Kinderfreizeit. Erfahrungsgemäß bringt es „Pluspunkte“, wenn ein Betroffener sich um in Betracht kommende Stellen selbst bemüht und eine schriftliche Zusage vor oder im Termin nachweisen kann.

Gerade bei Fahranfängern kann sich zudem – allein oder in Verbindung mit den vorgenannten Möglichkeiten – die Teilnahme an einem Fahrsicherheitstraining anbieten, zumal dieses in der Regel kostengünstiger als ein nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG drohendes Aufbauseminar ist, jedoch ebenfalls einen Beitrag zur Verkehrssicherheit leistet. Dies wird von Gerichten teilweise selbst dann honoriert, wenn der Betroffene zwar das 21. Lebensjahr bereits vollendet hat (vgl. § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 1 Abs. 2 JGG), aber aufgrund späten Erwerbs der Fahrerlaubnis diese gleichwohl noch auf Probe hat.

c) „Freiwilliges Fahrverbot“

Die vorgenannte Einstellung nach Erbringung von Arbeitsleistungen oder ähnlichem wird in der Praxis vor allem dann nicht als ausreichend betrachtet, um das Bedürfnis nach einer Ahndung im Sinne von § 47 Abs. 2 OWiG entfallen zu lassen, wenn eine Ordnungswidrigkeit vorgeworfen wird, für die im Bußgeldkatalog sogar ein Regelfahrverbot vorgesehen ist oder bei der aus anderen Gründen die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG vorliegen. In der Regel geht es um schwerwiegende Verstöße, welche zudem häufig in der Anlage 13 der FeV als „besonders verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten“ aufgeführt sind und bei denen das Gericht nicht auf die Erziehungs- und Denkzettelfunktion des Fahrverbots verzichten möchte. Die Eintragung von Punkten in das Fahreignungsregister kann in dieser Situation nicht durch eine gleichzeitige Reduzierung der Geldbuße auf weniger als 60 EUR erreicht werden, denn gemäß § 28 Abs. 3 Nr. 3 lit. a StVG erfolgt die Eintragung bei in der Anlage 13 FeV genannten Ordnungswidrigkeiten, wenn ein Fahrverbot angeordnet oder eine Geldbuße von mindestens 60 EUR festgesetzt worden ist.

Die Vermeidung einer Eintragung im FAER ist in dieser Situation indes denkbar, wenn – naheliegend neben einer Arbeits- oder ähnlichen Leistung durch den Betroffenen – das Fahrverbot „freiwillig“ abgeleistet wird. In bisherigen Fällen des Verfassers konnte dies so praktiziert werden, dass der Betroffene als „Auflage“ seinen Führerschein für einen bestimmten Zeitraum zur Gerichtsakte reicht und in diesem Zeitraum keine Fahrzeuge führt (AG Landstuhl, Beschl. v. 29.5.2020 – 1 OWi 4396 Js 280/20 jug –, Verkehrsrecht Blog; AG St. Ingbert, Beschl. v. 11.1.2022 – 25 OWi 65 Js 1795/21 (3055/21) –; AG Trier, Beschl. v. 12.11.2021 – 27c OWi 8047 Js 20668/21 –, jeweils nicht veröffentlicht). Nachdem einem solchen „Fahrverbot“ die Strafbewehrung fehlt, da es sich nicht – wie von § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG vorausgesetzt – um ein Fahrverbot im Sinne des § 25 StVG handelt, verlangen manche Gerichte zudem eine Versicherung des Betroffenen an Eides Statt, dass er während des vorgenannten Zeitraums keine Kraftfahrzeuge im öffentlichen Verkehr geführt hat.

