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Mittelgebühr im Bußgeldverfahren wegen drohender Eintragung im FAER

Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, ist das jedenfalls dann nicht der Fall, wenn die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister droht. (Leitsatz des Verfassers)

AG Kaufbeuren, Urt. v. 3.3.20234 C 1117/22

I. Sachverhalt

Streit um die Mittelgebühr

Gestritten wird um die von Rechtsschutzversicherung nach dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag zu erstattenden Gebühren und Auslagen. Die Rechtsschutzversicherung hat dem Kläger als Betroffenen eines gegen ihn laufende Verkehrsordnungswidrigkeitenverfahren wegen eines Geschwindigkeits- und Handy-Verstoßes Deckungszusage erteilt. Bei dem dem Kläger vorgeworfenen Verstoß handelte es sich um einen Verkehrsverstoß, der mit der Eintragung eines Punktes ins Fahreignungsregister geahndet wird. Die Rechtsanwältin des Klägers hatte für die Gebühren der Nrn. 5100, 5103, 5109 und 5110 VV RVG jeweils die Mittelgebühr geltend gemacht. Diese sind von der beklagten Rechtsschutzversicherung nicht gezahlt worden. Die Klage des Klägers hatte Erfolg.

II. Entscheidung

Allgemeine Überlegung

Aufgrund des Rechtsschutzversicherungsvertrags sei, so das AG, die Beklagte verpflichtet, die hierdurch angefallenen Rechtsanwaltsgebühren (abzüglich der Selbstbeteiligung) an den Kläger zu erstatten. Streitig sei zwischen den Parteien nur, ob die Rechtsanwältin des Klägers die jeweilige Mittelgebühr haben ansetzen dürfen oder ob eine niedrigere Gebühr anzusetzen gewesen wäre. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG habe bei Rahmengebühren der Rechtsanwalt die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers, nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Frage könne das AG selbst aufgrund der sich aus der Akte ergebenden Umstände des Falles bestimmen, so dass ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer nicht habe eingeholt werden müssen. Die in § 14 Abs. 3 RVG festgeschriebene Verpflichtung betreffe nur das Verfahren zwischen dem Rechtsanwalt und dem Mandanten und sei in Bezug auf einen Dritten nur optional (vgl. HK-RVG/Klaus Winkler, 8. Aufl. 2021, RVG § 14 Rn 67).

Konkreter Fall

Das AG hat sodann den Ansatz jeweils der Mittelgebühr nicht beanstandet. Unabhängig von der Frage, ob Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten generell oder in bestimmten Fällen zu einer geringeren Gebühr führen müssen, weil es sich um unterdurchschnittliche Angelegenheiten handelt, sei dies hier bereits deshalb nicht der Fall, weil unstreitig die Eintragung eines Punktes im Fahreignungsregister gedroht habe (so z.B. BeckOK OWiG/L. Bücherl, 37. Ed. 1.1.2023, RVG § 14; HK-RVG/Klaus Winkler, a.a.O., RVG § 14 Rn 25). Das könne, wenn nicht unmittelbar, so zumindest mittelbar für die Zukunft Auswirkungen auf die vom Kläger dringend benötigte Fahrerlaubnis haben. Bereits aus diesem Grund liege im konkreten Fall bereits keine gebührenrechtlich unterdurchschnittlich zu bewertende Angelegenheit vor, sodass das Ansetzen der Mittelgebühr gerechtfertigt gewesen sei.

III. Bedeutung für die Praxis

Auch im OWi-Verfahren generell Mittelgebühr…

1. Die Frage, ob auch im – straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldverfahren bei der Bemessung der anwaltlichen Gebühren generell von der Mittelgebühr auszugehen ist oder nicht, ist in der Rechtsprechung umstritten. Sie ist aber mit der wohl h.M. zu bejahen (vgl. dazu und wegen der Einzelheiten eingehend Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG Straf- und Bußgeldverfahren, 6. Aufl. 2021, Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung; AnwKomm-RVG/N. Schneider, 9. Aufl. 2021, Vor VV Teil 5 Rn 54 ff.).

…jedenfalls aber dann, wenn Eintragung im FAER droht

2. Jedenfalls ist die Mittelgebühr aber dann gerechtfertigt, wenn, wie hier, einem Betroffene, der offenbar beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, die Eintragung eines (weiteren?) Punktes in das FAET droht. Denn für ich hat das Verfahren erheblich Bedeutung, so dass die Einordnung des Verfahrens als zumindest durchschnittlich und die Mittelgebühr rechtfertigend zwingend ist.

