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Eingang eines Fristverlängerungsantrags nach Dienstschluss

Ein am Tag des Fristablaufs nach Dienstschluss per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) übermittelter Fristverlängerungsantrag ist noch rechtzeitig gestellt. Wird der Antrag vom Gericht nicht (mehr) berücksichtigt, kann darin ein Gehörsverstoß liegen. Verzögerungen bei der gerichtsinternen Weiterleitung gehen nicht zulasten der Partei. (Leitsatz des Verfassers)

BVerfG, Beschl. v. 10.5.20232 BvR 370/22

I. Sachverhalt

Fristverlängerung auf Klageerwiderung beantragt, Eingang nach Dienstschluss

Die Klägerin hat gegen den Beklagten Zahlungsklage erhoben. Der Beklagte trat der Forderung entgegen. Das AG leitete die Klageerwiderung mit Schreiben vom 1.12.2021 weiter und setzte eine Frist zur Replik innerhalb von zwei Wochen. Das Schreiben ging am 6.12.2021 bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein. Mit Schreiben vom 20.12.2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Fristverlängerung. Aufgrund erheblicher Arbeitsüberlastung und urlaubsbedingter Ortsabwesenheit vom 6. bis 10.12.2021 sei eine inhaltliche Rücksprache mit der Klägerin nicht mehr rechtzeitig möglich. Das Schreiben wurde am 20.12.2021 um 17:54 Uhr per besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) versandt.

Klageabweisung, Anhörungsrüge zurückgewiesen

Mit Urt. v. 21.12.2021 wies das AG die Klage ab. Das Urteil wurde der Geschäftsstelle am 21.12.2021, 13:35 Uhr, übergeben und den Parteien aufgrund Verfügung vom selben Tag zugestellt. Laut handschriftlichem Vermerk lag das Schreiben dem Richter zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht vor. Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 30.12.2021 erhob die Klägerin Anhörungsrüge. Das Urteil sei ohne vorherige Entscheidung über ihren Fristverlängerungsantrag ergangen. Wäre die Frist antragsgemäß verlängert worden, was im Falle der erstmaligen Verlängerung zu erwarten sei, zumal tragfähige Gründe anwaltlich versichert worden seien, so wäre das Vorbringen des Beklagten bestritten worden. Mit Beschl. v. 20.1.2022 wies das AG die Anhörungsrüge als unbegründet zurück. Die Klägerin hat Verfassungsbeschwerde erhoben, die Erfolg hatte.

II. Entscheidung

Grundsätze zum rechtlichen Gehör

Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und ihr stattgegeben. Das AG habe das Recht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Art. 103 Abs. 1 GG garantiere die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligten, sich mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten im gerichtlichen Verfahren zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1, 6). Zu jeder dem Gericht unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite muss die Gelegenheit zur Äußerung bestehen (vgl. BVerfGE 19, 32, 36). Aus Art. 103 Abs. 1 GG folge aber keine Pflicht der Gerichte, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Denn grds. gehe das BVerfG davon aus, dass die Gerichte das Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben (vgl. BVerfGE 149, 86, 109). Art. 103 Abs. 1 GG sei daher erst dann verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen klar ergebe, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sei (vgl. BVerfGE 65, 293, 295; 70, 288, 293; 86, 133, 145 f.

Amtsgerichtliches Vorgehen nicht gerechtfertigt

Hier habe das AG den Fristverlängerungsantrag der Klägerin übergangen und sein den Rechtszug abschließendes Urteil erlassen, ohne darüber entschieden zu haben. Diese Vorgehensweise sei nicht gerechtfertigt. Maßgebliche Vorschrift für die Verlängerung gerichtlich gesetzter Stellungnahmefristen sei § 224 Abs. 2 ZPO. Nach § 224 Abs. 2 ZPO können richterliche Fristen verlängert werden, wenn erhebliche Gründe glaubhaft gemacht sind. Es werde dabei als zulässig angesehen, auf eine eidesstattliche Versicherung zu verzichten und eine bloße anwaltliche Versicherung ausreichen zu lassen (vgl. Stackmann, in: MüKo zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 224 Rn 5), insbesondere dann, wenn es sich um eine erstmalige Verlängerung handele (vgl. Stackmann, a.a.O., § 225 Rn 4). Über einen Antrag auf Fristverlängerung könne nach § 225 Abs. 1 ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Ein Antrag auf Fristverlängerung müsse innerhalb der noch laufenden Frist bei Gericht eingegangen sein (vgl. Stackmann, a.a.O., § 224 Rn 8). Nicht erforderlich sei dagegen, dass über ihn noch während des Fristlaufs entschieden werde. Für den Eingang eines Schreibens bei Gericht sei nicht erforderlich, dass das Schreiben der richtigen Akte zugeordnet werde oder dass es der Geschäftsstelle übergeben werde, sondern allein, dass es in den Machtbereich des Gerichts gelangt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 3.10.1979 – 1 BvR 726/78; Beschl. v. 12.12.2012 – 2 BvR 1294/10; BGH, Beschl. v. 10.6.2003 – VIII ZB 126/02, NJW 2003, 3418).