Anzumerken ist, dass diese Vorgehensweise die Regelungen zum Fahreignungsregister und den § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG jedenfalls teilweise unterläuft. Sinn und Zweck eines Fahrverbots werden zwar in ähnlicher Weise erreicht wie im Falle des § 25 StVG; jedoch können Fahrerlaubnis- und Bußgeldbehörde – gerade bei eventuellen weiteren Verstößen – das eingestellte Verfahren nicht berücksichtigen. Daher liegt es nahe, die vorgenannte Möglichkeit nur zurückhaltend und dann anzuwenden, wenn die Einwirkung auf den Betroffenen durch Erfüllung der Auflagen ausreichend erscheint und die Wahrscheinlichkeit weiterer Verkehrsverstöße als gering einzuschätzen ist.

d) Besondere Folgen der Ordnungswidrigkeit

Wird durch die Ordnungswidrigkeit ein Verkehrsunfall verursacht und entsteht hierdurch ein hoher eigener Schaden (oder gar eine Verletzung), kann dies einen Grund für die Einstellung des Verfahrens gemäß § 47 Abs. 2 OWiG darstellen. Denn es ist anerkannt, dass im Falle eigener schwerwiegender Folgen aus einer Ordnungswidrigkeit nach dem Rechtsgedanken der §§ 153b StPO, 60 StGB gemäß § 47 Abs. 2 OWiG eingestellt werden kann, selbst wenn Vorwerfbarkeit und öffentliches Interesse erheblich sein sollten (KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 47 Rn 116; ähnlich Krenberger/Krumm, 7. Aufl. 2022, OWiG § 47 Rn 5; Gutt/Krenberger, zfs 2013, 549, 550; Krumm, NZV 2021, 605, 606; jeweils m.w.N.). Der mit einer Ahndung verfolgte „Lerneffekt“ kann ebenso erreicht werden, wenn der Betroffene infolge seiner Ordnungswidrigkeit einen eigenen Schaden erlitten hat, so dass es einer gesonderten „Bestrafung“ nicht zwingend bedarf (Gutt/Krenberger, a.a.O.). In diesen Fällen sind auch die Gerichte häufiger zur Einstellung bereit als bei sonstigen Ordnungswidrigkeiten (vgl. etwa OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.11.2020 – 1 OWi 2 SsRs 107/20 –, Rn 16, juris; AG Landau, Beschl. v. 14.3.2019 – 1 OWi 7296 Js 1223/19 –, Verkehrsrecht Blog).

Diese Argumentation ist übrigens nicht auf Fälle der Fahrerlaubnis auf Probe beschränkt. Zu prüfen ist vor allem, wem das vom Betroffenen geführte Fahrzeug gehörte bzw. wer den daran entstandenen Schaden letztlich trägt und wie hoch dieser ist; idealerweise kann ein Gutachten oder Kostenvoranschlag (bzw. im Falle der Verletzung ein ärztliches Attest) vorgelegt werden. Ein Vollkaskoschutz kann der Unverhältnismäßigkeit der Ahndung entgegenstehen; andererseits wäre eine hohe Selbstbeteiligung (gerade bei Fahranfängern mit geringem Einkommen) wiederum zu berücksichtigen. Auch ein Mitverschulden des Unfallgegners kann Grund für die Einstellung des Verfahrens (oder zumindest für eine Reduzierung der Regelgeldbuße, dazu KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn 66) sein.

3. Festsetzung einer Geldbuße von weniger als 60 Euro

Wie bereits dargelegt, kommt es bei Verhängung einer Geldbuße von unter 60 EUR – in der Praxis wird gerne der in § 56 Abs. 1 Satz 1 OWiG genannte (Höchst-)Betrag von 55 EUR gewählt – wegen § 28 Abs. 3 Nr. 3 lit. a sublit. bb StVG nicht zur Eintragung im Fahreignungsregister und damit nicht zu Konsequenzen für die Fahrerlaubnis auf Probe, selbst wenn der Verstoß nach Anlage 13 der FeV im Falle der Regelgeldbuße grundsätzlich zur Eintragung führen würde. Für eine derartige Abweichung von der Regelbuße bedarf es jedoch eines Grundes.