Kriterien für die Einordnung des Verfahrens

3. Auch im Bußgeldverfahren ist für die Bemessung der anwaltlichen Gebühren eine Gesamtabwägung der Kriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG erforderlich (vgl. dazu Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Teil A Rn 1756 ff.; s. i.Ü. auch Gerold/Schmidt/Mayer, RVG 25. Aufl. 2021, § 14 Rn 15 ff.; Enders JurBüro 2004, 459; Lissner RVGreport 2013, 155 ff.; Jungbauer DAR 2014, 355). Darüber hinaus kann es in straßenverkehrsrechtlichen Bußgeldsachen ankommen auf (dazu auch Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O.; Vorbem. 5 VV Rn 54 ff. mit Checkliste und Rechtsprechungs-ABC; AnwKomm-RVG/N. Schneider, a.a.O.):

  • Mandant ist auf Fahrerlaubnis beruflich angewiesen (vgl. u.a. LG Halle RVGreport 2016, 412; LG Itzehoe, Beschl. v. 9.10.2018 – 2 Qs 46/18, RVGreport 2019, 10; LG Kiel zfs 2007, 106 m. zust. Anm. Hansens = AGS 2007, 140 = RVGreport 2007, 24; LG Saarbrücken VRR 2013, 39 = RVGreport 2013, 53 = StRR 2013, 315; AG Frankfurt am Main zfs 1992, 209; AG Grimma VRR 2012, 323 [Ls.]; AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/21, AGS 2023, 27; AG Viechtach AGS 2007, 83; Beschl. v. 8.7.2019 – 6 II OWi 215/19, RVGreport 2019, 412),

  • allgemein: ein Fahrverbot droht (LG Berlin, Beschl. v. 22.3.2012 – 517 Qs 5/12; LG Halle RVGreport 2016, 412; LG Kiel, Beschl. v. 11.1.2006 – 46 Qs-OWi 31/05 [Taxifahrer]; LG Köln, Beschl. v. 3.8.2019 – 323 Qs 87/19, AGS 2019, 504 = RVGreport 2020, 69; AG Bühl NZV 2009, 401; AG Chemnitz AGS 2005, 431; AG Dresden AGS 2010, 431; AG Frankenthal VRR 2005, 280 = RVGreport 2005, 271 = AGS 2005, 292; AG Frankfurt am Main zfs 1992, 209; AG Friedberg, Urt. v. 8.2.2013 – 2 C 1418/12 [12]; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Ratingen, Beschl. v. 25.11.2022 – 20 OWi 413/21; AGS 2023, 27),

  • mehrere Verkehrsordnungswidrigkeiten,

  • (hoher) Sachschaden,

  • Entzug der Fahrerlaubnis droht wegen eines „beharrlichen Verstoßes“, da bereits mehrere Voreintragungen vorliegen (LG Halle RVGreport 2016, 412; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381),

  • umfangreiche Vorbereitung der Hauptverhandlung, z.B. durch Gespräche mit SV oder wegen der Vorbereitung von Beweisanträgen (AG Pinneberg AGS 2005, 552; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Saarbrücken RVGreport 2006, 181 = AGS 2006, 126),

  • Auswertung von Sachverständigengutachten, z.B. zur Täteridentifizierung (LG Chemnitz RVGreport 2016, 297 für Sachverständigengutachten zur Messung und zur Identifizierung des Betroffenen als Fahrer),

  • schwierige Verjährungsfragen

  • Eintragung im FAER droht (dazu z.B. – z.T. zum alten Recht – LG Halle RVGreport 2016, 412 [Entziehung nach dem FAER droht]; LG Neuruppin, Beschl. v. 30.1.2015 – 11 Qs 60/14 [bei 11 Punkten im „VZR“ erhöhte Bedeutung, wenn weitere drei Punkte drohen]; AG Bad Segeberg VRR 2010, 240 [drei Punkte]; AG Eilenburg JurBüro 2010, 35 ([drei Punkte]; auch noch AG Cloppenburg RVGreport 2011, 295 = VRR 2011, 478; AG München AGS 2005, 430 = RVGreport 2005, 381; AG Rudolstadt, VRR 2011, 479 = RVGreport 2012, 24 [drei Punkte im VZR]).

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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