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Regelvermutung bei Trunkenheitsfahrt mit E-Scooter

Eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) mit einem E-Scooter begründet die Regelvermutung der Ungeeignetheit des Täters zum Führen eines Kfz. Von der Entziehung der Fahrerlaubnis kann nur in Ausnahmefällen abgesehen werden. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.5.20231 Ss 276/22

I. Sachverhalt

E-Scooter mit 1,64 Promille geführt

Das AG hat den Angeklagten wegen Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe und einem Fahrverbot von sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte fuhr am Tattag gegen 2.39 Uhr mit einem E-Scooter mit einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 1,64 ‰. Nach Verlassen einer Bar hatte er sich spontan entschlossen, für die Fahrt zurück zu seiner damaligen Unterkunft einen E-Scooter zu benutzen. Er fühlte sich zu diesem Zeitpunkt noch fahrtüchtig und machte sich wegen des getrunkenen Alkohols keine Gedanken. Die auf die Nichtanwendung der §§ 69, 69a StGB beschränkte Revision der StA war erfolgreich.

II. Entscheidung

Grundlagen zum Regelfall

Nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB begründe die Begehung einer Straftat nach § 316 StGB eine Regelvermutung für die Ungeeignetheit des Täters zum Führen von Kfz im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 1 StGB mit der Folge der Entziehung der Fahrerlaubnis (BGH, Urt. v. 29.4.2021 – 4 StR 522/20). Von der Entziehung der Fahrerlaubnis könne nur in seltenen Ausnahmen abgewichen werden, so wenn die Tat selbst Ausnahmecharakter hat, wenn die Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Täters die Gewähr dafür bietet, dass er in Zukunft gleiche oder ähnliche Taten nicht mehr begehen wird, oder wenn ganz besondere vor oder nach der Tat liegende Umstände objektiver oder subjektiver Art festgestellt sind, die den Eignungsmangel entfallen lassen. Es müssten Umstände vorliegen, die sich von den Tatumständen des Durchschnittsfalls deutlich abheben.

Kein Ausnahmefall nur wegen E-Scooter

Das AG stelle rechtsfehlerhaft darauf ab, dass der Angeklagte nicht Auto, sondern E-Scooter gefahren ist. Das widerspreche der Wertung des Verordnungsgebers, nach der solche Elektrokleinstfahrzeuge Kraftfahrzeuge sind (§ 1 eKFV) sind und damit den dafür geltenden allgemeinen Vorschriften unterliegen (BayObLG NZV 2020, 582 m. Anm. Lamberz = VRR 10/2020, 15 = StRR 1/2021, 35 [jew. Deutscher]). Es möge zutreffen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Norm des § 69 StGB E-Scooter nicht kannte. Der Verordnungsgeber habe aber später in Kenntnis der §§ 69, 69a StGB E-Scooter gleichwohl als Kfz eingestuft. Demgegenüber sind auf E-Bikes und Pedelecs die Vorschriften über Fahrräder anzuwenden (§ 1 Abs. 3 StVG). Auch die Argumentation, die Benutzung eines E-Scooters durch einen betrunkenen Fahrer gefährde andere Menschen nicht in gleichem Maße wie eine mittels Pkw oder Lkw begangene Trunkenheitsfahrt, verfange nicht. Es erschließe sich schon nicht, wie damit die Regelvermutung der Ungeeignetheit i.S.d. § 69 StGB widerlegt werden könnte. Im Übrigen könnten durch den Sturz eines Fußgängers oder Radfahrers infolge eines Zusammenstoßes mit dem E-Scooter ganz erhebliche, unter Umständen sogar tödliche Verletzungen verursacht werden. Andere, auch stärker motorisierte Verkehrsteilnehmer könnten durch alkoholbedingte Fahrfehler eines E-Scooter-Fahrers zu Ausweichmanövern, abruptem Bremsen o.Ä. veranlasst werden können, was ebenfalls gravierende Folgen haben kann. Wenn das AG in diesem Zusammenhang weiter ausführt, mit der Anwendung des § 69 StGB könnten weitere Trunkenheitsfahrten mit einem E-Scooter nicht verhindert werden, setze es sich in Widerspruch zur gesetzlichen Regelung, wonach die Fahrerlaubnis zu entziehen ist, wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen. Mit der Entziehung der Fahrerlaubnis solle nicht nur verhindert werden, „dass der Täter weiterhin betrunken sein Kfz fährt“. Vielmehr bezwecke § 69 StGB den Schutz der Sicherheit des Straßenverkehrs allgemein. Die hohen Risiken, die der Straßenverkehr infolge seiner Dynamik für Leben, Gesundheit und Eigentum der Verkehrsteilnehmer mit sich bringt, würden nämlich durch körperlich, geistig, ebenso aber auch durch charakterlich ungeeignete Kraftfahrer verstärkt; dem solle durch den (zumindest zeitigen) Ausschluss des Betreffenden von der Teilnahme am motorisierten Straßenverkehr entgegengewirkt werden (BGHSt [GrS] 50, 93 = NJW 2005, 1957).

III. Bedeutung für die Praxis

Anschluss an BayObLG

Hier nicht von Bedeutung war hier die umstrittene Frage, ob der Grenzwert von 1,1 ‰ für die absolute Fahruntüchtigkeit auch bei E-Scootern gilt (zuletzt offengelassen von BGH VRR 6/2023, 22 [abl. zu diesem Grenzwert Niehaus ebd.]). Zur hier einschlägigen Anwendung des Regelvermutung des § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB bei Trunkenheitsfahrten mit E-Scootern ist das Meinungsbild bislang uneinheitlich. Während die Tagerichte die Regelvermutung vielfach als nicht einschlägig oder widerlegt ansehen (jüngst etwa LG Chemnitz DAR 2023, 50), hat das BayObLG a.a.O. deren grundsätzliche Anwendung angenommen. Dem schließt sich das OLG Frankfurt hier an. Das darf den Verteidiger in einschlägigen Fällen allerdings nicht daran hindern, auf Umstände hinzuweisen, die auch bei der Nutzung eines E-Scooters einen Ausnahmefall begründen können, wie etwa eine nur kurze Wegstrecke zur Nachtzeit. Hier hat das OLG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Dauer der erfolgten vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 111a StPO bei der neuen Entscheidung zu berücksichtigen ist.

RiAG Dr. Axel Deutscher, Bochum

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