a) Wirtschaftliche Verhältnisse

Manche Gerichte haben hier zur Vermeidung der Eintragung eines Punktes vorgeschlagen, mit schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen zu argumentieren, um dadurch eine Reduzierung der Geldbuße auf weniger als 60 EUR rechtfertigen zu können. Immerhin sind Fahranfänger in der Regel noch nicht oder gerade erst volljährig geworden und oft noch in der Ausbildung bzw. Schule. Gemäß § 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen prinzipiell berücksichtigt werden. Dennoch muss dies auf den Einzelfall „passen“, was bei älteren Betroffenen, die lediglich spät eine Fahrerlaubnis erworben haben, aber ein geregeltes Einkommen haben, schon nicht mehr der Fall sein dürfte. Auch bei jüngeren Betroffenen wird es „eng“, wenn sie eine Arbeit (und sei es nur ein „Minijob“) ausüben und/oder durch Eltern, Großeltern etc. unterstützt werden. Generell agiert die Rechtsprechung hinsichtlich der Reduzierung von (Regel-)Geldbußen eher zurückhaltend und sieht etwa Zahlungserleichterungen gemäß § 18 OWiG als vorrangig an (vgl. KG, Beschl. v. 26.1.2022 – 3 Ws (B) 1/22 –, Rn 34, juris), zumal Geldbußen in Höhe von 100 bis 150 EUR selbst bei bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen tragbar sein dürften. Geht es um eine höhere Geldbuße und damit um einen tendenziell schwerwiegenderen Verkehrsverstoß, dürfte schon diese Tatsache dagegensprechen, die Geldbuße allein aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse auf weniger als 60 EUR zu „drücken“.

Wird dennoch auf diese Weise eine Reduzierung der Geldbuße auf unter 60 EUR erreicht, lauert eine weitere Falle: Gemäß § 28a StVG bleibt es, wenn die Regelgeldbuße von 60 EUR oder mehr allein wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen auf unter 60 EUR reduziert wird (und § 28a StVG in den angewendeten Vorschriften der Bußgeldentscheidung genannt wird), gleichwohl bei der Eintragung des Punktes ins Fahreignungsregister. Hierdurch soll vermieden werden, dass die fahrerlaubnisrechtlichen Konsequenzen von (ggf. wiederholten) Verkehrsverstößen allein aufgrund schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse des Betroffenen ausbleiben. Die Eintragung im Fahreignungsregister kann in dieser Konstellation nur verhindert werden, wenn die Nennung des § 28a StVG in der Bußgeldentscheidung – contra legem – unterlassen wird. Nicht zuletzt deshalb überzeugt das Abstellen allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse für eine Geldbußenreduzierung weniger.

b) Sonstige Gründe

Zudem kann eine Geldbuße aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV) auf weniger als 60 EUR reduziert werden, wovon viele Gerichte gerade bei bestehender Fahrerlaubnis auf Probe und weniger schwerwiegenden Ordnungswidrigkeiten häufiger als in sonstigen Fällen Gebrauch machen. Hier lohnt es sich, die Praxis der jeweiligen Gerichte (oder einzelner Richter) zu kennen. Zudem können die unter III.2.b genannten freiwilligen Leistungen in Betracht kommen, um zu einer reduzierten Geldbuße zu gelangen, wenn das Gericht zur gänzlichen Einstellung nicht bereit ist. Denn sowohl eine Einsicht in das Fehlverhalten als auch Wiedergutmachungsbemühungen bzw. ein anerkennenswertes Nachtatverhalten können – ggf. in Verbindung mit weiteren mildernden Umständen, etwa einem Geständnis – bei der Rechtsfolgenbemessung zugunsten des Betroffenen Berücksichtigung finden (BeckOK OWiG/Sackreuther, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 17 Rn 77 f., 82). Als zulässig wurde ferner die mildernde Berücksichtigung einer verkehrserzieherischen Nachschulung angesehen (vgl. KG, Beschl. v. 31.1.2023 – 3 ORbs 23/23 –, Rn 6, juris). Generell sollen altersbedingte Mängel an Reife und Lebenserfahrung die Vorwerfbarkeit herabsetzen (Sackreuther, a.a.O., Rn 68; KK-OWiG/Mitsch, 5. Aufl. 2018, OWiG § 17 Rn 64). Zum Teil wird vertreten, dass die Konsequenzen einer Verurteilung für die Probezeit schon für sich genommen zugunsten des Betroffenen bei der Geldbußenzumessung gewertet werden dürfen (Sackreuther, a.a.O., Rn 102).