Nach diesem Maßstab müsse – so das BVerfG – der Fristverlängerungsantrag als am 20.12.2022, 17:54 Uhr, gestellt gelten, denn zu diesem Zeitpunkt gelangte das per beA übermittelte Schreiben in den Machtbereich des Gerichts. Soweit das AG in seinem Beschluss über die Anhörungsrüge ausführe, der Fristverlängerungsantrag habe zum Zeitpunkt der Abfassung des Urteils nicht einmal der Geschäftsstelle vorgelegen, verfehle es die prozessrechtlichen Anforderungen. Das Gericht hätte noch über den Antrag befinden müssen; Verzögerungen bei der Weiterleitung des Antrags innerhalb des Gerichts können nicht zu Lasten der Beschwerdeführerin gehen.

Das AG habe auch nicht verlangen können, dass der Prozessbevollmächtigte seinen Fristverlängerungsantrag zu einem früheren Zeitpunkt hätte stellen müssen. Fristen dürfen einem gesicherten prozessrechtlichen Grundsatz zufolge, der seine Stütze im Verfassungsrecht finde, vollständig ausgeschöpft werden (vgl. BVerfGE 40, 42; 41, 323, 52, 207, 69, 381, 385). Lediglich bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax sei zu beachten, dass mit der Übermittlung so rechtzeitig begonnen wird, dass in der Regel mit einem rechtzeitigen Abschluss des Sendungsvorgangs gerechnet werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 12.4.2016 – VI ZB 7/15).

Zuletzt spiele es auch keine Rolle, ob den Prozessbevollmächtigten der Klägerin Verschulden treffe, ob er damit rechnen durfte, dass seinem Antrag stattgegeben werden würde und wann er mit einer Entscheidung rechnen durfte. Da es hier nicht um eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gehe, seien diese Fragen unerheblich. Maßgeblich seit nach dem Dargestelltem allein, ob der Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei Gericht einging und ob ein erheblicher Grund dafür glaubhaft gemacht wurde. Von beidem sei hier auszugehen. Es sei nicht erkennbar, aus welchen Gründen das Amtsgericht den erstmaligen Fristverlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit hätte ablehnen können.

III. Bedeutung für die Praxis

Aus der Hüfte geschossen, ist nie gut

Etwas schnell, wahrscheinlich aus der Hüfte, geschossen hat hier das AG. Wenn man den Sachverhalt liest. fragt man sich, wie das AG angesichts der – zitierten – höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf kommen konnte, dass der Fristverlängerungsantrag nicht mehr rechtzeitig war. Der Antrag war vor Fristablauf eingegangen, so dass er zu bescheiden war. Fristablauf ist am letzten Tag der Frist um 24.00 Uhr und nicht der Zeitpunkt, an dem der Richter am Tag des Fristablaufs Dienstschluss macht. Dafür braucht man m.E. nicht das BVerfG bzw. besser: Dafür sollte man besser nicht die Belehrung durch das BVerfG brauchen. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Umstandes, dass natürlich die Partei – egal in welchem Verfahren – nicht dafür verantwortlich ist, wenn entsprechende Anträge dem Gericht nicht mehr vor der Entscheidung vorgelegt werden. Das sind Fragen der gerichtsinternen Organisation, für die die Partei nun wahrlich nicht verantwortlich ist. Genau für die Fälle gibt es ja auch die Anhörungsrüge, die der Partei die Möglichkeit gibt, übersehenes und/oder nicht bekanntes, aber rechtzeitig eingegangenes Vorbringen doch noch zu berücksichtigen. Es ist unverständlich, wenn sich die Gerichte in solchen Fällen auf das „hohe Ross“ setzen, und entsprechenden Vortrag der betroffenen Partei „abbügeln“. Man sollte dann lieber die Chance zur Reparatur ergreifen und (nachträglich) rechtliches Gehör gewähren. Darauf hat die Partei Anspruch. Eine Reparatur wird zudem sicherlich eher dazu führen, dass die Partei eine ggf. nachteilige gerichtliche Entscheidung akzeptiert. Eine Gehörsverletzung bewirkt eher das Gegenteil.

RA Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg

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