Teilweise wird, wenn der Betroffene besondere Folgen aus der Ordnungswidrigkeit zu tragen hat (siehe III.2.d), etwa eine Beschädigung des eigenen Fahrzeugs, anstelle der Verfahrenseinstellung eine Reduzierung der Geldbuße auf 55 EUR „angeboten“ (zur Möglichkeit der Berücksichtigung des Eigenschadens bei der Rechtsfolgenbemessung KG, Beschl. v. 29.7.2021 – 3 Ws (B) 182/21 –, Rn 8, juris; BeckOK OWiG/Sackreuther, 38. Ed. 1.4.2023, OWiG § 17 Rn 55).

4. Vollstreckungsanordnungen

Nach § 98 Abs. 1 OWiG können anstelle der Vollstreckung der Zahlung einer Geldbuße die Erbringung von Arbeitsleistungen, Teilnahme am Verkehrsunterreicht oder ähnliches gegen einen Jugendlichen oder Heranwachsenden (§ 98 Abs. 4 OWiG) angeordnet werden. Dies ist gemäß § 78 Abs. 4 OWiG bereits im Bußgeldurteil möglich (dazu Burhoff/Gieg/Krenberger, a,a.O., Rn 2563). Da das Bußgeld an sich nicht entfällt, sondern lediglich nicht bzw. in anderer Form vollstreckt wird, kommt es gleichwohl aufgrund der rechtskräftigen Ahndung der Tat durch Geldbuße zur Eintragung etwaiger Punkte im Fahreignungsregister. § 98 Abs. 1 OWiG hilft deshalb nicht bei der Punktevermeidung, wohl aber dann, wenn der Betroffene die Geldbuße aus wirtschaftlichen Gründen nicht oder nur unter Schwierigkeiten begleichen. Gemeint sind Fälle, in denen das Ziel der Verteidigung nicht im Wegfall der Punkte­eintragung, sondern allein in der Vermeidung der Zahlung der Geldbuße liegt.

5. Möglichkeiten bei Rechtskraft des Bußgeldbescheides

Schwierig wird es, wenn die Einspruchsfrist bereits abgelaufen und der Bußgeldbescheid rechtskräftig geworden ist, etwa wenn der Betroffene sich zu spät an einen Rechtsanwalt wendet. Zu denken ist in geeigneten Fällen an eine Wiederaufnahme des Verfahrens (Einschränkung des § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 OWiG beachten!) oder einen Gnadenantrag. Natürlich ist stets zu prüfen, ob der Bußgeldbescheid wirksam zugestellt wurde und der Fristlauf des § 67 Abs. 1 Satz 1 OWiG überhaupt begonnen hat. Möglich ist zudem eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wobei gerade bei Jugendlichen oder jungen Heranwachsenden nicht vorschnell ein Verschulden an der Fristversäumnis (§ 52 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 44 Satz 1 StPO) angenommen werden sollte. Die Fahrerlaubnisbehörde ist an Maßnahmen gemäß § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG aufgrund eines gestellten Wiedereinsetzungsantrags nicht gehindert, da der Antrag noch nicht den (rechtskräftigen und wirksamen) Bußgeldbescheid beseitigt. Erst mit Gewährung der Wiedereinsetzung wird die Rechtskraft des Bußgeldbescheids rückwirkend beseitigt, was auf diesen gestützte Maßnahmen nach § 2a Abs. 2 Satz 1 StVG ausschließt (vgl. OVG Schleswig-Holstein, Beschl. v. 27.1.2017 – 4 MB 3/17 –, Rn 9 ff., juris). Deshalb sollte im Falle der Beantragung von Wiedereinsetzung möglichst auf eine zügige Entscheidung der Verwaltungsbehörde (§ 52 Abs. 2 Satz 1 OWiG) oder, im Rechtsbehelfsverfahren, des Amtsgerichts (§ 52 Abs. 2 Satz 3 OWiG) hingewirkt werden.

RA Alexander Gratz, Bous

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